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Bhutan

Die Geschichte hinter Bhutans kleinem Fußballmärchen

Bhutan ist eines der abgeschiedensten Länder der Welt. Seine Fußballnationalmannschaft stand lange Zeit auf dem letzten Platz der Fifa-Weltrangliste, doch ein Sieg gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner hat alles geändert.

Als Kharma Shedrup, Kapitän der Fußballnationalmannschaft Bhutans, nach der Landung auf Sri Lanka eine Zeitung griff, weckte ein Artikel über sein Heimatland seine Aufmerksamkeit. Er überflog ihn, stoppte an einer Stelle, las die Passage ein zweites Mal und fragte sich dann verwundert: „Hat er das echt gesagt?"

Im Artikel kam ein ehemaliger Kapitän der sri-lankischen Landesauswahl zu Wort, der laut Shedrup wie folgt zitiert wurde: „Es macht keinen Sinn, gegen das schlechteste Team der Welt anzutreten. Sri Lanka hat nichts von dem Spiel gegen Bhutan, man kann es nicht mal echte Spielpraxis nennen."

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Als Shedrups Mannschaftskollegen im Hotel ihre Fernseher einschalteten, hörten sie in den lokalen Nachrichten ganz ähnliche Töne. Bhutan wurde von den Nationalspielern Sri Lankas als einfache Gurkentruppe dargestellt. Die einzige Frage, so der allgemeine Konsens, sei eh nur, wie viele Tore sich das kleine buddhistische Königreich einfangen würde.

Mit null Punkten in der Wertung stand Bhutan auf dem allerletzten Platz der FIFA-Rangliste. Zudem war es das erste Mal überhaupt, dass Bhutan an einem WM-Qualifikationsturnier teilnehmen würde.

„Schon bald wusste dank Facebook und Co. jeder in unserer Heimat, dass man in Sri Lanka denkt, dass wir keine würdigen Gegner für sie wären", erzählt mir Shedrup am Telefon.

Unter den Spielern, die Bhutan nach Colombo geschickt hatte, befand sich kein einziger Profi. Die meisten waren Schüler oder Studenten. Das Team hatte sich erst 40 Tage vor dem Spiel gegen Sri Lanka zum ersten Mal zusammengefunden. Mindestens fünf der Spieler hatten noch nie zuvor ein Länderspiel absolviert. Über die meisten anderen gab es schlichtweg keine gesicherten Informationen. Und die wenigen, die zuvor schon mal ihr Land vertreten durften, verloren beim letzten internationalen Auftritt Bhutans gegen die Mannschaften aus Afghanistan und den Malediven 0:3 bzw. 2:8.

Und auch im Match gegen Sri Lanka war nicht unbedingt mit einem deutlich besseren Abschneiden zu rechnen.

Das Changlimithang-Stadion in Bhutans Hauptstadt Thimphu. Foto: Wikipedia

In der Vergangenheit musste man in Bhutan aufgrund fehlender finanzieller Mittel auf eine Teilnahme an WM-Qualifikationsturnieren verzichten. Das sollte dieses Mal anders werden, auch wenn die Entscheidung dazu erst 45 Tage vor der Partie gegen Sri Lanka fiel. Eine entscheidende Rolle spielte dabei der japanische Fußballverband, der zusicherte, der Mannschaft Bhutans die komplette Ausrüstung zu bezahlen. Aufgrund dieser Last-Minute-Entscheidungen war dann durchaus mit Trash-Talk aus Sri Lanka zu rechnen, der aber Bhutan—wie sich bald herausstellte—nur nutzen sollte.

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„Die abfälligen Kommentare unseres Gegners haben uns nur noch mehr motiviert und als Team zusammenrücken lassen. Genau diesen Push haben wir gebraucht", so Shedrup. „Wir wollten der Welt beweisen: Nur weil wir die schlechteste Mannschaft der Fifa-Rangliste sind, heißt das noch lange nicht, dass wir nicht Fußball spielen können."

Am 12. März haben sie genau das unter Beweis gestellt, als sie die Großmäuler aus Sri Lanka dank eines späten Treffers mit 1:0 schlagen konnten. Es war ihr erster Sieg seit sieben Jahren, der Bhutan zum allersten Mal in die Sportschlagzeilen dieser Welt brachte.

Sri Lanka aber glaubte noch immer an ein Weiterkommen. Das Rückspiel sollte nur fünf Tage später in Thimphu, der dritthöchsten Hauptstadt der Welt, stattfinden. Nach nicht einmal 20 Minuten rangen einige der sri-lankischen Spieler schon nach Luft. Kein Wunder, spielte man doch 2.300 Meter über dem Meeresspiegel. Doch auch für den Gastgeber lief es alles andere als rund, was vor allem daran lag, dass das letzte Heimspiel in Bhutan schon 15 Jahre zurücklag und die Mannschaft dementsprechend nervös auftrat. Doch das Publikum gab alles, was in seiner Macht stand. Damit das möglich wäre, hatte die bhutanische Regierung den 17. März kurzerhand zu einem Nationalfeiertag erklärt.

Mit uralten Klöstern, dem Himalaja-Gebirge und einer atemberaubenden Landschaft im Hintergrund bietet das Changlimithang-Stadion eine wohl einmalige Kulisse für Fußballspiele. Und dank der mehr als 25.000 Zuschauer, die sich das Match gegen Sri Lanka nicht entgehen lassen wollten, stimmte auch die Stimmung auf den Rängen (übrigens war es gleichzeitig die größte Volksversammlung in der Geschichte Bhutans). Als der Sensationssieg dann feststand, hat sich die Menschenmenge an eine La Ola gewagt, wenn auch mit bescheidenem Erfolg. Aber was will man erwarten, wenn man weiß, dass der Nationalsport Bhutans eigentlich Bogenschießen ist.

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„Ich werde diesen Tag niemals vergessen. Noch heute habe ich ein Kribbeln im Bauch, wenn ich daran denke", gesteht mir Shedrup. „Man konnte auf den Rängen nur zwei Farben sehen: gelb und orange. Und die Anfeuerungsrufe und Gesänge waren so laut, dass ich nicht verstehen konnte, was mir meine Mannschaftskollegen zugerufen haben."

Chencho Parop Gyeltshen (Mitte), Stürmer der bhutanischen Nationalmannschaft, der beim 2:1-Sieg gegen Sri Lanka beide Tore schoss. Foto: Facebook

Einer der Gründe dafür, warum niemand mit den beiden Überraschungserfolgen des buddhistischen Königreiches rechnen konnte, liegt an seiner geographischen Lage, die es Fußballbeobachtern nicht gerade leicht macht, das kleine Land im Auge zu behalten. Vor allem liegt es aber an seinem Flughafen Paro.

Denn der ist so gefährlich (dank seiner winzigen Landebahnen und der vielen 5000er, die ihn umgeben), dass weltweit nur acht Piloten die Erlaubnis haben, dort zu landen. Einer dieser Piloten ist niemand Geringeres als unser guter alter Bekannter Shedrup, auch wenn der gerade einmal 25 ist. Während seiner Kindheit und Jugend spielte Shedrup liebend gerne Fußball, ihm war aber auch klar, dass er damit in Bhutan kein Geld verdienen würde. Denn in der nationalen Liga ist nur sechs Wochen lang Spielbetrieb, und weder die Vereine noch die Spieler verdienen dabei etwas.

Aber langsam tut sich etwas in dem Königreich. Der bhutanische Fußballverband hat vor drei Jahren die Grundlagen für den historischen Überraschungserfolg gegen Sri Lanka gelegt. So wurde laut Shedrup beschlossen, mehr Geld in die Jugendförderung zu stecken, statt den Etat für einige wenige Spiele im Ausland auf den Kopf zu hauen. Eine Reihe junger Spieler in Bhutans aktuellem Kader sind genau diesem Programm entsprungen. Außerdem wuchs auch das öffentliche Interesse an dem Sport, als das Land 2012 sein erstes Kunstrasenfeld erhielt. Mittlerweile kicken in dem Land rund 5.000 Kinder und Jugendliche, darunter auch 2.000 Mädchen.

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Außerdem hat laut Shaji Prabhakaran, Leiter für regionale Entwicklung bei der Fifa, seine Organisation seit 2012 rund 3 Mio. Dollar für eine bessere Fußballinfrastruktur in Bhutan springen lassen. Am sichtbarsten wurden die Fifa-Investitionen in dem Bau von zwei neuen Stadien mit Kunstrasen in Thimphu. Sie wurden sofort zu einer lokalen Attraktion, denn wie im gesamten Land ist es auch in der Hauptstadt alles andere als leicht, ein ebene Fläche zu finden, die groß genug für einen Fußballplatz ist.

Doch Bhutan ist nicht nur extrem abgeschieden, sondern auch politisch isoliert. Außerdem sind dem Land viele Annehmlichkeiten der modernen Welt noch wenig vertraut. Bis in die 60er hatte das Königreich weder eine Papierwährung noch Krankenhäuser, richtige Straßen, Strom oder diplomatische Beziehungen mit auch nur einem einzigen Land. Rund 70 Prozent von Bhutans 753.000 Einwohnern leben noch immer ohne Strom. Seit 1971 messen sie dort den allgemeinen Fortschritt des Landes mittels Bruttonationalglücks, dem man mehr vertraut als etwa dem BIP.

Und genau in diese Richtung geht auch die Wirkung, die sie sich in Bhutan von Fußball versprechen. Sie wollen die Menschen im Land mit Fußball ein Stück glücklicher machen. „Durch Fußball können wir mehr Glück und Zufriedenheit in meiner Heimat stiften", erzählt mir Bhutans Nationaltrainer Chokey Nima am Telefon.

Die zwei Siege in der WM-Qualifikation haben schon mal ihren Beitrag dazu geleistet. „Das Bild, das die Menschen in unserem Land von Fußball haben, hat sich bereits geändert", so Nima weiter. „Jeder unterstützt uns." Auch für den nationalen Fußballverband haben sich die jüngsten Erfolge vermutlich ausgezahlt. Denn der Verband, der bis dato keinen offiziellen Ausrüstungssponsor sein Eigen nennen konnte, scheint jetzt einen an der Angel zu haben. Solche Nachrichten freuen vor allem die jüngeren Fußballfans im Lande, die kaum eine Chance haben, ihr Team spielen zu sehen, weil Bhutan nur sehr selten Heimspiele austrägt und Auswärtsspiele noch nie im heimischen Fernsehen übertragen wurden.

Stichwort Fernsehen: Erst seit 1999 schaut man in Bhutan überhaupt in die Röhre und war damit auch das letzte Land auf der Welt, in dem ein staatliches Fernsehverbot aufgehoben wurde. Was beileibe nicht jeden Einwohner glücklich gemacht hat, wie ein Guardian-Leserbrief aus dem Jahr 2000 beweist: „Sehr geehrte Damen und Herren, Fernsehen ist schlecht für unser Land, es kontrolliert unsere Gedanken und treibt uns in den Wahnsinn. Der Feind befindet sich direkt in unserem Wohnzimmer. Die Leute verhalten sich wie die Schauspieler in den Serien und werden zunehmend angstvoll, neidisch und unzufrieden." Einige der älteren Spieler im Team sind noch ohne Zugang zu Live-Fußballübertragungen aufgewachsen. Wollte man Spiele bei Weltmeisterschaften sehen, musste man warten, bis die Partien auf Videokassette erhältlich waren.

Der Erfolg der bhutanischen Mannschaft hat auch dazu geführt, dass der Verband aktuell mit einem Fernsehsender über den Verkauf von TV-Rechten in Verhandlung steht. Das würde ohne Zweifel auch den 35-jährigen König von Bhutan freuen, der ein bekennender Fußballfan ist. Und der, so glauben zumindest viele Einheimische, auch direkt mit den beiden Erfolgen gegen Sri Lanka zu hatte.

„Wir glauben, dass meine Mannschaft nur durch den Segen des Königs gewinnen konnte", so Nima.

Ob nun mit oder ohne königlichen Beistand, das Wichtigste ist für Bhutan eh, dass sie nicht mehr das schlechteste Team der Welt sind.