„Mein einziges Laster ist Fisch", meint Juan Villas.Er erzählt mir auf Spanisch, wie er sich vor fünf Jahren zur Ruhe setzte und jetzt jeden Morgen Punkt 7.00 Uhr zum Santa Monica Pier geht. Das Fischen hat er als Kind in Nicaragua gelernt und auch seit er vor 40 Jahren nach Los Angeles gezogen ist, hat er immer geangelt. „In Nicaragua gibt es viel mehr Fische, aber der Fisch hier schmeckt genauso gut", sagt er.
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Heute stand er fünf Stunden lang am Pier. Seine Beute: ein ein Kilo schwerer Barsch, den er in einen Eimer mit Wasser gepackt hat. Er hatte auch einmal einen 15 Kilo schweren Heilbutt gefangen. „Man findet keinen Fisch mit so einer Textur, besonders wenn man ihn brät", beschreibt er seinen Lieblingsfisch. Er säubert ihn mit Zitronensaft, brät ihn und würzt ihn mit Knoblauchsalz und etwas Sojasauce.
Wer hier fischt, geht jedoch ein Risiko ein. Die Aufklärungsinitiative zu verunreinigten Fischender US-Umweltschutzbehörde, Fish Contamination Education Collaborative (FCEC), stuft den Santa Monica Beach und die umliegende Bucht als sogenannte rote Zone ein. Bestimmte Fischarten in diesem Gebiet—dazu gehören der Weiße Umber, Barrakudas, Trommlerfische und andere—könnten mit Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) oder polychlorierten Biphenylen (PCB) verseucht sein. Diese Chemikalien sind krebserregend, verursachen Lebererkrankungen und schädigen das Immun- und Hormonsystem.
Am ganzen Pier sieht man Schilder auf Englisch, Spanisch, Vietnamesisch und Chinesisch: „KEINEN KONTAMINIERTEN FISCH ESSEN." Die FCEC versucht, Sprachbarrieren zu überwinden und veranstaltet Workshops auf Chinesisch und Vietnamesisch und beantwortet den Menschen alle Fragen zum Fischfang und zur Zubereitung. Trotz der Warnungen essen Juan Villas und viele andere Einwanderer weiter ihren geangelten Fisch.
Als ich ihn frage, ob es nicht gefährlich ist, hier gefangenen Fisch zu essen, wird er ein bisschen wütend. „Wieso wollen die mir erzählen, dass ich keine wild gefangenen Fische essen kann? Schau mich an: Seit über 30 Jahren esse ich den Fisch vom Santa Monica Pier und mir geht's prima."
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In diesem Moment zappelt bei einem seiner Freunde etwas an der Leine. Er zieht einen Barsch an Land, ungefähr so groß wie der in Juan Villas Eimer. „Sieht aus wie sein Bruder!", scherzt er, während er die Schalen von Sonnenblumenkernen in eine Plastiktüte spuckt und einen neuen Köder vorbereitet.
Auf der anderen Seite des Stegs treffe ich einen chinesischen Angler, der gut 40 km aus Monterey Park hierher gefahren ist. Seit zwei Stunden angelt er und er hat eine wunderschöne Makrele gefangen, die wahrscheinlich als Köderfisch enden wird. Er spricht nur wenig Englisch, aber mit nur wenigen Worten erklärt er mir, dass er die Makrele brät und mit Reis isst. Als ich ihn frage, wie lange er hier schon fischt, hält er zwei Finger hoch.
In der Zwischenzeit kommen noch ein paar Angler, die die Fische nur einholen und dann wieder zurücksetzen. „Einen Heilbutt habe ich behalten, der kommt zu Hause auf den Grill, aber meistens gebe ich sie weg", meint einer von ihnen zu mir.
„Ich glaube, die kann man schon essen. Ich sehe ja immer die gleichen Leute, wenn ich hier bin. Also ist zumindest niemand gestorben oder krank geworden, zumindest nicht dass ich wüsste."