FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Warum manche Autisten Zahlenzauberer sind

Der Tatort „Schwanensee” hat den genialen Autisten entdeckt.
Bild: ARD

Während der Großteil aller Schüler vor einer Stochastik-Klausur kein Auge zu tut und selbst Erwachsene gelegentlich noch unter Mathealbträumen leiden, können einige wenige Autisten bereits mit drei Jahren schon Computer programmieren und entwickeln mit neun eine revolutionäre Rechenformel. Dieses bei einigen wenigen Autisten ohne Intelligenzminderung vorhandene Talent zur Zahlenmagie wurde schon als Motiv bei Rain Man und Big Bang Theory aufgegriffen und hat nun seinen Weg in den Tatort „Schwanensee" gefunden. Doch was macht Autisten eigentlich zu solchen Mathegenies?

Anzeige

Professor Bourne spricht im Tatort „Schwanensee" mit dem autistischen Rechengenie Andreas Kullmann. Bild: ARD

Eine Studie der Universitäten Ohio State und Yale fand heraus, dass eine grundlegende Gemeinsamkeit von Wunderkindern und autistischen Genies ihr ausgeprägtes Arbeitsgedächtnis ist. Dabei handelt es sich um den Teil des Gehirns, an dem Dinge gespeichert werden, die bald wieder benötigt und weiterverarbeitet werden. Die meisten Menschen können sich im Arbeitsgedächtnis ungefähr siebenstellige Zahlen merken, Wunderkinder jedoch behalten nicht nur wesentlich längere Nummern im Kopf, sie können gleichzeitig komplizierte Berechnungen mit ihnen ausführen ohne sich auch nur eine Notiz zu machen.

Vielleicht liegt die Antwort auf diese immense Rechenkapazität einmal mehr in unseren Genen versteckt: Eine weitere Studie der Ohio State University hat einen Genlokus auf Chromosom 1 ausgemacht, welcher die Wahrscheinlichkeit für Autismus wie auch Wunderbegabungen erhöht. Warum jedoch nicht jedes Genie gleichzeitig Autist ist, erklärte die Haptautorin der Studie Joanne Ruthsatz in einem Interview mit dem Nachrichten-Sender PBS: „Wunderkinder scheinen ein Protein zu produzieren, welches die Defizite des Autismus unterdrückt und ihre Talente durchscheinen lässt."

Mathegenie wütet, weil niemand seinen 500-Seiten-Beweis der ABC-Vermutung liest

Einige Autisten zeigen bei der Lösung mathematischer Probleme enorme Aktivität in dem Bereich des Gehirns, der normalerweise für die Erkennung von Gesichtern zuständig ist. Je mehr sich die neurale Aktiviät in diesem Bereich des frontalen granulären Cortex von den nicht-autistischen Teilnehmern der Kontrollgruppe unterschied, desto besser waren die Fähigkeiten zur Lösungsfindung ausgeprägt. Was auch eine Erklärung dafür sein könnte, dass viele Autisten Schwierigkeiten haben, Mimik und Gefühle in Gesichtern abzulesen.

Anzeige

Die zu dieser Entdeckung zugehörige Studie fand ebenfalls heraus, dass Autisten in der Bearbeitung von Rechenaufgaben viel komplexere mentale Strategien benutzen als der durchschnittliche Hobbymathematiker. „Diese Studie bringt Licht in einen Bereich des Autismus, der bisher wenig erforscht wurde", so Rajesh Kana, Psychologe an der University of Alabama at Birmingham, bei Spectrum, einem Magazin für wissenschaftliche Autismusnachrichten. „Wir brauchen noch mehr solcher Studien, um die Ergebnisse zu wiederholen."

Für die Lösung der Aufgaben in der Studie, bedienten sich die autistischen Teilnehmer in 22 Prozent der Rechenfälle einer Zerlegung der Aufgabe. Das außergewöhnliche mathematische Talent scheint also nicht lediglich auf eine besonders gute Gedächtnisfähigkeit zurück zu führen zu sein. „Es könnte sein, dass sie sich auf einer fortgeschritteneren Stufe der mathematischen Entwicklung befinden als andere Gleichaltrige", vermutet Vinod Menon, Professor für Psychiatire und Verhaltenswissenschaften an der Standford University und Leiter der Studie.

Der einsame Programmierer Gottes: Terry Davis hat die vergangenen 10 Jahre damit verbracht, ein Betriebssystem für die Kommunikation mit Gott zu erschaffen

In Familien, in denen Autismus oder Asperger diagnostiziert wurde, sind die Angehörigen mehr als doppelt so oft in technischen Berufen tätig als in Familien, ohne diese neurologische Ausprägung, schreibt Simon Baron-Cohen, Autismusforscher an der Universität Cambridge in einer seiner zahlreichen Studien. Es werden zum Beispiel auch Albert Einstein autistische Züge und Bill Gates Asperger, eine eher milde Variante innerhalb des Autismusspektrums, nachgesagt.

Anzeige

Allerdings ist nicht jeder Autist gleich ein Mathegenie und nicht jeder Autist denkt auf die gleiche Weise. So gibt es drei unterschiedliche Denkmodelle, in welche autistische Personen kategorisiert werden können. Hierbei werden die visuellen Denker (Objekte), die mathematisch-musikalischen Denker (Muster und Prozesse) und die verbal-logischen (Listen und Zahlen) Denker aufgeführt. In ihren Denkprozessen sind diese Personen sehr ihrer jeweiligen Wahrnehmung und der Arbeitsweise ihres Gehirns ausgesetzt, wobei sie in diesen speziellen Bereichen ausgesprochene Höchstleistungen erreichen können.

Der Artist Andreas Kullmann nach seinem morgendlichen Badegang im Therapiezentrum „Haus Schwanensee". Bild: ARD

Wie auch im aktuellen Müsteraner Tatort „Schwanensee" werden Autismus und Inselbegabung (auch Savant-Syndrom) oft in einem Atemzug genannt, wobei jedoch lediglich einer von zehn Autisten eine solche Inselbegabung aufweist. Hierbei handelt es sich um das Phänomen, dass Menschen mit einer bestimmten kognitiven Behinderung (50 Prozent der Inselbegabten sind Autisten) in einem extrem spezialisierten Bereich besondere Leistungen vollbringen können, so wie Dustin Hoffmans Figur im Film Rain Man. Die genauen Hintergründe eines Savant-Syndroms sind bisher nicht geklärt, auch wenn es bereits viele Theorien zur Erklärung des Phänomens gibt.

Warum ein Pathologe Einsteins Gehirn 40 Jahre lang in einem Mayonaiseglas herumtrug

Bernard Rimland, der 1978, den Begriff Autistischer Savant prägte, vermutete eine extreme Konzentrationsfähigkeit auf eine einzelne Sache. Und auch, wenn die Inselbegabung noch immer ein großes Mysterium unter Psychologen und Neurologen ist, gibt es einige kleine Hinweise auf ihre Ursache. CT- und MRT-Scans zeigten bei Betroffenen eine starke Ausprägung der rechten Hirn-Hemisphäre, welche für alle künstlerischen, visuellen und motorischen Fähigkeiten, wie auch nicht-symbolische und konkrete Fakten zuständig ist. Fähigkeiten in Musik, Mathe, Kunst und Mechanik sind alle in der rechten Gehirnhälfte verankert.

Die Erklärung für die Übernahme durch die rechte Hemisphäre liegt möglicherweise im Heranreifen des Fötus im Mutterleib. Bei einem ungeborenen Kind entwickelt sich die rechte Hirnhälfte schneller als die Linke, welche somit stärker Schädigungen ausgesetzt ist. Schuld an dem langsameren Wachstum ist (wie eine Studie der Neurologen Norman Geschwind und Albert Galaburda herausfand), das Testosteron, welches eine hohe Konzentration im Blut erreicht und dann hemmend auf das Wachstum wirkt. Das würde auch erklären, warum vermehrt Männer eine Entwicklungsstörung wie Autismus ausprägen.