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(Halb-)Legale Räusche: Wahrsagesalbei

Wahrsagesalbei ist bis heute der verstörendste Trip meines Lebens—ganz einfach, weil ich es nie für möglich gehalten hätte, mit nur ein paar Zügen von welcher Substanz auch immer zum Protagonist in einer Kurzgeschichte von Philip K. Dick werden zu...

Foto: Abode of Chaos via photopin cc

Die schlimmste Droge unserer Zeit ist ja für viele anhaltende Nüchternheit. Weil aber soziale Ächtung, Beschaffungskriminalität und komplette Abhängigkeit fast genauso schlimm sind, haben wir in unseren rauschverliebten Jugendtagen alle das eine oder andere Mal zu (halb-)legalen Alternativen gegriffen. Deshalb packen wir ab heute die schwammigsten und schönsten Erinnerungen an unsere „Barely Legal Highs“ aus—also zu Räuschen, die zumindest zu der jeweiligen Zeit oder in der jeweiligen Gegend legal waren. Heute geht es los mit dem inzwischen verbotenen Salvia divinorum, auch genannt Wahrsagesalbei, das damals 2002 noch so legal war wie freche Bier-Brillen und eiscreme-induzierter Brain-Freeze.

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Viele Leute werden über Wahrsagesalbei sagen, dass das Zeug rausgeschmissenes Geld ist. Wobei „viele“ eher relativ ist, weil Wahrsagesalbei immer noch nicht in den Top 3 der legalen Drogencharts vertreten ist. Und vermutlich auch nicht in den Top 10. Er ist eher dieser eine Trap-Track, der es ein Mal fast in die Charts geschafft hätte.

Wahrsagesalbei sieht aus wie Mohn—zumindest in seiner konzentrierten Form als Extrakt—und hat mit Mohn gemeinsam, dass es ihn in allen Abstufungen von „schwarze Gewürzbrösel“ bis hin zu „Serious Wacko-Shit“ (im Fall von Mohn: Heroin) gibt. Natürlich ist auch das 30-fache Extrakt nicht mit „Äitsch“ zu vergleichen, aber wenigstens in Sachen Weltflucht kann ein guter Salvia-Trip halbwegs mithalten.

Ich habe Salvia eine Zeit lang fast jedes Wochenende einmal geraucht, in den unterschiedlichsten Dosierungen und mit den unterschiedlichsten Wirkungen. Die meisten Male passierte einfach nur gar nichts (abgesehen vielleicht vom vielfach heran zitierten, Placebo-induzierten Tabak-Flash).

Ein Mal, als ich mit einem Freund bei einer Party in der Wohnung meiner Eltern einen Salvia-Spliff rauchte, trieb uns die Wirkung (gemeinsam mit einem ordentlichen Hunger und unserer Spätpubertät) dazu, zwei rohe Fertig-Cordon bleus zu essen, uns ans Donauufer zu setzen … und anschließend eine Stunde lang das Essen wieder an den Kieselstrand zu erbrechen, während wir wie zwei manische Massenmörder lachten. Falls ihr schon einmal versucht habt, gleichzeitig zu lachen und zu kotzen, wisst ihr, dass das keine einfache Kombination ist.

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Foto: Alex Abian (Also on flickr.com/alexabian) via photopin cc

Aber der wirklich schlimme Salvia-Rausch—und wahrscheinlich der Grund, weshalb mir die Körnchen überhaupt in Erinnerung geblieben sind—passierte ein anderes Mal. Damals saßen wir nach dem Fortgehen noch in der Wohnung meiner Freundin beisammen und rauchten gleich mehrere Salvia-Joints. Okay, wir waren vermutlich generell nicht mehr ganz nüchtern, aber was als nächstes geschah, war schlimmer, als alles, worauf mich eine Clickbait-Formulierung wie „was als nächstes geschah“ vorbereiten konnte.

Ich nahm einen Zug vom Salbei und war plötzlich weg. Komplett. Und damit meine ich: so weg, dass ich nicht mehr wusste, dass ich gleichzeitig irgendwoanders da war. Ich hatte keine Ahnung mehr, dass ich mich in der Wohnung meiner Freundin befand. Ich wusste nicht mal, dass ich noch ein anderes Leben hatte. Ich weiß, man hört das öfter, aber erlebt habe ich es sonst noch nie.

Foto: M/\TB/\ZM/\L via photopin cc

Selbst bei LSD gibt es immer einen kleinen, schizophrenen Teil des Ichs, der während des ganzen Trips klar bleibt und das Erlebnis als außenstehender Beobachter fast logisch betrachtet. Bei diesem einen Salvia-Trip waren meine inneren Waldorf und Statler völlig ausgeknockt.

Stattdessen war ich auf einem postapokalyptischem Spielplatz, bei Sonnenuntergang, und sah meine Freunde (die währenddessen aus der Wohnung meiner Freundin auf mich einredeten) als Jackpot-Symbole auf einem einarmigem Banditen. Ich versuchte, ihre Gesichter in einer Reihe zum Stehen zu bringen (Jackpot!), was mir irgendwann auch gelang—kurz, bevor mir bewusst wurde, dass das hier nicht mein wirkliches Leben war und ich eigentlich woanders auf der Couch lag.

Als ich die Augen öffnete, starrten mich zirka fünf Menschen an und meinten, ich sollte aufhören, so hysterisch zu lachen. Die Sache ist bis heute der verstörendste Trip meines Lebens—ganz einfach weil ich es nie für möglich gehalten hätte, mit nur ein paar Zügen von welcher Substanz auch immer zum Protagonist in einer Philip K. Dick-Kurzgeschichte werden zu können.

Wenn Markus nicht in postapokalyptischen Parallelwelten einarmige Banditen bedient, ist er auch auf Twitter: @wurstzombie