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Warum Medien zum Thema Gentechnik lieber Hiobsbotschaften verbreiten

Ein österreichischer Molekularbiologe sollte im TV über Gentechnik wettern—und bekam eine Absage, weil er zu wenig Negatives zu sagen hatte.

Die alte Medien-Weisheit „Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten" macht auch vor Wissenschaftsthemen nicht halt und bedeutet im Umkehrschluss auch, dass positive Meldungen über ein eigentlich negativ besetztes Thema nicht ins Konzept passen. Wie sich das ganz konkret anfühlt, berichtete der österreichische Molekularbiologe Martin Moder unlängst in einem Blog-Eintrag.

Die Kurzfassung: Ein österreichischer Fernsehsender ist an den Wissenschaftler, der als PhD-Student am Wiener CeMM (Research Center for Molecular Medicine of the Austrian Academy of Sciences) forscht, herangetreten und hat ihn um ein Interview zum Thema gentechnisch modifizierte Lebensmittel gebeten.

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Er willigte ein und wurde vor allem zu möglichen gesundheitlichen Auswirkungen von Gen-Food befragt. Moder erläuterte laut seinem Blog-Eintrag, dass gentechnisch modifizierte Lebensmittel die am besten untersuchten Lebensmittel der Welt seien und auch nach zwei Jahrzehnten Forschung kein einziger Fall bekannt sei, bei dem ein Mensch gesundheitliche Schäden davongetragen habe. In Summe seien gentechnisch veränderte Lebensmittel nicht nur unbedenklich, sondern würden sogar für positive Effekte sorgen—etwa bei Baumwoll-Bauern in Indien, die davon profitieren, dass entsprechend veränderte Baumwolle nicht mehr mit Spritzmittel behandelt werden müsse, so Moder.

Resultat dieser und anderer positiver Statements in Bezug auf gentechnisch modifizierte Lebensmittel war jedenfalls, dass der Beitrag nie gesendet wurde. Moder erhielt später eine Mail, in der ihm offen mitgeteilt wurde, dass das Interview schlicht zu positiv war und er zu wenig auf etwaige gesundheitlichen Risiken hingewiesen habe.

Martin Moder beim Science Slam Graz, Screenshot via YouTube

Wie Medien das Thema aufgreifen, ist auch ein Stimmungsbild der Gesellschaft. Gentechnik ist bei den meisten Menschen in etwa so populär wie Atomenergie und wird mit ähnlich drastischen Endzeit-Szenarien assoziiert: vergiftete Äcker, von Konzernen abhängige Bauern oder ungeahnte Gesundheitsrisiken.

Seit 1996 werden gentechnisch veränderte Nutzpflanzen kommerziell angebaut, wobei die USA sowohl in Bezug auf Anbaufläche als auch im Hinblick auf die Pflanzenauswahl weltweite Spitzenreiter sind. Neben gängigen Modifikationen bei Soja, Mais und Baumwolle sind in den USA beispielsweise auch gentechnisch veränderte Raps-Pflanzen, Zuckerrüben, Kürbisse, Papayas oder die als Viehfutter verwendeten Luzerne zu finden.

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Aus deutscher, österreichischer oder schweizerischer Perspektive liegt bei den Amerikanern in Sachen Landwirtschaft und Lebensmittel sowieso alles im Argen, während bei uns Bio-Mais neben glücklichen Freiluft-Ferkeln gedeiht. Die Realität sieht aber, wie so oft, anders aus—denn auch das auf seine Bio-Gütesiegel besonders stolze Österreich importiert jährlich hundertausende Tonnen an gentechnisch veränderten Nutzpflanzen. Zwar nur als Futtermittel, aber immerhin. Insgesamt sind bereits zirka 13 Prozent der globalen Anbauflächen mit gentechnisch modifizierten Nutzpflanzen besetzt, Tendenz steigend.

„Muss man realistisch bleiben: Die idyllisch wirkenden Agrartechniken von vor 50 Jahren werden unsere heutigen Probleme nicht bewältigen können."

Beim Googlen nach Artikeln zu gentechnisch modifizierten Lebensmitteln finde ich skeptische, negative, aber auch eher positive Artikel. Die Position von Naturschutzorganisationen wie Greenpeace oder dem österreichischen Global2000 sehen die Sache erwartungsgemäß düster. Die Séralini-Studie, die den Verzehr von Gen-Mais mit erhöhtem Krebsrisiko in Verbindung brachte, wurde gerne als Vorzeige-Beispiel für kritische Berichterstattung zum Thema herangezogen und von vielen Medien ungeprüft aufgegriffen. Mittlerweile wurde die Studie als unsauber eingestuft, wobei etwa der Guardian im Zuge der Séralini-Affäre meinte, dass die aufgeworfenen Fragen dennoch ernst genommen werden sollten. Eine Meinungsbildung zu einem kontroversen Thema wie Gentechnik ist also schwierig.

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Um einen Einblick in den aktuellen Stand der Wissenschaft zu bekommen, habe ich Martin Moder, der, wie eingangs erwähnt, bei gentechnisch veränderten Nutzpflanzen auch viele positive Seiten sieht, ein paar Fragen gestellt.

MOTHERBOARD: Wie funktioniert die gentechnische Veränderung von Pflanzen eigentlich?

Martin Moder: Seit 2013 gibt es eine Technologie namens CRISPR. Damit kann man ganz präzise festlegen, wo im Genom eine Veränderung stattfinden soll. Präzise ist entscheidend, denn Pflanzen deren Gene man rein zufällig verändert, z.B. durch Chemikalien oder Radioaktivität, zählt man nicht zur Gentechnik. Die dürfen sogar in Bioläden verkauft werden, wie der Golden Haidegg-Apfel, der dank radioaktiver Bestrahlung größere Früchte trägt.

Warum haben deiner Meinung nach so viele Menschen Angst vor Gentechnik?

Die Leute fürchten sich vor dem Einfluss großer Konzerne. Das ist nachvollziehbar. Es mischt sich aber auch stark mit einem „Zurück zum Ursprung"-Gedanken. Dabei muss man aber realistisch bleiben: Die idyllisch wirkenden Agrartechniken von vor 50 Jahren werden unsere heutigen Probleme nicht bewältigen können.

„Gentechnik ist als Zuchtmethode grundsätzlich neutral. Wenn man sie unklug einsetzt, bekommt man Probleme."

Warum ist gerade Europa so negativ gegenüber Gentechnik eingestellt und die USA nicht?

In den USA genießt die Forschung einen generellen Vertrauensvorschuss, während man in Europa neuen Technologien tendenziell skeptischer gegenübersteht. Das ist einer der Gründe, warum die besten Forscher oft nach Amerika abwandern. Die USA haben auch einen anderen historischen Kontext: Ohne die Ertragssteigerungen der Grünen Revolution, die in den 1960ern von den USA ausging, hätte es durch die Bevölkerungsexplosion weltweite Hungersnöte gegeben.

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Was sind berechtigte Kritikpunkte an GM-Lebensmitteln?

Die verstärkte Monopolisierung der Saatgutkonzerne ist bedenklich. Das liegt an den absurd kostspieligen Zulassungsverfahren, die sich nur große Konzerne leisten können. Auch das Aufkommen Herbizid-resistenter Unkräuter ist problematisch. Allerdings ist das kein spezifisches Problem der Gentechnik. Man kennt es auch in der konventionellen Landwirtschaft. Resistente Fraßfeinde werden sich künftig hoffentlich mit Kombinationen aus Resistenzgenen in den Griff bekommen lassen.

Was sind die konkreten Vorteile von gentechnisch modifizierten Lebensmitteln?

Durch den Anbau von GMOs ist der Einsatz von Insektiziden innerhalb von 14 Jahren weltweit um 9 Prozent gesunken. Da man keine Insektizide spritzt, ist die Artenvielfalt auf GM-Feldern oft höher als auf konventionellen. Besonders Kleinbauern erzielen durch resistente Sorten höhere Erträge und machen mehr Gewinn. GM-Felder erlauben eine schonendere Bodenbearbeitung als es beim regulären Pflügen der Fall ist, dadurch sinkt die Bodenerosion. Außerdem muss durch die erhöhte Landnutzungseffizienz weniger Wald zerstört werden.

Foto: BASFPlantScience | flickr | cc by 2.0

Ist der Trend zu immer mehr Gentechnik bedenklich?

Die Gentechnik ist als Zuchtmethode grundsätzlich neutral. Wenn man sie unklug einsetzt, bekommt man Probleme. Das passiert etwa in den USA, wo Jahr für Jahr dieselben Sorten angebaut werden ohne Fruchtwechsel zu betreiben. Vernünftig angewandt und kombiniert mit anderen sinnvollen Agrar-Konzepten, kann Gentechnik einen großen Beitrag für eine effizientere, nachhaltigere Landwirtschaft leisten.

Rechtfertigt der Nutzen die etwaigen Risiken?

Die Frage ist eher: Gibt es eine Alternative? Bis 2050 wird sich der Bedarf an Lebensmitteln durch die wachsende Weltbevölkerung und den steigenden Fleischbedarf mindestens verdoppelt haben. Wir müssen also doppelt so viele Lebensmittel produzieren, verwandeln aber jetzt schon zu viel Wald in Ackerland. Das ist nicht nachhaltig. Man muss die Landnutzungseffizienz steigern und gleichzeitig die ökologischen Auswirkungen reduzieren. Realistisch betrachtet wird das ohne Gentechnik nicht machbar sein.