Die Geschichte der Flaschensammlerin Renate, die nach 30 Jahren wieder im Stadion stand
Alle Fotos: Gerrit Starczewski

FYI.

This story is over 5 years old.

Fußball

Die Geschichte der Flaschensammlerin Renate, die nach 30 Jahren wieder im Stadion stand

Ein Video der freudig tanzenden Flaschensammlerin eroberte im Internet die Herzen vieler Fans—die Geschichte dahinter ist fast noch rührender. Denn, persönlich hat sie das Flaschensammeln nicht nötig.

Renate strahlt. Das grauhaarige Fräulein im VfL-Bochum-Trikot klammert sich mit ihren Fingern an die schmalen Gitterstäbe des Eisenzauns vor der Ostkurve. Während sie das Geschehen auf dem Spielfeld beobachtet, donnert ein „VfL, VfL"-Schlachtruf durch das ganze Stadion. Jeder Gesichtsmuskel der älteren Dame zieht sich in Richtung Fußballgott herauf. Renate hüpft, tanzt und lacht. Die Szenen aus dem Video von Renates Stadionbesuch berührten tausende Menschen, doch hinter diesem Emotionsorgasmus eines Fußballfans verbirgt sich eine herzerwärmende Geschichte.

Anzeige

Renate ist 78 Jahre alt und vielen Fußballfans nur als Flaschensammlerin bekannt. Ob am Stadion an der Hafenstraße in Essen, vor der Arena auf Schalke, dem Dortmunder Westfalenstadion oder gar dem Aachener Tivoli—Renate sammelte schon fast überall in der Rhein-Ruhr-Region. Vor allem vor dem Bochumer Ruhrstadion trifft man sie an, wenn der VfL wieder spielt. Die Geschichte des Videos beginnt eigentlich schon 2005. „Ich habe sie vor über zehn Jahren das erste Mal in Essen am Stadion fotografiert und bin seitdem immer wieder mit ihr ins Gespräch gekommen", erzählt Fotograf Gerrit Starczewski. Er filmte das Video von Renate und stellte es auf der Facebook-Seite seines demnächst erscheinenden Films „Pottoriginale" hoch.

„Sie heißt Renate Klinkel und erzählt immer, dass ihr verstorbener Mann der Cousin von Klaus Kinkel, dem ehemaligen Außenminister, gewesen sei", erzählt Starczewski lächelnd. Renate und er trafen sich immer wieder vor Stadien und sprachen miteinander. „Es gab immer ein Schwätzchen mit interessanten Einblicken in ihr Leben", so der Fotograf. Sie erzählte ihm von ihrem Kummer. Ein Bericht aus der Parallelwelt außerhalb der Stadien. Mal davon, wie sie von Fans angespuckt wurde, wie andere Flaschensammler sie angriffen oder eben von einem Typen, der ihr ein Trikot schenkte. „Jedes Mal sagt sie, dass ihr Kind wieder meckert, dass sie sich das Flaschensammeln noch antut, weil sie die Einnahmen gar nicht nötig hat", so Starczewski. „Aber sie erzählt, das halte sie fit und jung. Das Geld spendet sie der Gelsenkirchener Suppenküche oder einem Freund mit Diabetes."

Anzeige

Foto: Gerrit Starczewski

Auch beim letzten Heimspiel des VfL sammelte sie Flaschen mit ihrem Kinderwagen und den zahlreich daran hängenden Tüten. „Als das Spiel angepfiffen wurde, sah ich sie auf dem leergefegten Stadionvorplatz und bin sofort raus zu ihr", erzählt Starczewski. Er hatte sie seit drei Jahren nicht mehr gesehen. „Ich hatte schon gedacht, dass sie vielleicht gar nicht mehr unter uns weilt, daher musste ich zu ihr", schildert er. Sie erzählte ihm, dass sie das letzte Mal mit ihrem Mann vor über 30 Jahren im Stadion war. Seitdem hatte sie die Atmosphäre nur von außen mitbekommen. „Ich bin mit ihr zu einem Stadionordner, der einen Blick auf ihren Wagen haben wollte und sie ist dann mit mir rein." Anschließend filmte er das Video von ihr.

Wenn sie vom Ruhrstadion spricht, heißt es bei Renate immer noch „das neue Ruhrstadion", obwohl das Stadion an der Castroper Straße schon seit 1979 das „neue Ruhrstadion" ist. „Dieser Moment, als sie wie ein Kind im Stadion stand, war unglaublich schön", erzählt Starczewski, der nun selbst den VfL Bochum anschrieb, ob man Renate nicht sogar mal auf dem Rasen ehren könnte. Es sind schließlich Menschen wie Renate, die einem Verein fernab der Helden auf dem Platz ein Gesicht und ein Gefühl geben. „Diese authentischen Menschen gibt es nicht mehr so häufig." Wann er sie wieder trifft, das wusste der Filmemacher nicht. „Sie ging vor Abpfiff, weil sie ihre Bahn bekommen wollte und kannte ihre Telefonnummer nicht auswendig", so Starczewski. „Aber beim nächsten Spiel sehe ich sie bestimmt wieder."

Folgt Benedikt bei Twitter: @BeneNie

--

Mehr Infos zu Renate und den Kinovorstellungen von „Pottoriginale" (u.a. in Köln oder Berlin) auf www.pottoriginale.de.