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Wie ich aus dem Deutschrap hinausgewachsen bin

Früher habe ich nichts anderes gehört. Heute hören ich kaum noch Deutschrap. Warum eigentlich?

Screenshot via YouTube.

Deutschrap ist keine Musik, sondern eine Lebenseinstellung. Dachte ich zumindest immer. Wer das zweifelhafte Glück hatte, sich in den 00er Jahren als Teenager zu bezeichnen, kam gar nicht daran vorbei, eine Meinung zu Sido, Aggro, Fler, Bushido und diversen Viva Charts-Deutschrappern zu haben. Ich gehörte zu der Fraktion, die Deutschrap immer toll fand.

Auch nach der goldenen Ära der Viva Top 100, habe ich lange Zeit Nate57, MoTrip und diverse Konsorten gehört—quasi alles, was mir 16bars.de ausgespuckt hat. Und meine Freunde auch. Wir waren uns sicher: Deutschrap ist kein Jugendphänomen.

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Weil Deutschrap eben alles kann: Er kann romantisch sein oder auch übertrieben hart und aggressiv. Er untermalt sexy Stunden genauso wie die nächste Trainingseinheit. Deutschrap war unserer Meinung nach zu vielseitig, zu cool und auch zu sehr eine Herzensangelegenheit, um sich tatsächlich jemals davon abwenden zu können. Wer keinen Bock auf trappige Beats hatte, konnte ja Advanced Chemistry und Huss und Hodn hören. Wem F.R. oder Casper zu sentimental war, konnte sich ja Hafti Abi oder Herzog gönnen.

Ich kann mich noch an eine Autofahrt mit meinem Kumpel erinnern—wir waren beide 21 und wir hörten laut Kollegah. Und dann fragte er mich: "Glaubst du, werden wir das noch feiern, wenn wir Kinder haben?" Wir beschlossen, diese Frage zu bejahen. Es war für uns unvorstellbar, jemals was anderes hören zu wollen. Heute—drei Jahre später—hören wir beide eher US-Rap, Techno und nur noch ausgewählte Deutschrap-Hawis.

So ausgewählt, dass Deutschrap nicht mehr die Hauptmusikrichtung ist, die durch unsere Autoboxen dröhnt. Aber bevor man mich hier hatet: Als ich auf der Suche nach Menschen war, die ihre heiße Leidenschaft zu Deutschrap verloren haben, fand ich auch Menschen, die in der Jugend US-Rap gehört haben und jetzt eher Deutschrap hören. Oder auch Menschen, die nach wie vor begeistert sind und deren Interesse nicht abgeflaut ist. Mit den anderen ehemaligen Deutschrap-Ultras habe ich versucht zu analysieren, warum wir nicht wie Kool Savas unsere Leidenschaft behalten konnten. Und warum unsere Liebe jetzt eher untergründig und nicht mehr so einnehmend ist.

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Gangster-Rap fühlt sich oft kindisch an

Kevin hört heute eher US-Rap als Deutschrap. Auf die Frage, warum das so ist, sagt er: "Der deutsche Gangster-Ich-*****-deine-Mutter-Rap ist mir mittlerweile ganz ehrlich einfach zu kindisch. Klar, Amirapper diesen auch, aber meiner Meinung nach mit mehr Niveau." Er hat im alkoholerwerbsfähigen Alter den chilligen Style der Amerikaner zu schätzen gelernt—früher brauchte er rauere und härtere Töne. Und wenn es um Chilligkeit geht, gewinnt auch für mich der US-Rap im Gegensatz zum Deutschrap.

Sarah, die bereits drei Mal zum Splash-Festival gepilgert ist, sagt dazu: "Es ist vielleicht ein blödes Argument, aber vielleicht fühlt sich amerikanischer Gangster-Rap nicht so kindisch an, weil er auf Englisch ist. Statt in meiner Muttersprache. Ich weiß auch nicht, ich bin bei Deutschrap-Texten viel kritischer geworden." Sie widmet sich jetzt auch eher US-Rap. Oder eben ihren alten Deutschrap-Favorites.

Die Rapper wachsen oft selbst aus dem Deutschrap hinaus

Fabian mit seiner Plattensammlung. Foto von Fabian Wenninger.

Die Interviews mit Deutschrappern sind oft spannend—nicht zuletzt wegen ihrer Ehrlichkeit oder dem Unterhaltungswert der einzelnen Rapper. Aber auf die Frage, welche Künstler sie selbst hören, antworten 90 Prozent meiner Lieblingsrapper mit US-Namen. Manche mit französischen Künstlern, manche mit Rap aus UK. Deutschsprachige Kollegen kommen da selten bis gar nicht vor.

Und viele meiner damaligen Lieblingskünstler sind selbst inaktiv geworden—von ihnen kommt kaum was nach und wenn, dann fühlt es sich nach wie vor wie Weihnachten an. Fabian, der in den 90ern schwerer Rap-Fan war und heute eine beachtliche Plattensammlung pflegt, sagt: "Interessant wird's ja vor allem dann, wenn die Künstler auch rauswachsen und dann—so wie so manche Ikone der 90er—wieder zurückkehren: Beginner, Fünf Sterne, usw." Heute hört er noch die alten Sachen aus den 90ern und von den neueren die 187er Straßenbande.

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Eine lange und durchgehende Karriere wie Kool Savas, haben wenige Rapper. Die, die es haben, driften schnell in die Mainstream-Schiene ab und verändern den Sound so, dass sie nicht mit ihren Fans mitwachsen können. Dafür holen sie sich neue und jüngere Fans: Siehe Sido, siehe Bushido. Ansprechen tut es mich aber eher nicht.

Die meisten Raptrends kommen nun mal aus Amerika

Als Fan von Rapmusik und mit Neugierde für neue Entwicklungen, Sounds und Styles im Herzen, kommt man drauf, dass der Weg über den großen Teich oft lange dauert. Manchmal kommt er—je nach Geschmack—gar nicht an. Kevin zum Beispiel findet, es fehlt an Trap-Künstlern im Deutschrap. Sarah vermisst den gechillten Rap. Wer sich also noch für Rap begeistert, der wagt früher oder später den Blick über den großen Teich.

Die jugendliche Neugierde vergeht

Screenshot via YouTube.

Keiner, der von mir Befragten—einschließlich mir—, hört gar keinen Deutschrap mehr. Unsere jugendliche Neugierde und der Sammlungswahn sind einfach nicht mehr so da, wie damals. Außerdem ist der Geschmack feiner geworden: Es gefallen uns mehr Sachen nicht, als dass sie uns gefallen. Zusammen mit der Tatsache, dass viele Artists einfach aufhören oder Pause machen und man einfach nicht jeden Tag auf diversen Rapseiten auf der Suche nach neuen Künstlern ist, hört man eben alte Sachen. Und die hören sich irgendwann tot, bis man sie Monate später wieder in alter Pracht genießen kann.

Die "Früher war alles besser"-Falle

Und nun sitze ich da und schreibe vier Wörter, die ich immer gehasst habe. Vier Wörter, die eigentlich nur von alten Menschen kommen. Aber: Früher war alles besser. Zumindest die Qualität von den heutigen Rap-Pieces, die meinen Geschmack treffen. Vielleicht gibt es sie eh, aber ich finde sie nicht. Zugegeben: Meine aktive Suche ist um 80 Prozent gefallen, im Gegensatz zu vor drei Jahren.

Vielleicht war gar nicht Rap früher besser. Vielleicht war es meine Begeisterung. Vielleicht ist es mit Musik ja so, wie es mit allem im Leben ist: Die Anfangszeit ist spannend und neu, die Hauptphase intensiv und irgendwann sehnt sich der menschliche Geist nach Abwechslung und neuen Hormonräuschen. Und vielleicht kommt das Ganze mit Deutschrap wieder—und wenn nicht: Die alte Track-Sammlung verschwindet nicht.

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