Rückkehr ohne Heimkehr: Vom Selbstmordattentäter zum Verräter?
Nils D. und weitere Mitglieder der „Lohberger Brigade". Bild: Facebook via OJihad.Wordpress

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Rückkehr ohne Heimkehr: Vom Selbstmordattentäter zum Verräter?

Kam der ehemalige IS-Geheimpolizist nach Deutschland zurück, um seine Frau zur Weißen Witwe zu machen? Am Ende wurde er zum Kronzeugen.

„Bei den kuffar kann man das", sagt Nils D. und schmeißt seinen Müll aus dem Auto auf die Straße. Mit „Kuffar" meint er Menschen, die nicht an den Islam glauben, denen wirft er seinen Dreck vor die Füße. Es ist erst wenige Jahre her, da war er selbst noch Christ. Die Beamten des Landeskriminalamtes in Nordrhein-Westfalen hören mit, das Auto des Konvertiten ist verwanzt. Seit seiner Rückkehr aus Syrien nach Dinslaken im November 2014 haben die Sicherheitsbehörden Nils D. auf dem Radar. Sie sammeln Beweise, belauschen seine Gespräche und beschatten ihn mit Zivilpolizisten.

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Jetzt steht Nils D. vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf, ihm drohen zehn Jahre Haft, weil er sich dem selbsternannten Islamischen Staat angeschlossen hat. Im Oktober 2013 ist er der „Lohberger Brigade" nach Syrien hinterhergereist. Im Gegensatz zu vielen anderen Angeklagten in Islamisten-Prozessen hat sich der 25-Jährige entschlossen zu reden.

„Ich bin jetzt dein Emir."

Für „Die" habe er nicht seinen Kopf hinhalten wollen, sagt er vor Gericht. Er gesteht, bei der Geheimpolizei der Terrormiliz mitgemischt zu haben, und erzählt bereitwillig aus dem Inneren der Terrororganisation. „Eine Goldgrube für Wissenschaftler", nennt der Gutachter Guido Steinberg die Aussagen von Nils D. im Gerichtssaal.

Dilemma Deradikalisierung

Doch warum kehrt Nils D. nach Deutschland zurück? Darauf können weder Behörden noch Ermittler eine sichere Antwort geben. Es gibt allerdings Indizien, die sich so lesen lassen, dass er womöglich für das Kalifat aus Deutschland heraus tätig werden wollte. Gleichzeitig packt er umfassend wie kaum ein anderes ehemaliges IS-Mitglied aus. Er redet monatelang mit den Ermittlern, ist Zeuge in mehreren Islamisten-Prozessen und belastet sich mit seinen Aussagen vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf auch selbst.

Doch es bleibt schwer zu sagen, ob Nils D. seine Überzeugung wirklich verändert hat. Ein Dilemma, vor dem deutsche Behörden immer wieder stehen, wenn sie es mit Rückkehrern aus Syrien und dem Irak zu tun haben.

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In diesem Saal des Oberlandesgerichts wird Nils D. der Prozess gemacht | Bild: Anna Neifer.

Die „Geheimpolizei" sei eine spezielle Einheit innerhalb des Islamischen Staates, schildert es Nils D. vor Gericht, von der keiner habe wissen sollen. Dort habe er überwiegend auf Gefangene aufgepasst und nahm demnach keine Führungsrolle ein. Nachprüfen lässt sich das bislang nicht, es deckt sich allerdings mit den generellen Erkenntnissen des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen.

Das Smartphone als Syrien-Andenken: Posen mit einer AK-47, Selfies mit vermummten Terroristen.

„Es ist davon auszugehen, dass viele deutsche Ausgereiste für niedrige Arbeiten herhalten müssen oder als "Kanonenfutter" verheizt werden", erklärt Burkhard Freier, der Leiter des Verfassungsschutzes in NRW, gegenüber Motherboard. Doch über diesen untersten Status scheint Nils D. laut eigenen Schilderungen hinausgekommen zu sein.

Wo Nils D. vor Gericht ausweicht

Immer wieder geht es im Prozess um Kontakte und Vertrauen, das sind in jedem Staat gute Voraussetzungen für einen Aufstieg in der Hierarchie. „Vertrauen kann man durch Empfehlungen bekommen", sagt der Gutachter Steinberg im Prozess. In der sich gerade erst noch formierenden Organisation im Frühjahr 2014 sind Vertrauensketten entscheidend. „Nach unseren Erkenntnissen sind nur wenige europäische Islamisten in der Hierarchie des sogenannten 'Islamischen Staates' höher gestellt. Persönliche Kontakte und Fürsprecher spielen dabei oft eine Rolle", sagt Freier vom Verfassungsschutz in NRW. Nils D. ist der Cousin von Philip B., der schon früher in das Kampfgebiet eingereist war und Kontakte aufgebaut hatte. mit dessen Etikett will Nils D. den Job als Gefängniswärter in der Spezialeinheit bekommen haben.

Er legt in seinen Schilderungen Namen, Hierarchien und Verbindungen in Syrien offen. Aber wenn es um Deutschland gehe, dann werde es schwammig, wirft die Richterin Barbara Havliza dem Angeklagten im Gerichtssaal vor. Es sind noch viele Fragen offen, auch wie Nils D. Syrien verlassen konnte und mit welchen Absichten er nach Deutschland zurückkam. Einige Beweisstücke der Ermittler aus den knapp zwei Monaten vor seiner Festnahme im Januar 2015 machen stutzig. In einem Telefonat nennt Nils D. seine Freundin „Weiße Witwe". „Die Frau eines Schläfers", hält die Richterin ihm seine Äußerung vor. In seinem Auto sagt er zu einem Freund: „Ich bin jetzt dein Emir." Der Rest des Gespräches ist nicht verständlich. Ein anderes Mal hören die Ermittler, wie Nils D. im Detail den Bau einer Bombe erläutert.

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„Das sind Indizien, bei denen man schon beunruhigt sein kann", sagt Klaus-Stephan Becker, Leiter des Staatsschutzes beim Landeskriminalamt NRW. Seine Abteilung hat Nils D. verhört. „Es gibt Aussagen von ihm, die sind sehr klar, dann wiederum wird es ganz weich, wenn es etwa um seine konkrete Rolle im IS-Gebiet geht." Die deutschen Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass inzwischen mehr als 800 Personen nach Syrien und in den Irak ausgereist sind, um sich dem Islamischen Staat anzuschließen. Davon ist zwischenzeitlich etwa ein Drittel wieder zurück in Deutschland. „Wir zählen derzeit 163 Gefährder in Nordrhein-Westfalen", sagt Becker vom LKA. „Allerdings sind viele dieser Personen derzeit in Syrien oder dem Irak. Etliche Personen sind womöglich schon tot, entweder weil sie bei Gefechten umkamen oder weil sie als Selbstmordattentäter zu Tode gekommen sind. Solange nicht mit letzter Sicherheit feststeht, dass diese Personen tatsächlich verstorben sind, werden sie beim LKA weiter auf der Gefährderliste geführt."

Fundgrube Smartphone

Das beschlagnahmte Smartphone von Nils D. ist eine Fundgrube. Die Ermittler können darauf mehr als 4.000 Dateien wieder herstellen, darunter knapp 600 relevante Bilder. Nils D., wie er mit einer AK-47 posiert, Selfies mit vermummten Terroristen, Propaganda vom Islamischen Staat. Andenken an seine Zeit in Syrien. Auf einem Foto liegt Nils D. auf einem Balkon in Manbidsch, er trägt eine schwarze Sturmhaube, den rechten Zeigefinger streckt er in die Höhe, dorthin wo er seinen Gott vermutet. Auf seinem Bauch ist eine rote Markierung zu sehen, dort sitzt der Auslöser für den Sprengstoffgürtel, den er trägt.

Bei seiner Arbeit für den Islamischen Staat sieht Nils D. das Grauen. Vermeintlich Abtrünnige werden gefoltert, Geständnisse werden erpresst, jeden Tag hört Nils D. Schreie aus der Folterkammer im Gefängnis in Manbidsch. Immer wieder muss er Gefangene im Krankenhaus besuchen, die dort so lange behandelt werden, bis sie wieder gesund genug für weitere Folter sind. Einmal muss er neben einer Müllkippe die Leiche eines Mannes verbuddeln, der an den Folgen der Folter starb, wie Nils D. vermutet. Mehrfach erlebt er Hinrichtungen, sieht wie geköpfte Leichen am Kreuz hängen, so schildert es Nils D. vor Gericht.

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„Wir sehen eine Diskrepanz zwischen Ihrem Verhalten und dem, was Sie sagen."

Dabei passen Folter, Sklaverei und Hinrichtungen von Moslems nicht in sein Verständnis vom Islam, deswegen habe er begonnen, daran zu zweifeln, dass der IS das Richtige tue, sagt Nils D. vor Gericht. Die Richterin Havliza macht immer wieder klar, dass sie das dem Angeklagten nicht ganz abnimmt: „Wir sehen eine Diskrepanz zwischen Ihrem Verhalten und dem, was Sie sagen." Der damalige Gefängniswärter schießt Selfies mit einem der Folterknechte in Manbidsch. Auf den Fotos sehen sie aus wie Kollegen, Nils D. mit langem Bart und zotteligen Haaren. Sie sitzen entspannt zusammen, kein Zeichen von Ablehnung.

Widerspruch zur Schläferthese

Warum lässt der Islamische Staat jemanden gehen, Ende 2014, zu einem Zeitpunkt als die USA mit Luftangriffen begonnen haben und die Versorgung an Rekruten schwieriger wird? Diese Frage bewegt auch den Senat und die Generalbundesanwaltschaft im Oberlandesgericht in Düsseldorf. Um ausreisen zu können, habe sich Nils D. beim Islamischen Staat auf eine „Europäische Liste" setzen lassen, für Einsätze im Ausland. Auf Andeutungen in Richtung Schläfer widerspricht der Angeklagte der Richterin ungewohnt heftig. Er sei kein Schläfer, sonst würde er nicht aussagen und würde sich wohl auch anders verhalten.

Dann zeigt die Richterin ein Bild aus Dinslaken. Nils D. nach seiner Rückkehr. Glatt rasiert, kurze Haare, Hemd, breites Grinsen auf dem Gesicht. „Da wollten wir in die Disko gehen." „Aber vorher haben Sie ihrem Freund, der Moslem ist, doch gesagt, er soll sich von Discos fernhalten", konfrontiert ihn Richterin Havliza. "So bin ich halt…", murmelt Nils D. kaum hörbar in das Mikrofon. Er selbst bekennt sich weiterhin zum Islam.