Goldfrapp sind das beste Beispiel dafür, dass ein ruinierter Ruf ein guter ist

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Goldfrapp sind das beste Beispiel dafür, dass ein ruinierter Ruf ein guter ist

Alison Goldfrapp hat uns erklärt, wie sie eine noch größere Karriere ausgeschlagen hat, um glücklich zu bleiben, und warum sie unbedingt mal ins Berghain will.

Alison Goldfrapp und Will Gregory im Selbstporträt. Alle Fotos sind Promofotos

Mensch, wie die Zeit vergeht, wirst du dir jetzt denken. Also zumindest, wenn du etwas länger dabei bist: Auch schon wieder 17 Jahre her, dass Goldfrapp ihr erstes Album veröffentlicht haben. Das Duo aus Alison Goldfrapp und Will Gregory ist mit Felt Mountain aus dem Stand zu einer Kult-Band geworden, wenn man diesen so schwer gebeutelten Ausdruck auch mal wieder positiv besetzen darf. So ähnlich wie Boards of Canada, Portishead oder Broadcast, aber auch wieder ganz anders.

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Denn den einen Goldfrapp-Sound gibt es nicht. Hier mal ein kurzer Abriss:

Goldfrapp sind ein musikalisches Mischwesen, das sich auf fast jedem Album neu ausgerichtet hat: Felt Mountain (2000) war ein großes, schwelgerisches Melodram zwischen Trip-Hop und Schlafzimmer-Pop, und die halbe Welt war begeistert. Zwei Jahre später kamen mit Black Cherry die Beats ins Spiel, auf Supernature (2006) war der Mix aus Electroclash, Disco und Glam-Pop noch perfekter abgestimmt. Es folgten: Grammy-Nominierung, Platin-Status, ein Riesenhit mit "Ooh La La".

Alles schien jetzt möglich. Und was machen Goldfrapp?

Machen mit Seventh Tree (2008) das komplette Gegenteil davon, womit sie berühmt wurden, nämlich verspulten, leicht elektronisch unterfütterten Folk. Jetzt waren alle recht irritiert, auch von den folgenden Platten, die immer wieder ähnlich das Ruder herumrissen. Trotzdem folgt die eingeschworene Goldfrapp-Fangemeinde ihrer Band, wohin auch immer es sie verschlägt. Nur, der Eindruck, den Goldfrapp mit ihren ersten Platten hinterließen, bleibt unauslöschlich.

Man nennt sowas gern "Phänomen". Und ein Phänomen zeichnet sich auch dadurch aus, dass es viele einfach nicht verstehen. Bei dieser Band geht es um irgendetwas anderes. Was genau ist schwer zu sagen. Es hat jedenfalls sehr viel mit Alison Goldfrapps Persönlichkeit und ihrer ätherischen Stimme zu tun, die jeden Song immer ein bisschen verwunschen klingen lässt. Und weil Goldfrapp, erstens, mit Silver Eye eines neues Album auf Mute veröffentlichen, auf dem sie leicht bratzige Elektropop-Tracks, mystische Balladen und alles dazwischen zusammenbringen, und Alison, zweitens, dafür nach Berlin kam, habe ich selbst versucht, das Rätsel zu lösen.

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THUMP: Alison, es gab Zeiten, da nannte man Goldfrapp in einem Atemzug mit Madonna. Ihr wart dabei, echte Superstars zu werden. Warum habt ihr das vergeigt?
Alison Goldfrapp: Interessant, oder? Darüber habe ich auch oft nachgedacht. Es ist mir bewusst, dass wir mit Supernature eine große Platte hatten, die uns viel Aufmerksamkeit einbrachte. Dann haben wir ein neues Album gemacht, das komplett anders war! So ruiniert man seinen Ruf.

Wir haben unseren Kopf durchgesetzt, anstatt Karriere zu machen. Wieso? Ich mag keine Formeln, ich will atmen können und frei sein, so weit es geht. Wir hätten eine ähnliche Platte machen können. Vielleicht hätte ich mehr Interviews geben, in noch mehr TV-Shows auftreten und noch mehr bei diesem Spiel mitmachen können. Aber ich hab's nicht gemacht. Ich habe mich anders entschieden.

Trotzdem herrscht um Goldfrapp ein kleiner Kult. Ein Blick in die Online-Kommentarspalten macht das schnell klar. Wie schafft man es, sich eine so ergebene Fangemeinde aufzubauen?
Wir haben wirklich großes Glück, so treue Fans zu haben. Bei unseren Shows treffe ich natürlich viele von ihnen und kommuniziere mit manchen auch auf Twitter und Instagram. Ich halte da eine kleine Verbindung und das ist auch sehr schön. Man sollte ja ein Gespür dafür haben, wie die eigenen Fans ticken. Aber es würde es mich total überwältigen, all die Sachen über uns zu lesen.

Dieses Mal wollte ich richtig fette, große Bässe haben, einen fast eisigen Sound, den man nur digital erzeugen kann.

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Wie tickt denn ein typischer Goldfrapp-Fan?
Den gibt es glaube ich nicht. Es ist auf jeden Fall eine starke Mischung, auch altersmäßig. Das macht mich übrigens besonders stolz.

Viele THUMP-Leser sind gerade mal so alt wie eure Band. Denkst du, dass ihr mit dem neuen Album auch bei den Jüngeren punkten könnt?
Ach, in unserem Alter werden wir wohl nicht mehr so viele neue Fans dazu gewinnen. Aber wer weiß? Letztens habe ich in einer Buchhandlung auch ein tolles Lied gehört und mir vom Verkäufer gleich den Künstler aufschreiben lassen. Zufallsentdeckungen gibt es immer, aber ich würde mich nicht darauf verlassen, dass wir noch mal ein ganz neues Publikum erschließen.

Goldfrapp leiden an einem klassischen Problem: Viele vergöttern vor allem das Debüt Felt Mountain und wünschen sich mit jedem neuen Album eine Rückkehr dort hin. Immerhin macht es den meisten dann aber nichts aus, wenn es doch wieder nicht so ist.
Ich weiß, das erste Album nimmt ganz oft einen wichtigen Platz ein. Aber man kann solche Momente nicht wiederholen.

Würdest du gerne?
Es wäre wundervoll, wenn die Leute ein Album wieder so ins Herz schließen würden. Viele verbinden Felt Mountain mit ganz bestimmten Momenten in ihrem Leben. Unseren damaligen Sound aufzuwärmen, fände ich sinnlos. Schöner wäre, das Leben von jemandem wieder mit etwas ganz Besonderem zu bereichern.

Also wird jedes neue Album an Felt Mountain gemessen?
Nein, das nicht. Dadurch, dass wir jedes Mal versuchen, etwas ganz Anderes zu machen, konnte ich mich von diesem Zwang befreien. Die Alben lassen sich ja kaum vergleichen. Mit Silver Eye bewegen wir uns eher in der Welt von Supernature und Black Cherry, aber es fühlt sich wie Hybrid an. Es gibt Themen, Stimmungen und Sounds aus allen Goldfrapp-Phasen.

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War das auch deine und Wills Vorstellung, wie Silver Eye klingen soll?
Mir war wichtig, dass es digital klingt. Wir besitzen viele schöne analoge Synthesizer, aber dieses Mal wollte ich richtig fette, große Bässe haben, einen fast eisigen Sound, den man nur digital erzeugen kann. Wir wollten auch mehr Raum schaffen. Auf früheren Alben haben wir immer viel übereinander geschichtet und verdichtet. Das haben wir reduziert.

Für die elektronischen Feinarbeit kam Bobby Krlic alias The Haxan Cloak in euer Studio, und man kann seinen Einfluss stellenweise deutlich hören. Sollte damit eine Verbindung zur heutigen elektronischen Avantgarde herstellt werden?
Wir waren auf der Suche nach jemandem, der Drum-Programming beherrscht. Als ich einen interessanten Song hörte, bat ich die Plattenfirma, herauszufinden, wer dafür verantwortlich ist. Ich hatte noch nie von ihm gehört, ehrlich! (lacht) Es war wirklich inspirierend, ihn dabei zu haben. Er ist Anfang 30 und technisch so versiert, so schnell mit Dingen, die Will und mich tagelang beschäftigen würden.

Auch Mute-Chef Daniel Miller hat wie immer seine Expertise und Meinung einfließen lassen. Ist er immer noch ein Mentor?
Das ist er für jeden seiner Künstler. Er ist einzigartig, alles andere als ein typischer Labelboss.

Was hältst du denn von seiner DJ-Kunst?
Leider habe ich bisher nur seine Podcasts gehört! Ich sollte unbedingt mal zu ihm ins Berghain gehen, da spielt er doch öfters, nicht?

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Ich spüre oft ein Verlangen, alles Vertraute zu verlassen, vielleicht sogar nicht mehr menschlich zu sein und zu etwas anderem zu gehören.

Ja, und er mag seinen Techno gerne hart. Ich glaube du hast in alten Interviews immer gesagt, dass dir Dance Music egal sei. War das so?
Haha, oh ja, wahrscheinlich habe ich das gesagt. Ich war damals ein bisschen rebellisch. Alle haben uns als Dance-Act abgestempelt. Es gab auch offensichtliche Verbindungen dazu, aber eben auch zu vielen anderen Dingen. Dass man das nicht stärker wahrgenommen hat, fand ich frustrierend. Eigentlich meinte ich es so: Dance Music ist mir nicht egal, aber ich habe absolut keine Ahnung von dieser Szene.

Lass uns noch über die Themen auf Silver Eye reden – kurz gesagt geht es um Esoterik, Mystizismus und Anthropomorphismus, mehr als je zuvor. Was fasziniert dich an dieser, pardon, Märchenwelt?
Seit Menschengedenken erzeugen wir diese Bilder. Schon als Kind zeichnet man diese verrückten Kreaturen, halb Mensch, halb Monster. Es ist Teil unserer Psyche, die griechische Mythologie ist voll damit. Ich spüre oft ein Verlangen, nicht nur mit mir selbst zu sein, sondern in der Natur – alles Vertraute zu verlassen, vielleicht sogar nicht mehr menschlich zu sein und zu etwas anderem zu gehören. Das klingt wohl extrem albern, aber ich spüre diese Dinge.

"Silver Eye" bezieht sich auf den Mond. Der Mond, das alte Auge, beobachtet uns also?
Das hoffe ich zumindest! Ich fühle mich sehr geborgen, wenn ich aus dem Fenster schaue und den Mond sehen kann. Es ist beruhigend, ihn da oben zu wissen.

Ohne den Mond hätten wir auf der Erde auch ein Riesenproblem.
Ja. Der Mond ist auch etwas, das sich dem menschlichen Zugriff immer noch entzieht. Und davon gibt es wirklich nicht mehr viel in unserer Umgebung.

Goldfrapp Silver Eye erscheint am 31. März auf Mute.