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Landwirtschaft

Pestizide können zu Depressionen führen

Landwirtschaft ist ein echter Knochenjob: Du musst früh aufstehen und bei Wind und Wetter raus. Du musst körperlich anstrengende Arbeit verrichten. Und reich wirst du damit auch nicht. Aber vor allem bist du jahrelang Pestiziden ausgesetzt, die zu...
Photo by Robert S. Donovan via Flickr

Farmarbeit ist ein echter Knochenjob: Du musst dann aufstehen, wenn andere erst ins Bett gehen. Du musst bei Wind und Wetter raus. Du musst körperlich anstrengende Arbeit verrichten. Und du musst dich damit abfinden, dass du einen Job gewählt hast, mit dem du leider nicht reich werden kannst. Das alles muss doch ziemlich deprimierend sein, denkst du? Du denkst richtig. Denn Forschern der National Institutes of Health (NIH) zufolge sind Depressionen bei Bauern ein häufiges und ernstzunehmendes Problem, das in einigen Fällen zu Selbstmord führt. Der Hauptschuldige ist laut NIH ein Faktor, den man wohl nicht unbedingt als Erstes auf der Rechnung gehabt hätte: Pestizide. Die nehmen die Bauern nämlich während der Arbeit sowohl durch die Luft als auch durch die Haut auf. Pestizide—gefährliche chemische Substanzen—wirken auf die neurochemischen Vorgänge im Gehirn und erhöhen das Depressionsrisiko um bis zu 90 Prozent.

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Im Rahmen der Studie haben acht Epidemiologen der NIH 21.208 Bauern aus Iowa und North Carolina untersucht, die im Zuge ihrer Arbeit viel mit Pestiziden in Berührung kommen. Die Forscher wollten von ihnen wissen, ob ihnen zwischen 1993 und 2010 schon mal die Diagnose „Sie leiden an einer Depression" gestellt wurde. Insgesamt 1.701 Probanden—also rund acht Prozent—haben die Frage mit „ja" beantwortet. In den Untersuchungen wurde deutlich, dass Bauern, die eine häufig verwendete Insektiziden-Klasse bei ihrer Arbeit bevorzugen, eine bis zu 90 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit haben, die Diagnose Depression zu erhalten. Und Bauern, die ein gängiges Begasungsmittel verwenden, haben ein 80 Prozent höheres Risiko, an einer Depression zu erkranken.

„Es wurden in der Vergangenheit schon viele Studien dieser Art durchgeführt, und so ziemlich alle sind zu demselben Ergebnis gekommen: Wenn du dauerhaft Pestiziden ausgesetzt bist, hat das neurologische Auswirkungen, die eine Depression auslösen können. Und Depressionen erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Selbstmord", so Melanie Forti, Direktorin der Gesundheits- und Sicherheitsprogramme bei der Association of Farmworker Opportunity Programs, eine Lobbygruppe der Farmer mit Sitz in Washington, D.C. „Wir haben zwar keinen wissenschaftlichen Hintergrund, weswegen wir auch keine eigenen Studien durchgeführt haben. Doch wir wissen von vielen Einzelfällen, die das Ergebnis untermauern."

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Forti erklärt weiter, dass Pestizide nun mal dazu entwickelt werden, um Lebewesen abzutöten, egal ob es sich nun um pflanzliche oder tierische Schädlinge handelt. Also sollte es nicht groß überraschen, dass diese Chemikalien auch für den Menschen gefährlich werden können. „Pestizide dienen nur einem Zweck: töten", so Forti. „Wir wissen nicht genau, über welchen Zeitraum man ihnen ausgesetzt sein muss, bis ein Mensch Schaden nimmt. Aber so oder so haben wir es mit einem ernsten Problem zu tun."

Durch verschiedene Tierversuche vonseiten der NIH haben Wissenschaftler schon jetzt erste Antworten auf die Frage, was genau in den Gehirnen von Farmern passiert, die Pestiziden ausgesetzt sind. So hat eine Studie aus dem Jahr 2009 gezeigt, dass sich bei Ratten unter dem Einfluss von Pestiziden die Struktur der Gehirnzellen verändert; eine ähnliche Studie aus dem Jahr 2003 hat ergeben, dass Pestizide die Funktion von Neurotransmittern herabsetzen; und zwei Jahre später wurde in einer weiteren Studie festgestellt, dass Pestizide die Produktion von Kynurensäure behindern, die krampflösend wirkt und bei neurobiologischen Funktionsstörungen therapeutisch zum Einsatz kommt.

„Es steht für mich außer Frage, dass Pestizide die Funktionen des Gehirns beeinflussen können", so Dr. Freya Kamel, Hauptautorin der NIH-Studie, im Interview mit Environmental Health News.

Laut Melanie Forti liegt das Problem bei der amerikanischen Unweltschutzbehörde (EPA), die für die Prüfung von Pestiziden verantwortlich ist und diese vom Markt nehmen kann, wenn sie gewisse Sicherheitsanforderungen nicht erfüllen. Sie bemängelt die zu laschen Kontrollen der Behörde und spricht von gesetzlichen Schlupflöchern, die es möglich machen, dass auch extrem gefährliche Pestizide auf dem Markt landen. Zu einem ähnlichen Fazit ist übrigens auch ein umfassender Bericht des NRDC aus dem Jahr 2013 gekommen.

Fehlende rechtliche Bestimmungen stellen in vielen Ländern Südamerikas und Asiens ein noch größeres Problem dar, erklärt uns Forti. Eine Studie zu Farmarbeitern in Brasilien hat einen Zusammenhang zwischen der Verwendung von Pestiziden und Selbstmord feststellen können. Und in der chinesischen Region Zhejiang, wo der Landwirtschaft eine zentrale Rolle zukommt, denken laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO Bauern, die Pestizide in ihren Häusern aufbewahren, doppelt so häufig an Selbstmord wie die anderen Probanden.

Gleichzeitig glaubt Forti, die harten Arbeitsbedingungen von Farmarbeitern in den USA würden schon allein ausreichen, um eine Depression auslösen zu können. Die tägliche Exposition mit starken Chemikalien bringt das Fass in vielen Fällen dann zum Überlaufen. Ganz nach dem Motto: Vom Regen in die (Chemie-)Traufe. „Achtzig Prozent der Farmarbeiter in Amerika kommen aus Lateinamerika", so Forti. „Diese Menschen haben für den amerikanischen Traum ihre Heimat und Familien zurückgelassen. Wenn du bedenkst, wie hart ihre tägliche Arbeit ist und dass sie dann auch noch jahrzehntelang Pestiziden ausgesetzt sind, ist es nicht gerade verwunderlich, dass viele von ihnen depressiv werden."

Oberes Foto: Robert S. Donovan | Flickr | CC BY 2.0