Wenn Kairos Straßen zu Charity-Restaurants werden, ist Ramadan

FYI.

This story is over 5 years old.

ramadan

Wenn Kairos Straßen zu Charity-Restaurants werden, ist Ramadan

In Ägypten gibt es im ganzen Land kostenlose Iftar—die erste Mahlzeit nach Sonnenuntergang—für Bedürftige und alle, die einen Platz ergattern. Auf langen Tischen, die auf den Straßen aufgebaut werden, wird ein gemeinsames Essen serviert.

„Das ist für Gott", rief der Organisator eines Charity-Iftar—die erste Mahlzeit nach Sonnenuntergang während des Ramadans—, als er sich weigerte, dass wir Fotos von der Veranstaltung machen. Wir befanden uns im Arbeiterviertel Sayida Zeinab in Kairo, wo sich ein langer Tisch mit hunderten von Stühlen über mehrere Straßen—eine, zwei, sechs, sieben—erstreckte, inklusive der engen Seitengassen. Eine Stunde vor dem Fastenbrechen nahmen die Leute bereits ihre Plätze ein. „Tut mir leid", sagte ein junger Mann im Namen des Hauptorganisators, der fürchtete, dass die Berichterstattung durch die Medien seinen frommen Akt der Güte stören könnte.

Anzeige
cairo_iftar_MG_1985

Während des heiligen Monats Ramadan, verzichten Muslime von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf Essen und Trinken. Ägypter im ganzen Land bieten Bedürftigen und allen anderen, die daran teilhaben wollen, kostenlose Mahlzeiten an, die an Tischen auf den Straßen serviert werden. Mawaid el Rahman, oder Charity-Iftars, werden von Gruppen von Gruppen von Nachbarn, privaten Unternehmen, Moscheen, Wohltätigkeitsorganisationen oder Einzelpersonen, die andere in Gottes Namen mit Essen versorgen, organisiert. Während des heiligen Monats fordert der Islam zu Güte und Großzügigkeit auf und praktizierende Muslime versuchen in dieser Zeit, sich von ihrer besten Seite zu zeigen. Bei manchen Wohltätigkeitsorganisation steigen die Spendengelder während des Ramadans um bis zu das Dreifache und die Supermärkte stellen Tüten voller Grundnahrungsmittel auf die Gehsteige.

cairo_iftar_MG_2023

Für jeden langen Tag des Ramadans in Kairo, gibt es eine schlaflose Nacht mit Freunden und Familie. Viele Unternehmen kürzen die Arbeitsstunden während dieser Zeit, sodass die meisten Ägypter bis zum Iftar Seifenopern anschauen und sich ausruhen. Nach dem Fastenbrechen geht das Nachtleben in den Straßencafés los und klingt mit der letzten Mahlzeit vor Sonnenaufgang aus.

cairo_iftar_MG_2057

Zurück in Sayida Zeinab ist jeder zum Iftar willkommen, wenn es Platz gibt. Männer nicken sich gegenseitig diskret zu, wenn sie einen Platz finden, Frauen unterhalten sich ruhig, während sie die Kinder mit einem Auge im Blick haben. Einige der Teilnehmer—hauptsächlich Männer der Arbeiterschicht—setzen sich mit Freunden zusammen, andere kommen mit ihren eigenen Utensilien, Säften, Qur'ans, Zeitungen oder eingelegten Paprikas. Trotz der Vielzahl an Charity-Iftars sind diese wertvollen Mahlzeiten aus Brot, Reis, Bohnen, Fleisch, Datteln, Obst, molokhia (Suppe aus ägyptischem Spinat) und, in manchen Fällen, ros bil laban (Reispudding) nicht genug.

Anzeige
cairo_iftar_MG_1950

Ramadan, genau wie Weihnachten, ist eine Zeit, in der man viele Süßigkeiten und üppige Mahlzeiten mit seiner Familie isst. Aber für die 48,9 Prozent der ägyptischen Bevölkerung, die unter der Armutsgrenze leben, ist das kaum der Fall. Charity-Iftars bieten denen, die sich eigentlich viel lieber ihr eigenes Essen leisten könnten, eine warme Mahlzeit. In Ägypten sind 60 Prozent der Bevölkerung unter 30, und ein großer Teil dieser jungen Leute kämpft gegen hohe Arbeitslosigkeitsraten und erhebliche Unterbeschäftigung.

cairo_iftar_MG_1895

Während Iftars zu Wohltätigkeitszwecken die komplizierten und schwierigen Verbindungen innerhalb einer Gemeinschaft aufzeigen, tönt ihr selbstloser Unterton in Zeiten des geringen wirtschaftlichen Wachstums noch lauter. In Sayida wollten einige der Gäste nicht an so einem Ort gesehen werden, besonders nicht durch die Linse einer Kamera. Frauen verbergen ihre Gesichter hinter den schwarzen Hidschabs.

cairo_iftar_MG_1946

Jeder Charity-Iftar funktioniert anders, je nach Größe und Ort. Manche sind klein und viele Frauen und Kinder sind unter den Gästen, andere sind groß und werden hauptsächlich von Arbeitern besucht. Der Iftar in Sayida gehört zu der zweiten Kategorie. Hunderte Leute werden hier versorgt und die Abläufe funktionieren mit der Effizienz einer frisch geölten Maschine. Das Essen wird in einer Kette ausgehändigt; zuerst das Brot, dann der Saft, das Obst und schließlich das warme Essen.

Anzeige
cairo_iftar_MG_1863

Als die Sonne langsam untergeht und der Himmel sich immer dunkler färbt, wird die Stimmung angespannter. Die Stühle werden rar, die Leute suchen hastig nach freien Plätzen und die Blicke derer, die schon einen haben, schweben über dem Essen.

Ein aufbrausender Lehrer, der in Sayida neben mir sitzt, macht abwechselnd Scherze und beschwert sich über den Service. Als die Uhr 19:00 Uhr schlägt, fangen die Leute an zu essen und ignorieren die, die zu spät kamen und noch nach Essen fragen. Die meisten Leute sind innerhalb von zehn Minuten fertig und scheinen es kaum mehr erwarten zu können, aufzustehen und zu gehen und bis zum Morgengrauen Kette zu rauchen.

cairo_iftar_MG_1735

Langsam beruhigt sich das Treiben auf der Straße und die, die noch bleiben, werden zunehmend freundlicher zueinander. Organisatoren und Freiwillige betreten gefährlichen Boden, wenn sie den Entmächtigten Essen servieren. Wenn die Verzweiflung nicht zu wütenden Mobs umschlägt, sind die Leute aber nett zueinander und bieten sich gegenseitig einen Teil ihres eigenen Essens wie ein kostbares Stück Fleisch an. Als es Zeit ist zu gehen, trete ich mit einem Apfel in der Hand auf die menschenleere Hauptstraße.

cairo_iftar_MG_1837

Einige Straßen weiter in Mounira, einem Viertel neben Sayida Zeinab, ist die Atmosphäre beim Iftar ganz anders. Ashraf, ein angesehener Barbier der Gegend veranstaltet jedes Jahr ein Charity-Iftar mit Hilfe von Spenden privater Unternehmen. Ashraf bat eine Handvoll Freiwilliger, den Reis, die Bohnen und das Hähnchen zu servieren. Sein 10 Jahre alter Sohn Mostafa bewacht den Eingang und stellt jedes Mal, wenn sein Vater jemanden wegschickt, dessen Entscheidung in Frage. Bei diesem kleineren Iftar ist die Stimmung entspannter und die Leute behandeln sich gegenseitig mit einer gewissen Vertrautheit, auch wenn sie sich nicht kennen.

cairo_iftar_MG_1754

Allein in Kairo gibt es tausende Charity-Iftars während des Ramadans, und jeder einzelne unterscheidet sich vom nächsten. Trotz der Komplikationen, die ein gemeinsames Essen von hungrigen Fremden verschiedener sozialer Schichten und Herkunft mit sich bringen kann, sind im Ramadan alle durch ihr Schicksal verbunden. Es passiert nicht jeden Tag, dass Großzügigkeit in einer chaotischen Metropole triumphiert, oder dass ein Mann seine Brüder und Schwestern zu Tisch bittet und den Hungrigen eine zweite Portion anbietet. Es passiert nicht jeden Tag, dass ein Kind einen alten Mann bedient, bevor es selbst gegessen hat, und ihm belhana wel sheafa (guten Appetit) wünscht.

Das ist der Geist des Ramadan.