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Fußball

„Wie wir darüber denken, hat uns bisher noch niemand gefragt"

Während der turbulenten Wochen beim 1. FC Nürnberg wurden die „Ultras Nürnberg" von anderen Fans, dem Verein und vor allem von den Medien kritisiert. Jetzt erklären sie, was sie über Martin Bader, die Medien und ihren Club denken.
imago/Zink

„Wer vor den Ultras kuscht, geht ohnehin unter. Die Ultra-Gruppierung will das Mitspracherecht, sie will ihre Leute in die Gremien einschleusen, sie will letztlich die Macht über den Verein. Angeblich treten sie für den reinen Fußball ein. In Wirklichkeit sind sie für den Fußball eine elementare Gefahr", schrieb eine große Boulevardzeitung über die turbulenten Tage beim 1. FC Nürnberg.

Auf die 3:6-Klatsche zum Saisonstart gegen den SC Freiburg, wo viele Fans schon zur Halbzeit das Stadion verließen, folgte ein viel kritisiertes nächtliches 30-Minuten-Raststätten-Treffen der Nürnberger Mannschaft mit 250 Club-Fans und Ultras. Der Verein kündigte dann am Donnerstag eine Trennung von Sportvorstand Martin Bader an, der das Treffen abgesegnet hatte. Die Aussprache an der Raststätte wurde als bedrohliches Szenario dargestellt und Baders Aus an seiner Nähe zu den Ultras ausgemacht. Boulevard- und Regionalmedien hatten die Schuldigen schon gefunden.

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Was die Ultras Nürnberg nicht begriffen haben: Mit Einfluss kommt auch Verantwortung. #fcn
— N. (@TeddyTria) 30. Juli 2015

Die „Ultras Nürnberg 1994", die sich bisher bedeckt hielten, äußerten sich nun erstmals zu den Vorkommnissen. „Der radikale Schritt in Freiburg, gleich beim ersten Spiel der neuen Saison das Stadion zur Halbzeit zu verlassen und die Verantwortlichen zur Rede zu stellen, entspricht eigentlich nicht unserer Mentalität", sagte der Anschreier der Nürnberger Ultras, der sich mit seinen Worten direkt an die Kurve beim Heimspiel am Freitag gegen Heidenheim richtete und sich später zu einem Gespräch mit VICE Sports traf. „Das nächtliche Treffen mag ein ungewöhnlicher Zeitpunkt gewesen sein, aber es war weder anmaßend noch skandalös! Warum soll nur die Presse nach Spielen ein Recht auf Antworten haben?", fragen sich er und seine Gruppierung. Die Kritik für das Rastplatz-Treffen von einigen gemäßigten Fans, Sponsoren und den Aufsichtsräten des Vereins können sie kaum verstehen. „Als hätte nach diesem Spiel nicht jeder Fan Klärungsbedarf gehabt. Wir sind ein mitgliedergeführter Verein, nicht nur auf dem Papier, und das ist auch verdammt gut so", erklärte er.

Die Ultras suchten den direkten Weg für ein Gespräch. „Wir wollten der Mannschaft unser Handeln erklären und wachrütteln", heißt es in einem noch nicht veröffentlichten Text des Nürnberger Fanmagazins „Ya Basta", das VICE Sports vorliegt. Sie baten über die Fanbetreuung um ein Gespräch, welches Sportvorstand Martin Bader absegnete. An einem Rastplatz nahe Freiburg verließen die Busse die Autobahn. „Um Chaos zu vermeiden, ließen wir bewusst nur einige Vertreter an den Mannschaftsbus. Neben Trainer Weiler sprachen Kapitän Polak, Guido Burgstaller und Neuverpflichtung Kirschbaum mit uns. Auch Martin Bader nahm an dem Gespräch teil. Wenn dabei von unserer Seite jemand in die Mangel genommen wurde, dann er", erklären die Ultras in dem Text.

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Die Unterhaltung verlief sehr konstruktiv, wie auch schon die Fanbetreuung des 1. FC Nürnberg in einer offiziellen Stellungnahme bestätigte. Nach den plakativen Medienberichten gab auch die Fanbetreuung an, dass nicht die Rede davon sein kann, „dass irgendjemand diese Zusammenkunft befohlen hat oder jemand jemanden hat antanzen lassen." Die Ultras sehen dies ähnlich. „Ein Dialog, wie er dann stattfand, ist immer die bessere Alternative als Abgrenzung", erzählt der Nürnberger Anschreier. Thema war wohl auch die viel zitierte Trikot-Abgabe beim Spiel gegen Karlsruhe im vergangenen Jahr. „Es war ein offener Austausch. Nicht mehr und nicht weniger. Wir wurden teilweise sehr deutlich, kurzzeitig wurde die Unterhaltung etwas hitziger. Wir haben jedoch keinem Spieler gedroht, haben niemanden angegangen. Was an einem solchen Aufeinandertreffen verwerflich sein soll, wissen wir nicht", so die Ultras in ihrem Text.

Diskussionen zwischen Spielern und Ultras nach der 0:3-Niederlage in Karlsruhe 2014. Foto: Imago/Jan Huebner

Vor allem die letzten zwei schwachen sportlichen Jahre haben viel Frust und Ärger bei den Fans hinterlassen und sie nach der katastrophalen Leistung in Freiburg zu einer Reaktion gezwungen. „Es musste gleich von Anfang an klargemacht werden, dass es eine weitere Gurkensaison mit uns nicht mehr geben wird—wohlwissend, dass dies auch personelle Konsequenzen nach sich ziehen würde." Für das Aus von Martin Bader, dem eine besondere Nähe oder gar „Allianz" zu den Ultras Nürnberg nachgesagt wurde, sehen sie sich nicht verantwortlich. „Das kam zu diesem frühen Zeitpunkt der Saison überraschend. Letztlich war es unvermeidbar. Seinen Erfolgen steht die verfehlte Personalpolitik der vergangenen zweieinhalb Jahre gegenüber", erklären die Ultras Nürnberg in ihrem Schreiben.

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Dennoch wollten sie den Rauswurf von Bader keineswegs provozieren: „Trotz allem hat die Gruppe Ultras Nürnberg, was die Personalie Bader anging, den Ball flach gehalten. Zum einen, weil wir sein Wirken im Verein auf längere Sicht betrachteten; zum anderen, weil wir noch nie den Rauswurf eines Vorstands, Spielers oder Trainers aktiv gefordert haben—Thomas van Heesen und Michael Oenning vielleicht ausgenommen." Betrachtet man die letzten zweieinhalb Jahre des Clubs, dann war Martin Baders Rücktritt als Nürnberger Sportvorstand überfällig. Nicht sein Verhältnis zu den Ultras oder die Zusage für das nächtliche Treffen nach dem Freiburg-Spiel wurde ihm zum Verhängnis, sondern seine Versäumnisse im sportlichen Bereich.

Martin Bader wusste, dass er nicht nur mit Funktionären und der Führungsriege ein gutes Verhältnis brauchte, um den neunmaligen Deutschen Meister in der Spur zu halten. Auch der enge Draht zu den Ultras war ihm wichtig. Die Ultras wussten dies an ihm zu schätzen. „Wir haben mit Martin Bader mehrfach das direkte Gespräch gesucht. Denn auch Bader hatte erkannt, dass es bisweilen sinnvoll sein kann, direkt miteinander zu reden, anstatt Kleinkriege—wie im Falle unseres Aufsichtsrats—via Presse auszufechten", erklären die Ultras. Von einem Bader-Ultras-Kartell kann aber nicht die Rede sein. Auch den Vorwurf, dass die Ultras ihre Macht ausspielen würden, wird von ihnen relativiert. „Ist es verwunderlich, wenn die aktivste Fangruppierung des 1.FC Nürnberg in über zehn Jahren gelegentlich den Kontakt zu einem ihrer Vereinsvorstände sucht? Ist das ein Ausspielen von „Macht"? Oder viel eher ein konstruktiver Austausch auf Augenhöhe, der mit Martin Bader—sofern man es denn wollte—jederzeit für jedermann möglich war?"

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Der Anschreier der Nürnberger Ultras kritisiert in dieser Debatte vor allem die Medien: „Erst trugen wir Schuld, da Bader noch da war. Nun sind wir schuld, dass Bader weg ist. Wie wir jedoch tatsächlich darüber denken, das hat uns bis zum jetzigen Zeitpunkt noch niemand gefragt." Auch, wenn die Ultras Baders Rücktritt befürworten, zollen sie ihm in ihrem Schreiben trotzdem Respekt: „Martin Bader war einer der Letzten in diesem Verein, der zumindest immer das direkte Gespräch gesucht hat. Einer der Letzten, der wusste, wie undankbar unser Verein bisweilen sein kann."

Die Ultras, auch in Nürnberg, machen nicht immer alles richtig. Das Geltungsbewusstsein von ihnen kann durchaus hinterfragt werden. Vor allem, ob es sportlich etwas bringt, wenn sie nach einem Spiel mitten in der Nacht die Spieler zur Rede stellen. Doch anders als es viele der Medien ihren Lesern glauben machen wollen, sind die Ultras nicht die elementarste Gefahr im Fußball, sondern mit vielen anderen Fans wohl eine der elementarsten und wichtigsten Puzzleteile für ihren Sport. Sie machen nicht nur tolle Choreos oder sorgen für gute Stimmung. Sie kämpfen auch für ein Mitspracherecht. Auch wenn ihre Antworten manchmal etwas unkonventionell, konservativ oder utopisch wirken. Die Ultrabewegung ist eine der letzten Subkulturen, die Probleme kritisch hinterfragen und Lösungen aktiv gestalten wollen. Die Vereine müssen mit ihnen arbeiten und nicht gegen sie.

Nach dem gewonnenen Heimspiel gegen Heidenheim sehen die Ultras wieder etwas positiver in die Zukunft. Die turbulenten Ereignisse der Woche hatten wohl eine befreiende Wirkung. „Ob nun die Bader-Trennung oder unser nächtliches Treffen. Die Mannschaft hat wirklich hart gefightet und nicht aufgegeben. Nach dem Spiel hat sie auch mal wieder den Gang in die Kurve gesucht und es war ein ehrliches Feiern zusammen mit der Mannschaft", erzählt der Anschreier der Ultras. „Jetzt könnte doch noch fast sowas wie ein Ruck durch Kurve und Mannschaft gehen und vielleicht präsentieren wir uns zukünftig endlich wieder als Einheit."

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