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Interviews

"Ein Ausweg aus Wut und Frustration" – Code Orange im Interview

Code Orange sind zurzeit die spannendste Hardcore-Band, die bald sogar in Stadien spielt. Ein Gespräch über verwirrte Zuschauer, fehlender Sorge vor weiteren Fan-Kieferbrüchen bei ihren Konzerten und die enger werdende Verbindung von Rap und Hardcore.

Foto: Roadrunner Records

Code Orange waren mal eine von vielen Hardcore-Bands aus Pennsylvania. Doch schon als der Altersdurchschnitt der Mitglieder bei 18 Jahren lag, wurden sie vom Vorzeige-Hardcore-Label Deathwish gesignt. Zwei Alben später hatten sie sich in der Szene dank ihres unbarmherzig aggressiven Sounds etabliert, wechselten zum Metal-Label Roadrunner und touren seitdem mit eigentlich völlig artfremden Bands wie Deftones oder Killswitch Engage. Das neue Album Forever ballert auf einmal mit Industrial-Elementen und einem Alternative-Track jede Anlage durch, im Sommer begleiten sie System of a Down bei ihrer Europa-Tour. Dann wird also diese Hardcore-Band aus Pennsylvania in Stadien spielen und Leuten, die eigentlich nur für den Nostalgie-Kick gekommen sind, mit hasserfülltem Gesicht in den Bauch treten.

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Genau das haben sie gerade schon auf ihrer Tour mit den französischen Metal-Virtuosen Gojira getan. Bevor sie auf die Bühne traten und die verdutzte Menge immer und immer wieder mit unkontrollierten Wutausbrüchen und plötzlichen Breakdowns konfrontierten, traf ich Drummer Jami Morgan und Gitarristen Dominic Landolina bei ihrem Berlin-Gig im Backstage. Wir haben über verwirrte Zuschauer, Sorge vor weiteren Fan-Kieferbrüchen bei ihren Konzerten und die enger werdende Verbindung von Rap und Hardcore geredet.

Noisey: Ihr seid schon mit Deftones, Killswitch Engage und jetzt eben mit Gojira getourt. Kam es oft vor, dass ihr Fans dieser Bands verwirrt habt, die nicht mit eurem Sound klargekommen sind?
Jami: Es funktioniert besser, als man denken möchte. Bei Deftones waren die Leute vielleicht erstmal verwirrt, aber für uns hat es super funktioniert. Wir können mit fast jeder Band spielen und es passt – wenn es irgendwie mit Rock zu tun hat. Es klingt erstmal seltsam, aber wenn du dann im Publikum stehst, macht es Sinn. Wir wissen inzwischen, wie wir das hinbekommen.

Inwieweit haben diese Touren euren Blick auf die Hardcore-Szene verändert?
Es ändert nichts unserer Sicht. Wir wollten immer Hardcore-Shows spielen und mit solchen Bands touren. Wenn du dir die Liste der Bands anguckst, mit denen wir schon gespielt haben und mit denen wir noch spielen werden, ist es unglaublich. Die meisten dieser Bands machen qualitativ hochwertige Musik, haben eine Bedeutung und erspielten sich über lange Zeit eine Fanbase. Vor solchen Bands wollen wir spielen.

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Auf eurem neuen Album heißt es schon im ersten Song: "The freaks will have their say". Habt ihr euch denn jemals wie Außenseiter gefühlt?
Definitiv. In diesem Song geht es darum, von unserer eigenen Community eingezäunt zu werden. Ihre Regeln machen keinen Sinn und passen nicht zu unserem Leben, das ist frustrierend. Als wir zu Hardcore kamen, waren wir schon Außenseiter. Unser letztes Album hat zwar geholfen, sich einen Platz in dieser Welt zu sichern, aber dennoch. Inzwischen haben wir uns daran gewöhnt. Wir mögen es lieber, in einer kleinen Gruppe zu bleiben.

Welche Regeln meinst du?
In dieser Szene werden viele Dinge erwartet und viele Leute wollen was von dir, dich zu ihrem Vorteil ausnutzen. Mit deinen Freunden lebt man nach einem Code und arbeitet zusammen, aber es gibt viele, die diesen Code ausnutzen, um sich selbst zu helfen. "Freunde", die nur da sind, wenn du ihnen hilfst – was uns oft passiert ist – sind schon lange weg.

Aber seid ihr nicht auch in den Augen der Leute aus eurer Heimatstadt Außenseiter? Viele gehen einem regulären Job nach, während ihr um die Welt reist.
Klar, aber ich habe sehr viel Respekt vor diesen Leuten. Wir hatten Glück, das hier alles machen zu dürfen. Aber es ist doch viel härter, jeden Tag arbeiten zu gehen, um die Familie zu versorgen und nicht wirklich dem nachgehen zu können, was man liebt. All unsere Familien kommen aus solchen Verhältnissen. [An Dominic gewandt] Was denkst du?
Dominic: Ähm, ich weiß es echt zu schätzen, das alles hier machen zu dürfen. Ich arbeite mit vielen Leuten, die diese Möglichkeit nicht bekommen.
Jami: Er ist gerade zur Band gestoßen und arbeitet immer noch in einem Pizza-Laden gleich bei uns um die Ecke. Wenn wir zuhause sind, ist er da jeden Tag.
Dominic: Es ist echt cool, diese Touren zu machen. Wenn ich seit 20 Tagen auf Tour bin, bin ich kaputt und will dann nur nach Hause. Aber dann denke ich daran, wie jeder andere, mit dem ich arbeite, so neidisch ist, weil ich mit Gojira und Killswitch Engage auf Tour gehe. Das sind eben Leute, die diese Bands von kleinauf geliebt haben.

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Eines der Hauptmotive der neuen Platte ist Schmerz. Warum sprecht ihr so offen darüber?
Jami: Das ist in vielerlei Hinsicht das Thema unserer Band oder eher: Wie man solche Sachen überwindet. Das letzte Album I Am King war eher darüber, die Sachen in dir zu bewältigen und das neue Album handelt darüber, Umstände zu meistern. Diese Band ist ein Ausweg aus Wut oder Frustration.

Es gab einen Noisey-US-Artikel, in dem der Autor beschrieben hat, wie euer Song "Dreams of Inertia" ihm bei seinen Aggressionsproblemen geholfen hat. Hört ihr solche Geschichten oft?
Den habe ich gelesen und sogar den Autor kontaktiert. Wir wollen uns nicht auf die Fahne schreiben, unbedingt Leuten helfen zu wollen. Die Lyrics sind eben meine Gefühle und ich stecke da viele persönliche Gedanken rein. Wenn Leute sich daraus etwas ziehen können, ist das doch super.

Es gab vor ein paar Monaten einen Zwischenfall auf einer eurer Shows, der viral gegangen ist. Einer Zuschauerin wurde ins Gesicht getreten, woraufhin ihr Kiefer gebrochen wurde. Wie war das für euch?
Wir haben uns schrecklich gefühlt. Das war eine schlimme Sachen. Wir wissen immer noch nicht, was genau da passiert ist und haben ein bisschen den Kontakt zu dem Mädchen verloren. Aber wir hatten lange mit ihr geredet und ich glaube, ihr geht es inzwischen besser. Soweit ich weiß hat sie sich komplett erholt. Wir wollen natürlich nicht, dass sich jemand so stark verletzt. Die Leute verwechseln vielleicht das im Pit durch aggressives Tanzen Spaß haben mit dem absichtlichen Verletzen anderer.

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Wenn ihr jetzt live spielt und seht, dass im Pit die Leute ausrasten – habt ihr dann kurz Angst, dass sich das wiederholen könnte?
Die Leute können sagen, was sie wollen, aber ich weiß, was bei unseren Shows passiert. Das alles hat sich wie ein isolierter Zwischenfall angefühlt. Wenn ich etwas hasse, dann sind es Leute, die sagen, "Ich will Blut sehen" oder sowas. Das haben wir nie gemacht. Und am Ende hat sich die Sache auch von selbst geklärt. Ich glaube, ich werde sowas nie wieder sehen.

Ein Rapper hat euren Song "Your Body is Ready" gesamplet …
Oh cool, das wusste ich nicht!

[Ich spiele ihnen den Track "Sacrifice" von Kamiyada vor. Sofort holen sie ihre Smartphones raus, fotografieren meinen Display ab und geben ein paar "Das ist krank!" ab.]

Da gibt es so viel, was die Leute noch nicht verstehen – in Bezug darauf, dass diese Welten sich immer näher kommen. In fast jeder Hinsicht. Es gibt negative Aspekte, beispielsweise, dass die Leute eine Kultur fressen, die sie nicht verstehen und die ihnen auch egal ist. Aber gleichzeitig gibt es auch so viel Positives. Ich habe schon viele Tracks wie diesen gehört. Es macht Sinn, weil es eine ähnliche Mentalität ist. Auch der Vibe gleicht sich immer mehr dem von Metal und Hardcore an.

Das siehst du jetzt ja schon auf Rap-Konzerten, wo die Zuschauer immer Hardcore-ähnlicher abgehen.
Klar, aber ich sehe das anders. In der Vergangenheit ging es immer darum, Rap und Hardcore physikalisch zu verbinden. Das ist nicht der Schlüssel und in vielerlei Hinsicht dumm. Da bekommst du halt Rap-Metal und den ganzen Kram. Es gibt andere Wege, diese Kulturen miteinander zu kombinieren und voneinander zu lernen.

Ihr habt auf eurem Album viel mit Alternative und Industrial experimentiert. Wäre Rap da eine weitere Möglichkeit?
Ich liebe Rap an sich, aber bin nicht daran interessiert, diesen Aspekt in unsere Band zu nehmen. Das würde dämlich klingen. Aber rein von der Produktion, dem Akustischen und dem Feeling? Absolut. Unser Album war dadurch beeinflusst. Momentan bin ich mit vielen Rappern in Kontakt und wer weiß. Also: Ein Rap-Hardcore-Mash-up wäre bescheuert, aber ich bin definitiv davon beeinflusst, wie die Musik präsentiert und veröffentlicht wird.

Kids kommen durch Rap zur Musik, Rap ist zurzeit die Nummer eins. Rock ist Vergangenheit. Die Art, wie sich Metal und alle anderen präsentieren, ist veraltet. Wir wollen das ändern. Wir kommen aus einer anderen Generation.

Klar, die ersten "Metal-Songs", die ich gehört habe, waren Nu Metal.
Was ja auch stark vom Rap beeinflusst war. Aber wie gesagt, dieser Ansatz ist der Falsche. Aber sehr bald wird was passieren, es passiert ja schon sehr viel, wovon die Leute nichts mitbekommen.

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