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Popkultur

Auf einen Schokoladenkeks mit Michael Elsener

"Nach Donald Trumps Wahl konnte ich eine Zeitlang keine Pointen mehr schreiben. Das ging mir zu nahe."

Fotos von Marlene Zuppiger 
Aus der "Sie kommen nachts raus"-Ausgabe

Als Treffpunkt für unser Gespräch über Mediengeilheit, Satire-News-Sendungen und Donald-Trump-Parodien hat der Komiker und studierte Politikwissenschaftler Michael Elsener Zürichs berüchtigtstes Kaffeehaus ausgewählt: das Odeon. Ausgerechnet—kein Ort könnte die Sinn- und Glaubwürdigkeitskrise, in der sich westliche Medien gerade befinden, besser verkörpern.

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Vom prachtvollen Intellektuellentreffpunkt, wo einst Albert Einstein, Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt und Stefan Zweig ein und aus gingen, ist das Café zu einem glanzlosen, austauschbaren Ort verkommen. Seine ursprüngliche Fläche wurde halbiert und ein Teil davon in eine Apotheke verwandelt. In diesem Gerippe sitzt man dicht gedrängt, wird von lauter Liftmusik beschallt und bekommt von einer Kellnerin stirnrunzelnd mitgeteilt, dass man bis jetzt immer gut ohne WLAN-Zugang ausgekommen sei.

Wir finden nahe der Toilette einen Platz. Michael kommt gerade von einem Aussendreh. Er steckt mitten in den Vorbereitungen für seine Deutschlandtour für das Programm Mediengeil. Es ist nach Copy/Paste bereits das zweite Kabarettstück, das die neue Medienlandschaft, ihre Konsumenten und Auswüchse mit einer Mischung aus Stand-up-Comedy und Personenimitationen aufs Korn nimmt.

So lässt er mediengeile Terroristen und stagedivende Rentner auftreten. In einem anderen Sketch veranstaltet er eine Castingshow, wo nicht das grösste Schweizer Talent, sondern das grösste Schweizer Problem gesucht wird. Vor dem Nonsens-Jurymitglied Pingu muss dort zum Beispiel Weltwoche-Verleger und SVP-Politiker Roger Köppel antraben.

Das Interesse für Medienthemen kommt beim 31-jährigen Zuger nicht von ungefähr. Er hat früher selber als Journalist gearbeitet, sich nach einem Praktikum bei der amerikanischen The Daily Show und Auftritten bei der SRF-Sendung Giacobbo/Müller aber entschlossen, längerfristig lieber ganz auf politisierende Comedy zu setzen.

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"Wir Satiriker machen auf der Bühne das, was wir selber lustig und interessant finden und sind nicht abhängig von irgendeinem grossen Verlag, der sein Eigeninteresse durchsetzen will", sagt er, während er seinen Cappuccino zuckert. "So erkläre ich mir auch, dass der Satiriker Jon Stewart vor ein paar Jahren in den USA zum glaubwürdigsten Journalisten gewählt wurde, obwohl er immer betont hat, keinen Journalismus zu machen."

Ein Thema, das den Mann mit der Fertignudelfrisur in seinem Schaffen stark beschäftigt, ist das Gefühl, dass sich immer mehr Menschen in der Schweiz nur noch mittels den Headlines von Gratiszeitungen zu informieren scheinen. "Man hat bei den ganzen von Medien aufgebauschten Krisen und Skandalen gar keinen Blick mehr, wie das Leben besser sein könnte und welche Themen einem wirklich betreffen. Sensationsjournalismus ist so rückwärtsgerichtet, schürt Angst und macht aus Menschen Kontrollfreaks." Für den studierten Politologen wirft das grundsätzliche Fragen auf: Ist das wirklich die Welt, in der wir leben möchten? Und wie lange kann eine Demokratie so noch funktionieren?

In der Satire sieht Michael Elsener ein Gegenmittel, das in der Gesellschaft vorbeugend gegen Eskapismus und Politverdrossenheit wirkt: "Über Politiker zu lachen, ist oft die einzige direkte Möglichkeit, sich gegen sie zu wehren. Das Lachen ist wie ein Ventil, das die Gelegenheit bietet, Frust abzulassen." Er habe schon als Kind gemerkt, dass es eine lustige Komponente habe, wenn man zum Beispiel vor dem Rektor die Wahrheit sage, einfach weil sich niemand traue, sie auszusprechen. "Das, was alle fühlen, zu benennen, ist befreiend. Daran hat sich für mich bis heute nichts geändert."

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Michael Elseners erste Parodien waren dann auch ganz klassisch die von Lehrern. "Diese Erlebnisse im Nachhinein zu analysieren ist sehr spannend: Der Lehrer ist jemand Mächtiges. Dann kündigt er eine Blitzprüfung an. Wir Schüler finden das ungerecht. Kaum ist er weg, parodiere ich ihn, die Klasse lacht und fühlt sich schlapp und fühlen sich verbunden, weil ein Gruppengefühl entsteht."

Ich frage ihn, ob ihm aktuelle Geschehnisse schon einmal zu ernst waren, um damit unterhalten zu können. Er nickt: "Nach Donald Trumps Wahl konnte ich eine Zeitlang keine Pointen mehr schreiben. Das ging mir zu nahe. Es geht erst jetzt wieder. Schlussendlich ist das Lachen für mich die beste Art, wie ich Ereignisse, die mich beschäftigen, verdauen kann. Und es reizt mich nun natürlich auch, ihn zu imitieren."

Nun will ich wissen, ob er Auftritte in Deutschland anders gestaltet als solche vor heimischem Publikum. Er ist sich sicher, dass sich Schweizer Humor von deutschem mehr unterscheidet, als man auf den ersten Blick meinen könnte. "Ich erlebe in der Schweiz häufig, dass ich eine Pointe auf der Bühne mache. Dann lachen die Leute erstmal. Danach gibt es noch so einen "Nachschmunzler" und die Leute schauen ihren Sitznachbarn mit diesem 'Gell-das-war-lustig-Blick' an. Erst dann kann ich weiter machen. In Deutschland läuft das so: 'Pointe. Hahaha. Pointe. Hahaha.' Das hat zur Folge, dass ich mein Programm im Akkord durchjassen muss."

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Von Michaels Cappuccino schwappt nur noch ein Rest der Milchhaube in der Tasse. Er kratzt mit dem Löffel darin herum: "Das Geilste ist Zucker mit Milchschaum und ein bisschen Kaffeegeschmack. Das weckt Kindheitserinnerungen." Er schaut auf. "Das war das Einzige, was ich früher vom Kaffee probieren durfte." Es scheint, als sei Neugierde schon früh, eine seiner treibenden Kräfte gewesen.

"Ich könnte zum Beispiel keinen Tatort mehr schauen, so wie es meine Eltern jeden Sonntag tun"

Das bringt uns darauf, dass sich das Medienverhalten unserer Eltern stark von unserem eigenen unterscheidet. Michael meint: "Wir sind uns so gewöhnt, Serien und Filme zu schauen, in denen gute Geschichten erzählt werden. Das heißt, dass unsere Ansprüche ans Storytelling allgemein steigen. Ich könnte zum Beispiel keinen Tatort mehr schauen, so wie es meine Eltern jeden Sonntag tun. Alles wird darin so unglaublich langsam erzählt, wenn die Schauspieler telefonieren, erklären sie drei Mal, was sie eigentlich meinen. Das ist so langfädig, da schlafe ich ein."

Der Verlockung, sein parodistisches Talent ohne edle Absichten zu nutzen, gab er auch schon nach: So versuchte er einmal, einen Badmintonplatz zu reservieren—aber ohne Erfolg, da alles ausgebucht war. Er griff zum Telefon, meldete sich mit seiner täuschend echten Roger-Federer-Stimme und siehe da: Plötzlich war ein Platz verfügbar. Als der Komiker den Schwindel in der Badminton-Anlage dann gestand, war ihm dort niemand böse: "Sie fanden das lustig und haben mir den Platz dennoch gegeben." Die Gründe dafür, warum er Menschen parodiere, seien immer unterschiedlich. Federer hätte er einfach machen wollen, weil er große Lust darauf hatte.

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Zuletzt frage ich Michael, wie er die Macht seiner Stücke einschätze, vor allem unter dem Aspekt, dass er seine neuen Stücke nicht online stellt, er also nur wenige Vertreter der "Generation Mediengeil" erreichen dürfte. Er antwortet: "Die Grundvoraussetzung für gute Komik ist Überraschung. Darum finde ich, dass sich die Leute meine Show lieber live ansehen sollten."

Man verabschiede sich irgendwann vom Gedanken, dass man als Satiriker die Welt verändern könne. "Für mich sind es die kleinen Dinge, die zählen. Wenn ich zum Beispiel im Foyer nach meinem Auftritt Zuschauer noch angeregt über meinen Auftritt diskutieren höre oder wenn mir Schulkollegen schreiben, dass sie angefangen haben, den Inland-Teil einer Zeitung zu lesen, damit sie gut auf mein Programm vorbereitet sind", ergänzt er.

Unsere Interviewzeit ist um. Zum Abschied bietet mir Michael noch den Schokoladenkeks an, der mit seinem Kaffee serviert wurde. Eine sympathische Geste, die mich gleich an seine Paraderolle als bodenständigen, unbeholfenen Schweizer mit starkem Akzent in seinem Hochdeutsch erinnert, den er gerne vor dem deutschen Publikum mimt.

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