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Interview

Depeche Mode-Gründer Vince Clarke macht mittlerweile „Home House“

Er feierte Riesenerfolge mit Depeche Mode, Yazoo und Erasure. Jetzt hat er uns seine Synthesizer-Geheimnisse verraten, und warum er wirklich bei DM ausstieg.
All photos by Elizabeth Herring

Es ist kaum möglich, Vince Clarkes zentrale Rolle beim weltweiten Siegeszug des Elektropop zu überschätzen. Der als Vincent John Martin im Nordosten Londons geborene Musiker war zusammen mit Dave Gahan, Martin Gore und Andy Fletcher Gründungsmitglied der wegweisenden Synthpop-Band Depeche Mode. Aus seiner Feder stammen die Hitsingles „Dreaming of Me", „New Life", „Just Can't Get Enough" und ein Großteil des Debütalbums Speak & Spell, das 1981 auf Daniel Millers Label Mute erschienen war. Ihre Musik—ganz klar elektronisch und gleichzeitig menschlich, eingängig und voller Pathos zugleich—beeinflusste eine ganze Bandbreite unterschiedlichster Acts wie Nine Inch Nails, Pet Shop Boys, M83, Lady Gaga, zahllose Techno- und House-Produzenten und so ziemlich jeden, der sich irgendwo im Bereich des Elektropop bewegt.

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Kurz nachdem Speak & Spell zu einem Megaerfolg geworden war, verließ Clarke die Band. Er und Sängerin Alison Moyet gründeten dann 1982 Yazoo (auch Yaz genannt), die Synthpop-Perlen wie „Situation" und „Don't Go" hervorbrachten. Wenige Jahre später formierte er mit dem charismatischen Frontmann Andy Bell Erasure, die so zeitlose und mitreißende Songs wie „Oh L'Amour", „Who Needs Love Like That" und „Sometimes" produzierten.

Selbst in diesem unglaublich schematisierten Rahmen ist das ein verdammt beeindruckender Lebenslauf, aber anstatt den extravaganten Rockstar zu geben, ist Clarke ein unglaublich unauffälliger Typ. Als ich für das Interview in Clarkes Zuhause in einer begrünten Straße in Park Slope, Brooklyn, ankomme, finde ich dort einen fast schon übertrieben bescheidenen Künstler, voller Selbstironie und Selbstzweifel vor. „Als es mit Erasure am Anfang nicht wirklich geklappt hat—das erste Album hat sich nicht gut verkauft—, dachte ich mir nur: ‚Das war's. Ich werde mir einen Job in einer Werbefirma suchen müssen'", erzählt Clarke. „Ich mache mir immer noch Sorgen darüber, wie das hier läuft; was ich mache, wenn das alles vorbei ist."

Was Erasure angeht, dürften seine Sorgen überflüssig sein, schließlich befindet sich das Duo gerade mitten in seinen Feierlichkeiten zum 30-jährigen Synth-Pop-Bestehen. Aus diesem Anlass gibt es eine Reihe Re-Releases und ein neues Album (das mittlerweile 16.) ist ebenfalls auf dem Weg. Darüber hinaus dürfte Clarke mit seinen ganzen Nebenprojekten ziemlich ausgelastet sein. Allein in den letzten Jahren hat er zusammen mit seinem ehemaligen Depeche Mode-Kollegen Martin Goe unter dem Namen VCMG ein technoides Album veröffentlicht; Remixes für Plastikman, Goldfrapp, Bleachers, Future Islands und andere gemacht und zusammen mit Jean-Michel Jarre an ein paar Tracks für Jarres Projekt Electronica 1 gearbeitet. Ich bin heute allerdings hier, um mit ihm über sein aktuelles Projekt zu sprechen: eine Kollaboration mit Paul Hartnoll, der einen Hälfte des legendären Rave-Ära Acts Orbital.

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Das Resultat dieser Zusammenarbeit, das gerade erschiene Album 2Square, ist zugleich auch die erste Veröffentlichung von Clarkes neuem Label VeryRecords—„a very small record label dedicated to releasing very fine electronic music", wie es in der Eigenbeschreibung heißt. Das Label ist in gewisser Weise auch eine Art Test für den gestandenen Künstler. „Ich dachte, dass ich mich mal der Herausforderung stellen könnte, einfach alles selbst zu machen", sagt er. „Die Platten mastern, mich um den Vertrieb kümmern, das mit der Promo ausklamüsern … Sonst haben das immer andere Menschen für mich gemacht und ich wusste nicht wirklich, wie ich das angehen soll. Ruft man einfach Leute an und sagt: ‚Hey, hast du nicht Lust, meine Platte zu besprechen?'" Besagte Platte ist, was eigentlich niemanden wundern sollte, eine Four-to-the-Floor Mischung aus Clarkes feinem Popgespür und Hartnolls verträumtem House. Ach, und richtig gut ist sie nebenbei auch noch geworden.

Unser Interview findet in Clarkes Keller statt—einem großen, vertäfelten Raum, der dem feuchten Traum eines jeden Gear-Nerds entsprungen sein könnte. Die Ausstattung hier würde jedem durchschnittlichen Synth-Museum die Schamesröte ins Gesicht treiben. So gut wie jeder Quadratmeter Wand und jede Regalfläche ist von beeindruckendem Equipment besetzt. Ein Prophet 5 hier, ein Doepfer A-100 dort, in der Ecke steht ein Roland System 100m, Moogs, ARPs, Arturias … du dürftest jetzt eine gewisse Vorstellung haben. (Falls du dich fragst, ein paar neuere Modelle und einen Laptop gibt es auch.) Sein Liebling? „Sequential Circuits Pro One wegen den superschnellen Hüllkurvengeneratoren und den abgefahrenen Modulationsmöglichkeiten", sagt Clarke. „Die meisten Sounds auf dem ersten Yaz Album wurden damit gemacht."

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Bei Depeche Mode waren wir wirklich jung und wurden sehr schnell sehr erfolgreich. Es wurde einfach zu viel.

Mit seiner ruhigen und zurückhaltenden, aber gleichzeitig auch freundlichen und offenen Art beantwortete Clarke nur allzu gerne Fragen zu seiner Vergangenheit, seiner Songwritingtechnik und seinem neusten Projekt.

THUMP: Wo kommt eigentlich deine Liebe zur Synthesizermusik her? Ich schätze, dass du wie die meisten Menschen in jungen Jahren eher ein Rockfan warst.
Vince Clarke: Ich habe mich eigentlich sogar mehr für Folkmusik interessiert, als ich jünger war. Aber ich weiß noch, was mein Interesse geweckt hat: Es war die B-Seite von OMDs „Electricity", ein Track namens „Almost". Als ich das hörte … Ich weiß nicht, es war einfach sehr simpel und fühlte sich wie akustische Musik an. Es war voller Emotionen.

Du hast vor ein paar Jahren eine Top 10 Liste mit deinen Lieblingsalben gemacht. Neben Sachen wie OMD, Philip Glass und Kraftwerk tauchten darin aber auch ein paar Überraschungen wie die Sex Pistols und das vierte Album von Led Zeppelin auf.
Led Zeppelin definitiv. Ich stand allerdings nicht wirklich auf sie, als das Album rauskam; das ist erst viel später passiert, als ich eine richtig gute Anlage hatte. [lacht] Die Platte klingt auf Vinyl einfach großartig—vor allem, wenn du sie richtig aufdrehst. Also, allein „Black Dog" … Es ist einfach unglaublich.

Ohne jetzt zu sehr alte Kamellen aufwärmen zu wollen, aber war der oft genannte Anstoß für deinen Ausstieg bei Depeche Mode—dass die anderen düstere Pfade bestreiten wollten als du—wirklich der Grund, warum du die Band verlassen hast?
Ne, das war eigentlich nur, weil wir nicht mehr miteinander klargekommen sind. Wir waren wirklich jung und wurden sehr schnell sehr erfolgreich. Es wurde einfach zu viel. Das fing schon an, bevor das erste Album überhaupt rausgekommen war—drei Singles waren vor dem Album erschienen. Zwei von uns lebten am Anfang sogar noch von Arbeitslosengeld und plötzlich spielten wir Konzerte in Paris.

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Hast du dir nicht sogar den Namen Clarke zugelegt, weil du vom Arbeitslosengeld gelebt hast und nicht wolltest, dass sie mitbekommen, dass du Geld verdienst?
Ja, das musste ich tun. Ich gab ein Interview für eine Zeitung und plötzlich fiel mir ein, dass sie ja über unsere Konzerte schreiben werden.

Erinnerst du dich gerne an diese Zeit zurück?
Es ist schon so lang her, dass ich eigentlich gar nicht mehr darüber nachdenke. Der Kram mit Alison ist da schon etwas präsenter, weil wir [2008] diese Reunion-Tour gemacht haben.

Wie war es, sich 25 Jahre später wieder mit diesen Songs auseinanderzusetzen?
Es war gut. Und komisch. [lacht] Als ich die Aufnahmespuren zurückbekam, erinnerte ich mich wieder daran, wie simpel die alle waren. Da ist wirklich nicht viel drauf. Ich glaube, dass das auch einer der Gründe war, warum sie so gut waren.

Ein anderes deiner frühen Projekte ist natürlich Erasure.
Dieses Jahr sind es 30 Jahre. Wir sind gerade auch dabei, ein neues Album zu schreiben.

Wie ist die Zusammenarbeit mit Andy?
Es ist großartig. Es ist immer noch so gute wie eh und je und wir streiten uns nicht—nie.

Es hilft wahrscheinlich auch, dass ihr nicht die ganze Zeit aufeinander hängt, wie das damals bei Depeche Mode der Fall gewesen sein dürft.
Das stimmt, aber wenn wir zusammen sind, dann funktioniert es einfach. Wenn du mit jemandem zusammen etwas schreibst, musst du dieser Person total vertrauen und sie mit Respekt behandeln. Und das tun wir.

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Ich zerbreche mir nicht den Kopf darüber, den besten Song seit „Yesterday" von den Beatles schreiben zu wollen.

Wir sitzen hier in einem Raum voller Synthesizer—vor allem alte Analog-Synths. Arbeitest du immer noch vorwiegend im Analogbereich?
Heutzutage mache ich normalerweise die ganze Vorbereitung—die Programmierung, das Arrangement und den Rest—am Computer und konvertiere es dann zu Analog. Ich habe früher mal komplett analog gearbeitet—früher war MIDI, was das Timing angeht, ziemlich schlecht. Ich habe es wirklich mit MIDI probiert, aber es gab ziemliche Probleme, also bin ich einfach wieder dazu übergegangen [die alte Synthesizer Kontrollmethode] CV/Gate zu benutzen. Dann ist Logic erschienen und du konntest einfach alles dorthin bewegen, wo es hinsollte, und das war's.

Hat die Tatsache, dass du am Anfang kein Midi benutzt hast, zu der Präzision beigetragen, die dein Material aus den frühen und mittleren 80ern hat?
Nun, das verdanke ich vor allem den Sequencern. Bei Depeche haben wir den ARP 16-Step-Sequencer benutzt. Dann war es der Roland MC-4 und dann der 16-Step Sequencer von einer Firma namens Umi, der dafür gemacht war, um mit dem BBC Micro verwendet zu werden. Die haben alles getan, was wir von ihnen verlangt haben.

Bist du es jemals leid, dass Leute dich ständig über deine Vergangenheit ausfragen?
Nein, das ist mir egal. Ich kann mich sowieso kaum noch an Einzelheiten erinnern!

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Erledigst du hier den Großteil deiner Arbeit?
Für das kommende Erasure Album haben Andy und ich den Großteil des Songwritings in Miami in einem Mietshaus gemacht.

Wie läuft der Schreibprozess ab? Stimmt es, dass du die Songs auf Gitarre komponierst?
Ja, die meisten Demos haben wir mit Akustikgitarre gemacht. Wir halten es gerne möglichst simpel, um an den Melodien arbeiten zu können.

Du scheinst lieber in Kollaborationen als alleine zu arbeiten. Es gibt kaum Solo-Arbeiten von dir, oder?
Nein, keine. Zumindest keine, die ich anderen Leuten vorspielen wollen würde.

Ich weiß nicht, ob das wirklich als Solo-Arbeit durchgeht, aber ein paar meiner Freunde sind Fans deines Lucky Bastard Sample-Packs, das du 1993 veröffentlicht hast.
Ja, das geht schon klar. [lacht] Aber mir gefällt es einfach, mit anderen zusammenzuarbeiten. Und je älter ich werde, desto mehr Spaß macht mir das. Wenn man hier unten arbeitet, kann es schon etwas einsam werden und du läufst Gefahr ein bisschen durchzudrehen. Und wenn du alleine arbeitest, musst du dich manchmal richtig zur Arbeit zwingen. Paul [Hartnoll] arbeitet in einem Gemeinschaftsstudio in Brighton, England. Die tauschen sich dort aus und kritisieren gegenseitig ihre Arbeiten. Ich glaube, ich wäre auch gerne in so einem Umfeld. Es wäre gut, jemanden zu haben, mit dem man so was machen kann.

Es ist schon ziemlich klischeemäßig, das über eine Kollaboration zwischen zwei etablierten Künstlern zu sagen, aber viele von den Songs auf dem Album—„Underwarter" zum Beispiel oder „The Echoes"—klingen wie ein Amalgam eurer jeweiligen, charakteristischen Sounds.
Ja, das hat sich einfach so ergeben. Wenn du mit jemandem zusammenarbeitest, musst du auch offen für die Ideen des anderen sein, sonst ist es ja keine Kollaboration, nicht wahr? Und auch wenn wir ähnlich aufgewachsen sind, haben Paul und ich eine unterschiedliche musikalische Vergangenheit. Orbital ist viel … raviger als eigentlich alles, mit dem ich jemals zu tun hatte.

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Ich schätze, der Songwriting-Prozess ist bei so einer Platte ganz anders als bei Erasure. Mit einer Akustikgitarre wirst du dich dieses Mal nicht hingesetzt haben, oder?
Nein, gar nicht. Wir haben viel mit Samples rumgespielt, sie zerstückelt und so. Das war die Grundlage für viele dieser Tracks. Es war ähnlich wie die VCMG-Platte, die ich mit Martin Gore gemacht habe. Das ist auch das Projekt gewesen, das mich dazu inspiriert hat, ich mehr mit Clubmusik zu befassen. Davor habe ich Clubmusik überhaupt nicht verstanden. Ich hatte noch nicht mal von Beatport gehört. Mir hat es aber richtig Spaß gemacht, dieses Album zu machen, und ich wollte es wieder tun—nur nicht mit Martin. Also, ich habe überhaupt nichts gegen Martin, aber mit ihm hatte ich es ja schon gemacht.

Im Promotext wird die Musik des Albums als „Home House" bezeichnet, was wohl einfach House für zu Hause bedeuten soll, oder?
Mir ist einfach sonst nichts eingefallen, was ich sonst darüber hätte sagen können. [lacht] Wie ich vorhin schon meinte, das ist alles neu für mich. Ich hatte vorher noch nie ein Label und wusste auch nicht, wie man solche Pressesachen macht. Es war jetzt auch nicht ganz ernst gemeint.

Ein paar Tracks sind aber schon ziemlich clubtauglich. Gibt es irgendwelche Pläne, Singles zu veröffentlich?
Gerade nicht. Wir schauen mal, ob es eine Nachfrage gibt. Paul meinte, dass er daran interessiert wäre, ein paar Remixes zu machen, das wäre also ein guter Anlass. Und ich könnte vielleicht auch noch ein paar Bekannte dazu bewegen, schätze ich. Ein paar Leute kenne ich wohl, die da was machen könnten.

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Werdet ihr auch in Zukunft zusammenarbeiten?
Es gibt noch keinerlei Pläne—weder in die eine, noch die andere Richtung. Aber es hat eine Menge Spaß gemacht, vor allem die Zusammenarbeit mit Paul im Studio. Wenn ich heute mit Andy an Erasure Material arbeite—also, wenn wir aufnehmen—macht er den Gesang alleine und ich mache die Musik alleine. Wir setzen uns noch nicht mal für den Mix zusammen, da wir an unterschiedlichen Enden der Erde leben. Bei dem Album mit Martin haben wir alles über das Internet gemacht. Das war jetzt also ein erfrischender Wechsel und außerdem hat er ein echtes Mischpult! Ich habe schon lange keins mehr benutzt. Es hat sich richtig gut angefühlt

Du machst das jetzt schon seit 35 Jahren und hast dabei Erfolge gehabt, von denen andere Künstler nur träumen können. Was motiviert dich, weiter zu machen?
Um ehrlich zu sein, weiß ich das nicht. Ich versuche nicht, irgendjemandem etwas zu beweisen. Ich zerbreche mir nicht den Kopf darüber, den besten Song seit „Yesterday" von den Beatles schreiben zu wollen.

Manche würden jetzt einwenden, dass du durchaus ein paar Songs auf diesem Niveau hast.
Oh, das würde ich nicht sagen. [lacht] Was es aber vielleicht sein könnte, ist diese Idee, in einen solchen Raum zu gehen, in dem wir jetzt sind, mit einfach Nichts—nicht mal einer Idee—und dann mit einem Song wieder rauszukommen. Du hast es nicht wirklich geplant, du hast nichts konzeptualisiert und dann verlässt du diesen Raum wieder mit diesem symphonischen Stück. Es ist unvorhersehbar und das hält es so spannend.

2Square ist jetzt bei VeryRecords erschienen und bei iTunes erhältlich.

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