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Der Vatikan scheint immer noch an eine schwule Weltverschwörung zu glauben

Papst Franziskus gilt zwar als deutlich liberaler und weltoffener als sein Vorgänger Benedikt XVI, grundlegend anders scheint die katholische Kirche unter seiner Führung aber auch nicht über Sexualität im 21. Jahrhundert zu denken.

Foto: The Comedy StoreFlickr | CC BY-SA 2.0

Religion ist ein schwieriges Thema. Insbesondere dann, wenn es sich um die große Diskrepanz zwischen dem, was jahrhundertealte religiöse Schriften vorgeben, und der Entwicklung unserer modernen Gesellschaft handelt. Ganz vorne dabei, wenn es darum geht, absoluten Religionsgehorsam auch dann einzufordern, wenn Menschenleben auf dem Spiel stehen, ist die katholische Kirche. Unvergessen bleiben dürfte in diesem Zusammenhang klar ein Afrikabesuch des vorhergehenden Papstes Benedikt XVI. im Jahr 2010, bei dem er medienwirksam erklärte, dass die Benutzung von Kondomen nichts zur Eindämmung von Krankheiten wie AIDS beitragen könne. Sein päpstlicher Nachfolger Franziskus gilt zwar als deutlich liberaler und weltoffener, grundlegend anders scheint die katholische Kirche unter seiner Führung aber auch nicht über Sexualität im 21. Jahrhundert zu denken.

Franziskus gab Ende 2013 eine Studie in Auftrag, bei der sowohl Gläubige als auch Bischöfe ihre Meinung zu elementaren Themen wie Familie und Sexualität darlegen sollten. Das Ergebnis: Auch bekennende Katholiken scheinen keinen Bock mehr auf eine Sexualethik aus einem anderen Jahrtausend zu haben. Besonders großen Widerstand gibt es laut der Umfrage zu den Themenbereichen Sexualität, Beziehung, Geburtenkontrolle und künstliche Befruchtung. Ein großer und wichtiger Punkt war dabei auch die religiöse Debatte um die rechtliche und gesellschaftliche Anerkennung von Homosexualität, die nach Aussage vieler Gläubiger die „reine Verbotsmoral“ der Kirche besonders deutlich zum Ausdruck bringt. So wollen sich auch überzeugte Katholiken weder weiterhin vorschreiben lassen, mit wem sie im Privaten ihre Genitalien gegeneinanderreiben, noch sehen sie derartige Felder überhaupt als einen Einflussbereich ihrer Religion an. Dass der Katholizismus im Allgemeinen ein echtes Problem damit zu haben scheint, sich an die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten, sagen wir mal, hundert Jahre anzupassen, zeigt das Protokoll zur dritten außerordentlichen Bischofs-Generalversammlung in Vatikanstadt, die diesen Widerstand aus den eigenen Reihen zum Thema hatte.

Wie sehr die irdischen Vertreter Gottes an diesem ersten wirklichen Realitätscheck seit Jahren zu knabbern haben, wird in dem nun veröffentlichten Dokument mehr als deutlich. Kommt jetzt also der große Umbruch einer Religion, die sich vor allem in den letzten Jahrzehnten zunehmend von ihren Anhängern zu entfernen schien? Nope. So lautet die Antwort der versammelten Kirchenvertreter in Vatikanstadt auf die Frage „Wie gehen wir mit Homosexualität um“ nach wie vor: Solche Lebensmodelle haben nichts mit Ehe und Familie zu tun, trotzdem tun uns diese Gottlosen irgendwie Leid, deswegen begegnen wir ihnen „mit Achtung, Mitleid und Takt“. Eine Erklärung dafür, dass er sich mit dieser Meinung gesellschaftlich und offensichtlich auch innerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft zunehmend ins Abseits bugsiert, hat der Vatikan natürlich auch: die Propagierung der Genderideologie, die „mittels der Idee der Beseitigung der Homophobie in Wirklichkeit eine Umstürzung der sexuellen Identität beabsichtigt.”

Dieses, in Augen der Kleriker, wohl wahrlich teuflisches Ziel soll beispielsweise durch eine sehr frühe Erziehung „vom Kindergarten an“ angestrebt werden. Während man außerhalb der heiligen Hallen annehmen könnte, dass Aufklärung per se etwas Gutes ist und junge Menschen zu deutlich weltoffeneren, toleranteren und—ja— auch im christlichen Sinne mit mehr Nächstenliebe ausgestatteten Teilen der Gesellschaft heranzieht, macht sie der katholischen Kirche offensichtlich Angst. Eine Tatsache, die viele Fragen aufwirft, vor allem aber die nach dem „Wovor?“. Fürchten die Bischöfe, dass es im Vatikan zu wahren Orgien kommen würde, sobald gleichgeschlechtliche Liebe nicht mehr so behandelt wird, als hätte man Gott direkt ins Gesicht gespuckt? Was hat man von dieser Panikmache vor einer Gesellschaftsgruppe, die einfach nur Gleichberechtigung möchte? Uns zumindest liegen keine Pläne vor, nach denen alle Gemeindehäuser dieser Welt in Darkrooms verwandelt werden, sobald sich der Katholizismus endlich den Weihstab aus dem Arsch gezogen hat. Was genau Homosexuelle davon hätten, anderen ihre Sexualität so aufzuzwingen und woher dieser komplett verrückte Irrglaube kommt, konnte bisher auch noch keiner der Pro-Hetero-Fraktion zufriedenstellend erklären.

Zusätzlich stellt sich natürlich auch die Frage, wie es wohl den Klerikern geht, die selbst homosexuell sind und somit in der ständigen Angst leben müssen, aus ihrer Glaubensgemeinschaft ausgeschlossen zu werden. In der Vergangenheit äußerten sich bereits David Bergerund Theologie-Professorin Uta Ranke-Heinemann zur Schwulenquote in den katholischen Reihen, und bei all der Fassungslosigkeit, die einen beim Lesen der Bischofs-Protokolle überkommt, kommt man doch nicht umhin, ihnen mit dem bereits eingangs erwähnten „Mitleid“ zu begegnen. Wie furchtbar muss es sein, ein so krankes Verhältnis zur eigenen Sexualität zu besitzen und in einem Kreislauf aus erzwungener Enthaltsamkeit und nahezu krankhafter Selbstgeißelung auf physischer und psychischer Ebene gefangen zu sein? „Ertraget einander und vergebet euch gegenseitig“ heißt es in der Bibel. Der Katholizismus täte gut daran, mal wieder ein bisschen im Neuen Testament zu blättern, bevor ihm auch noch die letzten Anhänger weglaufen.