Wir haben am Women's March mit einer Schwarzen Feministin gesprochen

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Wir haben am Women's March mit einer Schwarzen Feministin gesprochen

Jovita Pinto von Bla*Sh über die wenig bekannte Perspektive der Schwarzen Frau im Schweizer Feminismus.

Alle Fotos vom Autor 15.000 Frauen und solidarische Männer zogen am Samstagnachmittag hinter einem Women's-March-Banner durch Zürich, um für mehr Vielfalt, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung in der Gesellschaft einzustehen. Das Banner, auf dem drei verschiedenfarbige Frauengesichter abgebildet waren, wurde dann auch von einer bunt durchmischten Frauengruppe marschieren geführt: Einige trugen anstelle eines Pussyhats ein Kopftuch, andere hatten ihre Kinder dabei und manche unterschieden sich in ihrer Hautfarbe.

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Feminismus hat heute viele Gesichter – das Bewusstsein und der Diskurs über die Intersektionalität von Geschlecht, Ethnie, Religion und Aufenthaltsstatus scheint mittlerweile auch in der Schweiz angekommen zu sein. Gemäss Jovita Pinto – Assistentin am interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Uni Bern sowie Aktivistin bei Bla*Sh (Black She), einem Netzwerk für Schwarze Frauen in der Deutschschweiz – wird die Perspektive von Women of Color (nicht-weisser Frauen) und auch muslimischer Frauen in der Schweiz jedoch nicht nur im öffentlichen Diskurs, sondern auch innerhalb der feministischen Bewegung, noch immer zu wenig beachtet.

Wir trafen Jovita im Anschluss der Schlusskundgebung des Women's March, um mit einem Appenzeller-Punsch auf ihren 33. Geburtstag anzustossen und gleichzeitig der Frage nachzugehen, welche Hindernisse schwarzen und muslimischen Frauen in der Schweiz im Wege stehen:

VICE: Welche Rolle kommt Schwarzen Frauen im Schweizer Feminismus zu?
Jovita: Unsere Aufgabe innerhalb der feministischen Bewegung sehe ich im Insistieren auf intersektionalen Ansätzen. Der Women's March ist da auch Ausdruck davon: Wir hatten muslimische und Schwarze und nicht-binäre Menschen im Organisationskomitee. Für uns war klar, dass wir diese Perspektiven in der Bewegung integrieren wollten. Für mich ist es die Voraussetzung dafür, dass man überhaupt von Feminismus sprechen kann.

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Stellst du fest, dass Feminismus in der Schweiz manchmal dazu instrumentalisiert wird, um rassistische Argumente zu artikulieren?
Das kommt oft vor. Weisse Frauen und Männer, die Schwarze Frauen vor Schwarzen Männern retten wollen, das ist eine kolonial-rassistische Idee und zeigt sich heute exemplarisch in der ganzen Verschleierungsdebatte. Rund ums Burkaverbot und zum Kopftuch äussern sich weisse Frauen und Männer dazu, wie unterdrückt Muslimas sind, um sie möglichst aus dem öffentlichen Raum auszuschliessen, während muslimische Feministinnen in der Debatte kaum zu Wort kommen. Zudem werden viele muslimische Frauen, die Kopftuch tragen, von gewissen Jobs – beispielsweise als Lehrerinnen – systematisch ausgeschlossen, während es ihnen aber erlaubt ist, in denselben Schulen als Reinigungskraft zu arbeiten.

Wovon fühlst du dich als Schwarze Frau in der Schweiz eigentlich stärker betroffen: von Sexismus oder von Rassismus?
Ich kann ja nicht wählen: Ich werde immer als Schwarz und weiblich gleichzeitig wahrgenommen. Tatsächlich denke ich aber, dass wir viel zu wenig über Sexismus in unserem Alltag sprechen – und noch weniger über Rassismus. Das Spannende am intersektionalen Feminismus ist, dass es nicht nur um die Frauen geht, sondern breiter um unterschiedliche Geschlechterzuschreibungen und wie diese mit anderen Kategorien, wie etwa Aufenthaltsstatus, Klasse oder Sexualität, in Verbindung stehen. So müssen auch marginalisierte Männlichkeiten mitgedacht werden. Es gibt das mächtige Stereotyp von kriminellen, nicht-weissen Männern, die nicht in die Schweiz gehören.

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Durch Racial Profiling wird dieses Bild weiter gestärkt. Wenn also People of Color aufgrund ihres Aussehens von der Polizei kontrolliert werden, hat das mit diesem Stereotyp zu tun. Dabei werden die kontrollierten Menschen nicht nur erniedrigt und entmachtet, sondern auch das Zeichen gesetzt, dass diejenigen Menschen, die nicht kontrolliert werden, besser sind. Schwarzer Feminismus hat in seiner Geschichte immer auch auf Community Empowerment fokussiert und ist somit über die eigene identitäre Position der Schwarzen Frau hinausgegangen. Deswegen ist es wichtig, sich mehr mit diesen Ansätzen auseinanderzusetzen.

Wie ist Bla*Sh entstanden?
Das Netzwerk ist 2013 im Anschluss an zwei Veranstaltungen entstanden. Im selben Zeitraum wie im Theater Stadelhofen das Vermächtnis der US-Feministin Audre Lorde erinnert wurde, feierte der Treffpunkt Schwarze Frauen in Zürich sein 20. Jubiläum mit der Veröffentlichung des Buches Terra Incognita. An den Veranstaltungen wurde festgestellt, dass Schwarzer Feminismus auch in der Schweiz eine Geschichte hat, die bis in die 1980er Jahre zurückreicht. Diese wird aber sowohl in der Gesellschaft wie auch innerhalb des Feminismus oft nur als Nebenschauplatz wahrgenommen. Das ist schade, denn ich glaube, vom Schwarzen Feminismus kann die Gesellschaft viel lernen.

Woran denkst du dabei?
Schwarzer Feminismus bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Sexismus und Rassismus. Tatsächlich denken wir bei Rassismus immer noch häufig an Männer und bei Sexismus an weisse Mittelschichtsfrauen. Schwarze Frauen sind von beidem betroffen, aber bleiben oft unsichtbar und haben dadurch von den Emanzipationsbewegungen am wenigsten profitieren können. Der Blickwinkel, den man von dieser Position aus auf die Gesellschaft hat, verrät viel darüber, welche Machtbeziehungen bestehen und was man an der Gesellschaft ändern sollte. Wenn das Ziel weniger Ungleichheit ist, braucht es die Perspektive von den am stärksten Marginalisierten – das sind in der Schweiz nicht unbedingt nur Schwarze Frauen, auch andere soziale Kategorien spielen eine Rolle. Dafür müssen aber die marginalisierten Positionen angehört und anerkannt werden. Das ist eine Erkenntnis, die ich auch aus dem Schwarzen Feminismus habe, zu fragen, welche marginalisierte Position unsichtbar geblieben ist.

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Du bist seit 15 Jahren politisch aktiv. Was waren die wichtigsten Veränderungen, die du seither miterlebt hast?
Angefangen hatte ich bei der Antirassismusgruppe Sankofa, einer Plattform für Menschen mit afrikanischem Hintergrund. Die anderen in der Gruppe waren aber hauptsächlich Männer und viel älter. Nachdem ich dann in die Geschlechterforschung kam und mich in feministischen Zusammenhängen bewegte, konnte ich die beiden Themen zusammenbringen. Viel verändert hat sich leider nicht, damals wie heute beschäftigt mich die Unsichtbarkeit verschiedener Positionen von gewissen Menschen, die in dieser Gesellschaft gar nicht zum Thema werden und in dominanten Diskursen im Feminismus sowie in der Antirassismusdiskussion nicht sichtbar sind. Die Kategorie der Schwarzen Frau verkörpert diesen Missstand noch immer sehr gut.

Woran liegt das deiner Meinung nach? Und was sind die größten Hindernisse, um die Sichtbarkeit dieser Menschen herzustellen?
In der Schweiz ist man noch immer der Meinung, dass Rassismus kein grosses gesellschaftliches Thema ist. In der postkolonialen Forschung in der Schweiz wird seit etwa 15 Jahren untersucht, wie die Schweiz in kolonialen Projekten involviert war und was das für Auswirkungen auf unsere heutige Gesellschaft hat. Von Beiträgen zur Rassenforschung, über militärische Einsätze und Wirtschaftsbeziehungen, bis hin zu Museen, in denen heute noch Produkte aus den Kolonien ausgestellt werden oder Kinderbüchern, die heute neu aufgelegt werden. Die Verbindungen sind also da. Im Kolonialismus strukturierte der Rassismus die ganze Gesellschaft. Aber dafür gibt es in der Schweiz kaum Anerkennung. Die dominante Position ist, dass die Schweiz als Binnenland keine koloniale Geschichte hat und wir erst erst ein Rassismusproblem haben, seit Eingewanderte aus der "Dritten Welt" gekommen sind.

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Wie wirkt sich die Negierung der eigenen Geschichte auf den öffentlichen Diskurs aus?
Wenn People of Color in der Öffentlichkeit reden, dann werden ihre Aussagen entweder komplett ignoriert oder heruntergespielt. Oft werden sie als Einzelfälle dargestellt, aber Rassismus sei nichts Strukturelles. Dadurch spricht man ihnen gleichzeitig die Legitimität ab, sich in der Öffentlichkeit zu äussern. Das ist natürlich ein grosses Hindernis für People of Color, um ihre Erfahrungen mit und ihre Expertise zu Rassismus in der Schweiz in die Öffentlichkeit tragen zu können.

Wer hatte dich inspiriert, als du vor 15 Jahren mit dem Aktivismus angefangen hast?
Mein Bruder hatte mir das Buch Farbe bekennen von Katharina Oguntoye und May Ayim geschenkt. Besonders May Ayim war für mich mit ihrer afrodeutschen Geschichtsforschung eine Inspiration. Anders als amerikanische oder afrikanische Feministinnen berichtete sie über das Schwarzsein in Deutschland, was viel näher an meiner eigenen Lebensrealität lag. Wegen ihr wusste ich, dass es einen Raum gibt, aus dem raus ich für mich einstehen kann. Aber auch Audre Lorde oder bell hooks waren und sind für mich wegweisend. Bell hooks hat sich viel mit der Popkultur auseinandergesetzt. Sie hat gezeigt, dass Beyoncé genauso ein legitimes Forschungsthema darstellt wie ein politischer Diskurs über Entwicklungszusammenarbeit.

Wo sollten junge Aktivistinnen anknüpfen, die heute anfangen wollen, aktiv zu werden?
Es ist wichtig von der Idee wegzukommen, dass Rassismus nichts Systematisches ist, oder etwas, womit jeder oder jede alleine klar kommen muss, sondern man muss Rassismus als gesellschaftliches Problem behandeln. Dann müssen viele Diskussionen geführt werden, unter Freund*innen, im Bekanntenkreis, in der Familie oder in den zahlreichen Projekten, in denen man sich einbringen kann. Weisse müssen zuhören und anerkennen, dass sie blinde Flecken haben, die sie nur mit dem Wissen von Marginalisierten überwinden können. People of Color müssen sich gegenseitig unterstützen, damit sie gestärkt über ihre Rassismuserfahrungen sprechen können. Das sind die Erfordernisse, um gemeinsam antirassistische Arbeit zu machen.

Wie kann ich die Bewegung als weisser, heterosexueller Cis-Mann unterstützen?
Viele weisse, heterosexuelle Cis-Männer sind sich noch gar nicht bewusst, dass sie sich in einer privilegierten Position befinden. Lernt, was diese Begriffe bedeuten, am besten mit den Menschen im Umkreis, die nicht über dieselben Privilegien verfügen. Zeigt eure Unterstützung, handelt als Verbündete, wenn ihr darum gebeten werdet, respektiert das Bedürfnis von Schwarzen Frauen nach eigenen Räumen. Und seht zu, dass ihr die Räume, in denen ihr noch unter euch seid, auch für muslimische, Schwarze Frauen* und People of Color allgemein sowie Trans* und nicht-binäre Menschen öffnet. Die Gesellschaft kann nur gerechter werden, wenn sich die weissen, heterosexuellen Cis-Männer verändern und Lernarbeit leisten.

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