Die neue, selbstbewusste Küche Mexico Citys

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Mexiko

Die neue, selbstbewusste Küche Mexico Citys

Früher dachte niemand in Mexiko, dass mexikanische Küche etwas für Nobelrestaurants wäre. Heute kochen die neuen Gesichter der Gastroszene mit lokalen Zutaten und lassen sich von klassisch mexikanischen Gerichten inspirieren.
Phoebe Hurst
London, GB

Elena Reyyadas aus Mexico City gehört zu den interessantesten neuen Gesichtern der lateinamerikanischen Restaurantszene. Nach ihrer Ausbildung am French Culinary Institute in New York arbeitete sie in London im Fino und im Locanda Locatelli. Hier hat sie sich auch von der italienischen und spanischen Küche inspirieren lassen, die sich jetzt mit mexikanischen Elementen kombiniert. 2011 ist sie nach Mexico City zurückgekehrt und hat dort ihr erstes Restaurant, Rosetta, eröffnet. Als sie kürzlich einen Abend als Gastköchin im Lyle's war, hat sie mit essbaren Blüten, Insekten und verschiedenen Tintenfischen experimentiert.

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Elena Reygadas im Londoner Lyle's

In Mexiko haben wir echt Glück: Es gibt tolles Obst und Gemüse und wir müssen nicht allzu viel damit machen. Wir müssen sie nur richtig zubereiten—zumindest versuchen wir das.

Die neue Generation der Köche versucht das Beste aus den mexikanischen Produkten rauszuholen. Vor 20 Jahren hat man noch eher für viel Geld einen französischen Koch aus Paris kommen lassen, damit er ein französisches Restaurant in Mexico City eröffnet. Wir als Mexikaner dachten nicht, dass unsere Küche etwas für Nobelrestaurants wäre, deshalb tut es so gut zu sehen, dass es jetzt Restaurants gibt, die insbesondere mit mexikanischen Zutaten arbeiten. Die werden zwar nicht immer auf die klassische mexikanische Art zubereitet, aber die Gäste sind auch offener für neue Techniken geworden.

Mein Vater hat mir und meinen Brüdern beigebracht, alles an Essen zu probieren. Wenn man es nicht mochte, war das nicht so schlimm, man hat es wenigstens versucht. Meine Mutter stammt aus einer großen Familie, insgesamt 14 Geschwister. Wir hatten also früher immer viele Gäste bei uns. Meine Mutter liebte es, Gastgeberin zu sein und ich habe ihr immer in der Küche geholfen.

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Insekten, Blüten, Avocado, Grünkohl

Mir kam nie die Idee, eine Kochausbildung zu machen. Ich studierte erst Englische Literatur, kochte aber immer nebenbei, bis ich mich irgendwann fragte: „Ich bin am Ende meines Studiums, will keine Bücher schreiben, was mache ich jetzt?"

Mein Bruder ist Regisseur und damals arbeitete er gerade an seinem ersten Film. Ich sollte ihm beim Catering helfen, was ziemlich kompliziert war, weil das Ganze am Arsch der Welt in einer kleinen Stadt in Mexiko stattfand. Hier aßen die Leute nur Bohnen und Mais. Der Rest des Teams war aus Europa, die mochten keine Bohnen und keinen Mais. Also musste ich zwei Menüs machen, eines mit Pasta und Gemüse und eines mit Mais, Bohnen und Chili. Es war eine tolle Erfahrung, sich an verschiedene Geschmäcker anpassen zu müssen und sich danach richten zu müssen, welche Zutaten verfügbar waren.

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Das war auch das erste Mal, dass ich beim Kochen eine gewisse Verantwortung hatte, und das hat mir gezeigt, dass ich es wirklich liebe. Damit fügte sich alles zusammen. Danach ging ich nach New York an die Kochschule. Ich wollte einfach das tun, was mir am meisten Spaß macht.

Ich glaube, durch meinen Vater, der uns immer dazu gedrängt hat, alles zu probieren, bin ich einfach offen geblieben. Eine traditionell mexikanische Zutat kombiniert mit einer arabischen? Kein Problem. Manche sagen, dass so etwas nicht geht, aber für mich ist das Spaß pur. Durch Offenheit entstehen neue Aromen, als würde man einen seltenen Edelstein finden.

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In London wollte ich dann mehr über Pasta und italienische Küche lernen. Ich mag die Herangehensweise der Italiener ans Essen: einfach, voller Geschmack und alles mit den bestmöglichen Zutaten. Außerdem liebe ich es, Pasta mit den eigenen Händen zu machen.

Ich war richtig glücklich im Locanda: Wir bekamen Aal und Krabben frisch geliefert, noch lebendig, und ich habe neue Gemüsesorten für mich entdeckt. Wir haben alles selbst gemacht: Brot, Pasta und Eis. Das war für mich eine richtige Kochschule, mehr als [am French Culinary Institute] in New York. Zum Glück war ich länger im Locanda als auf der Kochschule. Wenn man etwas lernen will, muss man einfach arbeiten.

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Als meine Tochter geboren wurde, bin ich zurück nach Mexiko, weil ich es schwer fand, ohne meine Familie in London zu leben. Ich war extrem traurig und habe das erste Jahr nur geheult, aber dann habe ich versucht, das Beste draus zu machen und gesehen, dass das funktionieren kann, und so hatte ich auch jemanden für meine Tochter.

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Ich wollte mich immer weiterbilden und so viel lernen wie möglich, damit ich irgendwann mein eigenes Restaurant eröffnen kann. In Großbritannien gibt es viele dieser Läden mit entspannter Atmosphäre und gutem Essen; so etwas wollte ich auch in Mexico City machen. Das Rosetta hat ein gewisses Ambiente, ist aber immer noch locker und es gibt gutes Essen. Deshalb beschreiben die Leute es als zurückhaltend, ja fast schon bescheiden. Meine Gerichte sollen einfach und nicht zu kompliziert sein. Ich liebe es, wenn man ein paar wenige Zutaten richtig herausschmecken kann, aber ich hasse es, wenn man eigentlich nicht weiß, was man isst.

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Die Insekten werden angerichtet

Anfangs habe ich nicht mit Insekten gearbeitet, mein italienischer Einfluss war noch zu stark. Mit dem Rosetta wurde ich langsam viel selbstsicherer. Ich lernte viel von den Zulieferern und habe die italienische Note peu à peu etwas schwächer werden lassen. Ich liebe die Küche und mache auch immer noch Pasta, weil ich das einfach gern esse, aber heute gibt es sie eben zum Beispiel mit Hühnerleber. Viele fragen mich, ob das Rosetta ein italienisches Restaurant ist und ich kann ihnen darauf keine genaue Antwort geben. Es ist einfach das Essen, das ich liebe.

Mein Vater liebt Insekten, er hat mir und meinen Brüdern immer vermittelt, dass sie etwas Natürliches sind. Eben ein Geschenk der Natur, eine echte Delikatesse. Dieser Geschmack ist einzigartig, Insekten schmecken richtig nach Erde. Für mich sind sie überhaupt nicht komisch, sondern nur etwas, das man genauso wertschätzen sollte.

Alle Fotos von Chris Bethell. Aufgezeichnet von Phoebe Hurst.