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Chicago

Meet The Era — eine Dokumentation über Chicagos beste Footwork-Crew

Eine neue, von THUMP produzierte Dokumentation des Regisseurs Wills Glasspiegel rückt die Tänzer der Szene ins Rampenlicht.

Während Chicagoer DJs weiterhin die ganzen Clubs und Festivals der Welt mit feinstem Footwork versorgen, vergisst man schnell, dass Footwork in seinem Kern nicht nur ein Sound, sondern auch eine Dance-Kultur ist. Der Tanz ging der Musik sogar fast zehn Jahre voraus und entwickelte sich im Chicago der 1980er Jahre. Footwork hat seine Wurzeln im „Stepping" verschiedenen House-Tänzen und ist über den Battle-Spirit von Breakdance schließlich in den 90ern zu einer eigenen Dance-Sparte geworden. Charakteristisch für das Genre sind Hochgeschwindigkeits-Rhythmen, Soulsamples, dreckige Lyrics und Triolen-Sub-Bass-Lines, die das Four-to-the-Floor-Grundgerüst des House über seine Grenzen verbiegen und ad absurdum führen. Das hier ist ein Sound, der perfekt auf die Körper der Footwork-Tänzer abgestimmt ist—ein Sound, der furiose Battles anstachelt.

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„Die Musik wurde zum Tanzen gemacht", sagt Chief Manny, ein Footwork-Tänzer aus Chicagos South Side zu THUMP. „Wenn ich Footwork höre, kann ich gar nicht nicht ans Tanzen denken. Es ist also schon irgendwie komisch, dass auf der ganzen Welt alle auf dieses Zeug abfahren, aber von den Tanz-Ursprüngen hier in Chicago keine Ahnung haben oder damit zu interagieren wissen."

In Meet The Era, einer neuen, von THUMP produzierten, Dokumentation von Wills Glasspiegel, treffen wir auf eine Gruppe talentierter junger Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Footwork-Kultur in Chicago und darüber hinaus zu bewahren und weiter voranzutreiben. The Era, die 2014 mitunter von dem inzwischen 25-jährigen von der South Side stammenden Litebulb gegründet wurde, vereint ein paar der besten Battle-Tänzer der Stadt—darunter Chief Manny, P-Top, Steelo und Dempsey—, die die Message verbreiten, dass Footwork eine Kunstform ist, die Musik und Tanz vereint. „Vergesst bitte nicht, wer jeden Tag da draußen ist und Blut und Tränen schwitzt, um wirklich alles für die Musik und den Moment selbst zu geben", beschwört uns Bulb. „Wir bringen diese Tracks zum Leben."

„Wir sind die Leute, die helfen ihre Storys durch den Tanz zu erzählen", erklärt Bulb. „Manchmal ist es schwer, die Tracks von bestimmten Künstlern zu verstehen, aber wenn man einem guten Tänzer dabei zuschaut, wie er ihn interpretiert, dann versteht man ihn sofort und weiß ihn mehr zu schätzen. Die Tänzer geben Menschen dieses anschauliche Bild. Du brauchst einfach beides, Musik und Tanz, um Chicago Footwork wirklich zu verstehen."

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Juke/Footwork Stammbaum mit freundlicher Genehmigung von Booty Tune Records aus Japan

Es gibt zwei verschiedene Geschichten darüber, wie The Era entstanden ist. Bulb erzählt uns eine lustige, von einer glücklichen Fügung geprägte Variante: Litebulb und P-Top, zwei Tanz-Rivalen, wurden für eine Filmszene mit Al Pacino gecastet. Wie es das Schicksal es so wollte, trafen sich zwei Streithähne aus Chicago auf einem Filmset—weit weg von ihrem angestammten Schlachtfeld—und merkten, dass sie mehr miteinander gemein hatten, als sie eigentlich dachten. Ein paar Wochen später fuhr P-Top dann die North Side runter, um Bulb und ein paar seiner engsten Freunde zu treffen—alles gestandene Footwork-Battle-Tänzer mit großen Visionen.

Es gibt aber auch eine komplexere Variante zur Entstehung von Footwork—die historische. In dieser Version begann The Era schon, bevor es überhaupt einen Namen gab. Es war einfach nur eine Gruppe von High-School-Freunden von der South Side, die zusammen auf Footwork abfuhren. Litebulb, Steelo, Dempsey und Chief Manny (zusammen mit ihrem aktuellen DJ, Jody Breeze) fanden schon in jungen Jahren zusammen, wuchsen als Mitglieder der Chicagoer Battle-Crew Terra Squad immer weiter zusammen. Durch TS, wie Terra Squad in Chicago genannt wird, kamen sie auch in Kontakt zu Jeremiah Sterling, einem jungen Tänzer von der South Side. Jeremiah war für viele der hellste Stern einer neuen Tänzer-Generation, die die TS-Family hervorbrachte.

„Jeremiah war so etwas wie der Diamant im Dreck", erinnert sich Dempsey. „Er war der Eine. Er hat Litebulb dazu gebracht, anderen Footwork beizubringen." Bulb ist der gleichen Meinung: „Seine Vision war meine Vision. Er war eine Inspiration für uns alle." Jeremiah bekam die Spitznamen „Miah the Great" und „The Youngest in Carge".

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Jeremiah und Bulb bei der Bud Biliken Parade 2009.

2011 wurde der 16-jährige Jeremiah in einer kleinen Gasse in der South Side erschossen. Sein Tod erschütterte die Footwork-Community und erschütterte auch die Stadt. „Die einzige Art, wie ich damit umgehen konnte, war die Art, wie ich immer mit allem da draußen umgegangen bin", sag Bulb. „Es war immer schon Footworking."

Bulb sagt, dass Jeremiahs Spirit immer noch die gesamte Gruppe beflügelt—genau wie auch die Erinnerung an DJ Rashad, ein weiterer großer Name in der Geschichte von The Era. „Jeremiahs und Rashads Traum ist das, wofür wir gerade leben und kämpfen—der Traum, diese Kultur weiter voranzutreiben, unsere Kreativität zu verbessern und Footwork so weit zu tragen, wie er gehen kann", sagt er.

Jeremiahs und Rahsads Traum war es, die Geschichte und die Tradition des Footworks auch für die nachfolgenden Generationen zu bewahren. „Die Blaupause des Footwork wurde gesetzt und sie wurde an uns durch die Musik und von anderen Tänzern wie AG und Ant Brown weitergereicht", erklärt Bulb. „Bestimmte Moves haben sich einfach etabliert. Das kam alles nicht von irgendeiner abgehobenen Schule, vom Bürgermeister oder so. Footwork hat sich über mehrere Generationen in Chicago entwickelt—und er entwickelt sich immer noch weiter. Er kam von den Schwarzen, von den Jungen und vor allem von den Armen, die etwas brauchen, in dem sie aufblühen können, mit dem sie sich in einer Welt ausdrücken können, die sie ruhigstellt, ausgrenzt … und manchmal auch umbringt."

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VICE: Die Winter in Chicago sind zu kalt, um sie nüchtern ertragen zu können (NSFW)

Wie Bulb es formuliert, ist die treibende Kraft hinter der Vision The Era „Tanz und Musik vereint", die Footwork mit Kontext und Bedeutung auflädt, indem sie den Tanz und schwarze Tänzer in den Vordergrund stellen. The Era ist auch die Antwort von Bulb und der Crew auf die Fragen, die sie plagen. Wie hält man die Dance-Szene in Chicago lebendig? Wie reizt man die Grenzen einer Kunstform im Angesicht von Footworks wachsender Sichtbarkeit und Kommerzialisierung aus? Wie vermittelt man der Welt und der Stadt von Chicago, dass der Tanz genau so bedeutungsvoll wie die Musik selber ist?

„Wir wollen die Botschaft verbreiten, dass schwarze Tänze wichtig sind, dass schwarze Tänzer wichtig sind, dass Footworker wichtig sind", erklärt Bulb in Anlehnung an die ‚Black Lives Matter'-Proteste. „Warum ich das sage? Weil wir marginalisiert werden—sogar auf mehreren Ebenen marginalisiert werden. Tanz wird in der Kunst- und in der Musikwelt marginalisiert. Schwarze Tänze werden wiederum in der Tanz-Szene marginalisiert. Footwork wird unter Schwarzen marginalisiert—es gehört nicht in die Oberschicht. Es geht nicht um Geld. Es wurde nicht von einer Universität oder einer Galerie oder dem Büro des Bürgermeisters geschaffen. Es ist eine reine DIY-Geschichte."

In Meet The Era sehen wir Bulb an unterschiedlichsten Orten tanzen: Battlegroundz, einem Footwork-Mekka an der 87sten Straße in Chicago; auf der Bühne beim Afropunk 2014 und bei einer Reihe von Shows und Workshops in Japan. Die Aufnahmen von ihm und anderen auf einem blauen Basketballfeld wurden während der Dreharbeiten zu RP Boos „Bangin' on King Drive" gefilmt—einem ebenfalls von Glasspiegel gedrehten Video, das von THUMP mitproduziert wurde. Auf diesem blauen Spielfeld wurden Mitte der 2000er eine Reihe historischer Battles nach der alljährlichen Bud Billiken Parade ausgetragen.

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P-Top machte sich schon in einer Battle-Crew von der North Side namens Goon Squad einen Namen. Er ist das einzige Mitglied von The Era, das nicht aus der South Side stammt. Auch wenn sein Körperbau nicht unbedingt auf einen professionellen Tänzer schließen lässt: „Ich bin ein ziemlich breiter Typ, aber ich setze mein Gewicht ein, um mich richtig in die Moves rein zu lehnen und damit Schwung zu bekommen."

Steelo gilt unter vielen Tänzern und DJs als der geschmeidigste Tänzer Chicagos. Oder wie P-Top in Meet The Era sagt: „Das ist Mr. Clean. Du kannst jeden seiner Schritte klar erkennen." Steelo arbeitet tagsüber bei der Fastfood-Kette Shake Shack und war früher Mitglied der TS-Crew.

Dempsey ist ein gestandener Battle-Tänzer. „In der High School war ich der Typ, der es mit jedem aufnehmen wollte", sagt er. „Sobald ich herausfand, dass jemand Footworking macht, ging es rund. An der Bushaltestelle, im Klassenzimmer, überall." Er lebt heute in der Nähe der 79sten Straße und wundert sich immer noch über die ganzen Orte, die er durchs Footwoking besuchen konnte—von London bis Peru. Dempsey war ebenfalls Mitglied von TS.

Chief Manny—nicht zu verwechseln mit dem ebenfalls aus Chicago stammenden DJ Manny—ist Tänzer und Kopf vom Era-Media-Team. Er ist Trickfilmzeichner, Illustrator und hat bei seiner Arbeit mit Glasspiegel gelernt, Dokumentarfilme zu produzieren. Chief Manny war ebenfalls Teil von TS. Er lebt — natürlich — auch in der South Side, ganz in der Nähe von Dempsey und Bulb.

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Dana Givens und Deedee Stallworth managen die Crew. Sie organisieren die Proben, kümmern sich ums allgemeine Geschäft und halten die Gruppe im Lot. „Eigentlich sind wir einfach nur Freunde", sagt Dana. „Und das wird sich auch so schnell nicht ändern."

Seit der Gründung von The Era 2014 hat Glasspiegel (der selber aus Chicago stammt) die Gruppe für einen ausführlichen Dokumentarfilm mit der Kamera begleitet und ist mit ihr umhergereist. Der Film wird eine Reihe von Geschichten über die Welt des Chicago Footwork erzählen, die auf der Zeit basieren, die Glasspiegel seit 2009 mit Künstlern von Teklife und The Era verbracht hat. Die Kurzdokumentation Meet The Era wurde im Zeitraum zwischen 2014 und 2015 gefilmt. Sie bietet eine kurze Vorstellung der Crew und funktioniert auch als Trailer für den anstehenden Film. Glasspiegel und Litebulb wurde vor Kurzem der Crossing Borders Kunstpreis der Universität von Chicago verliehen, der es ihnen ermöglicht, eine Reihe von archivarischen Multimediaprojekten über die Geschichte und die Zukunft von Footwork zu realisieren.

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