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Ritalin ist pervers.

Ritalin macht dich gescheit- bei 15 Pillen am Tag wird's aber schwierig.

Es fängt eigentlich schon mit dem Namen an. Methylphenidat wurde erstmals 1944 von einem Angestellten eines Schweizer Pharmakonzerns namens Leandro Panizzon  synthetisiert. Zu diesem Zeitpunkt waren Selbstversuche noch hoch im Kurs. Auch Leonardos Frau Rita durfte mal testen. Rita war begeistert! Durch das Methylphenidat steigerten sich ihr Leistungen im Tennis enorm. Ritas sportlicher Erfolg führte dazu, dass wir heute nicht mehr den Zungenbrecher Methylphenidat nutzen wenn wir nach der Zauberpille fragen, sondern eben „Ritalin“.

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Ritalin fällt in der Schweiz unter das Betäubungsmittelgesetz und fällt für Ärzte unter die strengste Abgabekategorie. Das Amphetamin wird unter anderem Kindern ab dem Alter von SECHS Jahren mit  Aufmerksamkeitsdefizt /Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) verschrieben. In Anbetracht der Tatsache, dass die Langzeitfolgen von Ritalin noch nicht erforscht sind, empfinde ich persönlich das Einstiegsalter als ziemlich niedrig. Da Ritalin aber konzentrationsfördernd und leistungssteigernd wirkt, spielt diese Forschungslücke anscheinend keine Rolle.

Foto: dpa

Offiziell haben fünf Prozent der Schweizer Studenten Ritalin probiert. Aufgrund persönlicher Erfahrungen fällt es mir leider ziemlich schwer diesen Zahlen zu Glauben.

Nicht nur dass es fast jeder den man kennt mal probiert hat.  Und ich mag jetzt wahnsinnig spießig klingen! Auch der Umgang mit dem Amphetamin, dessen Wirkung dem des Kokain ähnelt, ist ein anderer. Irgendwie denken alle dass sie sich da etwas reinhauen mit einem Ibuprofen oder einer Aspirin vergleichbar ist. Ist es aber nicht. Auch von Ritalin kann man abhängig werden.

Seit einem Jahr wohnt Julia (Name geändert) bei mir und Franzi (Name geändert) in der WG. Franzi und ich studieren. Franzi nimmt auch Ritalin. Aber nur zum lernen. Sie bekommt es vom Arzt verschrieben. Der Aspirin-Typ.

Julia  jedenfalls ist 23, kommt aus guten Verhältnissen und hatte schon mal Probleme mit anderen Substanzen. Anfangs war sie aber clean.  Ein halbes Jahr nachdem sie bei uns eingezogen ist, hat Julia angefangen zu studieren. Im Voraus hatten wir mehrere Gespräche in denen es darum ging, ob Julia dem Druck des Studiums standhalten könnte. Klar meinte ich, Studieren ist wirklich keine Kunst. Julia hatte trotzdem Panik.

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Dann ging Julias Studium los. Und Julias Schlafzeiten änderten sich. Julia um drei Uhr morgens durch die Wohnung geistern zu hören, war nichts besonderes mehr. Wenn ich sie gefragt habe was sie denn zu solchen Uhrzeiten so treibe, sagte sie: „Lernen.“ und ich dann „Ah. OK.“ Außerdem nahm Julia in einem rasanten Tempo ab. Darauf angesprochen, erklärte sie ihren Gewichtsverlust mit Bikram Yoga….

Einen Schlüsselmoment  hatte ich dann, als ich auf der Suche nach Zigaretten in Julias Zimmer eine Ladung Schlaftabletten fand, mit der man eine Elefantenherde ins Land der Träume hätte schicken können.

Dass da richtig was schief läuft, habe ich allerdings erst gemerkt als Franzi mich eines morgens fragte ob ich was von ihrem Ritalin geklaut hätte. Bei ihr fehlten sechs Tabletten. Natürlich hatte ich die Tabletten nicht genommen. Also fragte Franzi Julia. Und tatsächlich, Julia war der Übeltäter. „Ja sorry. Ich hab’ die genommen. Ist aber schon ein bisschen länger her.“ Die Reaktion haute mich irgendwie um. Julias Antwort kam so leichtfertig, als hätte sie Franzi ein Joghurt aus dem Kühlschrank geklaut. Franzi ist dann jedenfalls ziemlich sauer geworden und Julia musste ihr versprechen, ihr ein neues Rezept zu besorgen „Ja mach’ ich. Kein Problem…“

So ging das dann weiter. Bis Julia eines Tages nicht mehr nach Hause kam. Als wir sie anriefen um zu fragen wo sie ist, sagte sie, dass sie bei ihren Eltern im Haus zum Lernen sei. Als sie allerdings eine Woche später in die Wohnung kam, um Sachen zu holen, nannte sie den wahren Grund: Entzug. Vom Ritalin. Es stellte sich heraus, dass sie sich sage und schreibe 15 Tabletten am Tag reingehauen hatte. Da machen Gewichtsverlust und Lastwagenladungen an Schlaftabletten plötzlich wieder Sinn. Bei einem Konsum von 15 Tabletten täglich kann es außerdem zu Wahrnehmungsstörungen, Psychosen, Halluzinationen, oder unwillkürlichen Bewegungsmustern kommen.

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Wirklich erstaunt aber war ich, als Julia sagte, dass sie für jede Tablette, die sie nahm (bis auf die von Franzi) ein Rezept vom Arzt bekam.  Trotz der Rezepte hatte sie aber Beschaffungsprobleme. An einer anderen Stelle: sämtliche Apotheker aus dem Umkreis stellen sich quer, ihr weiteres Ritalin auszuhändigen. Wie krank ist das bitte? Und in was für einer Welt leben wir, in der ein Apotheker vor deinem Arzt merkt dass ein Suchtproblem haben könntest? Sollte nicht ein Arzt derjenige sein der auf einen verantwortlichen Konsum  achtet?

Seit dem Gespräch habe ich nichts mehr von Julia gehört. Bis auf einer Mietvertragskündigung. Gern hätte ich Julia  gefragt, wie sich ein kalter Entzug anfühlt und überhaupt wie es sich anfühlt wenn man 15 Ritalin am Tag nimmt.

Tatsache ist, dass Julia ihr Ritalin auf legalem Wege bekam und sich damit kaputt gemacht hat.  Viele junge Leute nehmen Ritalin regelmäßig und bekommen es auf legalem Wege. Letzte Woche erst, erzählte mir eine weitere befreundete Konsumentin, dass es ausreiche zum Arzt zu gehen und „Ich bin ETH Student und ich stehe unter enormen Druck“ zu sagen. Schon habe man ein Rezept in der Hand….

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