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Thump

Kult, Wut, Fadenscheinigkeit—Was bei der Berghain-Instagram-Fotoverbotsdebatte übersehen wird

Fans des Clubs schreiben von einem "direkten Angriff auf unsere Kultur" und sind dabei selbst Teil des Problems.

Foto/Imago

Eines der letzten Heiligtümer der Clubkultur unserer Nachbarn ist das Fotoverbot im Berghain. Allerdings ist es keines dieser Verbote, an das sich die Besucher einfach so halten. Aufkleber auf den Kameralinsen der Smartphone-Kompanien und die Androhung von Hausverbot beim Versuch des Fotografierens sorgen für Ordnung.

Wann immer aber dann doch mal ein Foto aus dem Inneren des Berghains gemacht wird und an die Öffentlichkeit gelangt, ist die Empörung groß. Und das, so viel vorweg, zu Recht.

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Seit die Smartphones zum Standardrepertoire nahezu jedes Erdbewohners geworden sind, besteht jederzeit die Möglichkeit, noch den trivialsten Mist festzuhalten. Das Berghain hält seit jeher an seinem Fotoverbot fest und schafft damit einen Raum, in den man vor den Hobby-Paparazzi fliehen kann. Auch andere Clubs haben seit längerem ein Fotoverbot oder es vor kurzem eingeführt.

Das Berghain durchforstet im Zuge seiner No-Photo-Policy auch die sozialen Medien nach Schnappschüssen aus den heiligen Hallen. Vor wenigen Tagen kam es dabei zu einer lustigen Verwechslung. BCR-Mitgründerin Anastasia Filipovna postete auf Instagram ein Bild mit der Unterschrift "Chill out room at berghain", das zudem auch mit dem Ort "Berghain / Panorama Bar" getaggt war. Es sah auf den ersten Blick aus wie die Halle am Berghain, die im Clubbetrieb nur zu besonderen Anlässen geöffnet ist. Das Berghain reagierte und forderte Anastasia zur Löschung des Posts auf.

In Wahrheit war das Bild allerdings aus Game of Thrones, wie sich schnell herausstellte:

Ein von @anastasiafilipovna gepostetes Foto am 14. Aug 2016 um 10:31 Uhr

Mittlerweile hat die Facebook-Seite "Just Berghain Things" in Reaktion auf diesen Fauxpas dazu aufgerufen, Fotos aus dem Berghain oder der Panorama Bar einzusenden und daraus einen eigenen Instagram-Account gemacht.

Please send us your best photos from inside of Berghain for us to publish them anonymously.

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Posted by

Just Berghain Things.

on

Montag, 15. August 2016

Bisher finden sich darunter nicht nur lustige Imitate, sondern offenbar auch echte Aufnahmen aus dem Club, die allerdings niemanden enttarnen. Trotzdem fühlen sich einige Berghain-Fans sehr angegriffen und sehen in den pixeligen Fotos von ein paar Menschen und einer Deckenwand einen "direkten Angriff auf unsere Kultur".

Soweit so gut. Geht es aber nicht um Fotos aus dem Inneren des Berghains, verhalten sich die entsprechenden Anhänger ganz anders. Besucher des Fusion und des Garbicz Festivals, die ebenfalls zum Stammklientel des Clubs gehören, haben sonst auch nichts gegen die etlichen Instagram-Posts, die das Geschehen auf ihren Lieblingsevents jedes Jahr aufs Neue festhalten—obwohl auch diese eigentlich unter sich bleiben wollen.

Hochgradig empört sind sie diese Anhänger dann auch folgerichtig, wenn Journalisten Artikel über ihre Festivals schreiben. Berichtet eine Kollege etwa über die Drogenkontrollen des Zolls beim diesjährigen Garbicz, wirft ihm eine Facebook-Userin kurzerhand vor, den Geist des gesamten Festivals zerstört zu haben: "Das Wesen des Garbicz hat hiermit ein Ende gefunden und eine Zielgerade wird angesteuert, die nicht angesteuert werden sollte!"

Zunächst: Rein logisch gesehen, kann etwas nicht gleichzeitig zu Ende und auf der Zielgeraden sein. Zudem zeigt der Artikel doch, wer das Festival kaputt macht: die (deutschen) Behörden.

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Nicht nur beim Garbicz, sondern auch bei der Fusion fallen die Reaktionen auf Artikel ähnlich aus. Als die ersten offiziellen Bestätigungen kamen, dass die Fusion 2017 ausfallen wird—und Noisey darüber schrieb—, empörte sich mancher darüber, dass überhaupt oder zu viel über die Fusion berichtet wurde:

Selbst wenn der Veranstalter der Fusion sich durch eine eigene Doku über die Geschichte des Festivals selbst präsentiert, wird gefordert: "Jo, nehmt den Artikel doch bitte runter!" Es soll keine Berichterstattung über die Fusion mehr geben, als sei es noch ein Underground-Festival, das vor seiner Kommerzialisierung bewahrt werden soll. Dabei ist es schon längst eines der größten seiner Art in Deutschland.

Über die zahlreichen Fotostrecken auf Flickr und Instagram—gemacht von den Besucherinnen selbst—echauffiert sich allerdings niemand. Dabei findet sich hier ein Ansatzpunkt, um das Erlebnis vor Ort wirklich einzigartig zu machen. Denn die Fotos zuzulassen, sie selbst zu machen, zu teilen und zu liken, soll der Außenwelt doch nur zeigen, wie bunt und kreativ man eigentlich ist. Und man bedient dabei den gleichen, eben noch bemängelten Bruch einer gemeinschaftlichen Verschlossenheit. Aber Selbstdarsteller brauchen immer eine erhöhte Außenwahrnehmung.

Und auf Selbstdarstellung sind auch zahlreiche Berghain-Besucher aus, die sich während der Nacht (oder dem Tag) auf Facebook bei der Clubseite einchecken und hinterher stolz vor dem "Tempel" Selfies machen. Denn sie sind (wieder einmal) in einen Club gekommen, der für sie als exklusiv und mysteriös gilt.

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Das ist alles ist paradox. Aber um das Foto-Verbot zu rechtfertigen, muss du nicht mit hochtrabenden Argumenten wie "Respekt vor der Kultur" kommen.

Es nervt einfach, von irgendwelchen Leuten fotografiert zu werden. Besonders im Club. Denn, wenn du mich fragst, begehen Menschen, die permanent alles fotografisch festhalten müssen, zwei Fehler.

Erstens, erleben sie die Momente, deren Schönheit sie festhalten wollen, nicht mehr wirklich, weil sie mit dem konservieren beschäftigt sind. Zweitens, zerstören sie damit paradoxerweise die Fotografie in ihrem besten Sinne. Denn diese lebt davon, lediglich ausgewählte Eindrücke festzuhalten und zu veröffentlichen. Und nicht jeden Blödsinn.

Dieser Artikel ist zuerst bei THUMP erschienen.

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