Der Begriff “Dark-Ads” geistert immer wieder durch die Medien, wenn es um den US-Wahlkampf 2016 geht. Dort sollen sie angeblich vor allem dabei geholfen haben, junge Clinton-Wähler zu demobilisieren. Im deutschen Wahlkampf wurde immer wieder diskutiert, in welchem Ausmaß es diese versteckte Facebook-Werbung gibt.
Auch in Österreich ist das ein Thema: Im laufenden Nationalratswahlkampf hat Der Standard zum Beispiel eine Aktion zu Dark-Ads ins Leben gerufen. Das Browser-Add-on “Who Targets Me” geht in dieselbe Richtung.
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Weil wir zu dem Thema ein bisschen mehr wissen wollten, haben wir bei Adrienne Fichter in Zürich angerufen. Fichter ist Politikwissenschaftlerin, Journalistin beim neuen Schweizer Medien-Start-up Republik und hat gerade das Buch “Smartphone-Demokratie” rausgegeben. Davor war sie drei Jahre lang Social-Media-Redaktionsleiterin der NZZ. Sie kennt sich also aus.
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VICE: Hallo Adrienne! Beginnen wir mit einer ganz naiven Frage: Was ist eine Dark-Ad eigentlich?
Fichter: Das klingt sehr sinister, ich weiß. Eine Dark-Ad ist eine Facebook-Werbeanzeige, die nur über den Facebook-Werbemanager an eine bestimmte Zielgruppe ausgespielt wird, aber nicht offen gepostet wird. Wenn ich auf die eigentliche Facebook-Page gehe, sehe ich diese Anzeige also nicht. Als Außenstehender habe ich keine Möglichkeit, an diese Werbung zu kommen.
Jetzt ist Micro-Targeting, also das Abstimmen von Botschaften auf kleine Zielgruppen, keine neue Technik. Das haben Kampagnen immer gemacht.
Klar. Solange ich Micro-Targeting auf Facebook dazu nutze, ein offenes Posting über meine eigentliche Zielgruppe hinaus bekannt zu machen, ist das auch eher unproblematisch. Das Problem an Dark-Ads ist, dass dadurch eine neue Zwischensphäre der Öffentlichkeit entsteht, in der Messages potentiell massenhaft und nicht nachvollziehbar verbreitet werden können. Forschung, Journalismus oder Zivilgesellschaft haben keine Möglichkeit gesammelt, um zu sehen, was an wen wie ausgespielt wird. Damit verschwindet die gemeinsame Basis, um über Politik und ihre Bewerbung zu reden. Und damit auch der demokratische Diskurs darüber.
Dark-Ads werden vor allem im Zusammenhang mit Donald Trump diskutiert. Schweizer Kollegen von dir haben einen später viel kritisierten Artikel über die Firma Cambridge Analytics geschrieben, die das angeblich in der Trump-Kampagne exzessiv betrieben hat.
Ich hab mich schon sehr früh mit Cambridge Analytics auseinandergesetzt. So ab Frühjahr 2016, als in US-Medien sehr kritisch über ihre Rolle in der Kampagne von Ted Cruz berichtet wurde. Im Dezember ist das dann kurz hochgekocht, der Artikel wurde später als unkritisches PR-Machwerk kritisiert. Was stimmt: Ein Jahr später wissen wir noch zu wenig über die Rolle von Cambridge Analytics und die Wirkung ihrer Methodik. Was aber unabhängig von dieser Firma auch stimmt: Die Donald-Trump-Kampagne hat ein riesiges, digitales Zentrum aufgebaut und 90 Prozent des Budgets in digitale Werbung gesteckt. Die Stoßrichtung der Kritik ist also nicht grundsätzlich falsch. Ich bin froh, dass wir darüber reden.
“Die Diskussion über die Facebook-Seite ‘Die Wahrheit über Sebastian Kurz’ zeigt: Der digitale Wahlkampf bietet neue Möglichkeiten für Dinge, die wir in einem demokratischen Diskurs mit Recht nicht wollen.”
Warum stecken Kampagnen mittlerweile so viel Geld in Facebook?
Man kann dort mit verhältnismäßig wenig Geld sehr viel anstellen. Ich kann schon mit 500 Dollar am Tag eine bestimmte Zielgruppe auf Facebook sehr umfassend erreichen – zum Bespiel: Frauen zwischen 30 und 65 Jahren, die im Swing-State Ohio leben, Hillary-Clinton-affin sind und Angst vor Flüchtlingen haben. Man sieht das an mutmaßlich russischen Facebook-Werbungen im US-Wahlkampf: Da wurden mit 100.000 Dollar Werbungen an zehn Millionen Menschen ausgespielt.
Waren Dark-Ads auch im deutschen Wahlkampf ein Thema?
Es gab sie, ich durfte sie auch gemeinsam mit einem Kollegen kommentieren. Schon im März tauchte eine Werbung der CSU auf, wo sich Parteichef Horst Seehofer auf Russisch gegen eine “Multikulti-Republik” aussprach und die nur auf Fans des russischen Propagandasenders “Russia Today” getargetet war. Das war der CSU sehr peinlich. Insgesamt hab ich das Gefühl, dass das Thema in Deutschland so viel in den Medien war, dass eine gewisse Präventionswirkung eingesetzt, hat. Den Parteien war das Risiko vielleicht zu hoch. Viel schlimmer war es im Frühjahr im Vereinigten Königreich.
Was ist dort passiert?
Der Wahlkampf wird seltsamerweise nicht mit Dark-Ads in Verbindung gebracht, aber in den fünf bis sechs Wochen Wahlkampf flossen 3,2 Millionen Pfund in den Facebook-Wahlkampf, darunter etliche Dark-Ads mit Fake News und wirklich schmutzigem Negative-Campainging gegen Labour, aber auch gegen die Torys. Das wurde von BuzzFeed und “Who Targets Me” sehr schön aufgedeckt.
Zur Erklärung: “Who Targets Me” bietet eine Chrome-Erweiterung an, mit der Facebook-Anzeigen von freiwilligen Usern automatisch rauslesen werden. Es gibt zum Beispiel auch in Österreich Aktionen, wo User aufgefordert werden, Screenshots von Werbung einzuschicken.
Ja, sowas ist notwendig, weil Facebook da leider wenig hilfreich ist. In Großbritannien haben Journalisten und Wissenschaftler nach der Wahl versucht, an die Daten zu kommen. Facebook hat sich da leider verweigert. Erst vorletzte Woche, als die Verbindung zu den russischen Ads öffentlich wurde, hat Facebook angekündigt, zumindest in den USA die Daten dem Kongress zur Verfügung zu stellen.
Warum machen Dark-Ads der Öffentlichkeit solche Angst?
Ich weiß nicht, ob es Angst ist. Aber es spielt sicher eine Rolle, dass man vor allem der politischen Rechten zutraut, sie erfolgreich anzuwenden. Die Rechtspopulisten sind im Digitalbereich einfach deutlich weiter, und es braucht für Dark-Ads natürlich gute Kenntnisse im Online-Marketing. Aber auch unabhängig vom Absender: Dark-Ads sind einfach eine sehr perfide Form des Wahlkampfs, weil sich der Betroffene nicht dagegen wehren kann und auch Dritte wie Journalisten die Message nicht dekonstruieren können.
Wenn mir Wahlmanager sagen, dass personalisierte Werbung doch eine Riesen-Chance auch für kleine Parteien sei, frag ich sie immer: Was würdest du denken, wenn Du von einer Schmutzkübelkampagne gegen deinen Kandidaten gar nicht erfahren würdest? Auch die Diskussion über die Facebook-Seite “Die Wahrheit über Sebastian Kurz” bei euch in Österreich zeigt gerade wieder auf: Der digitale Wahlkampf bietet neue Möglichkeiten, aber eben auch neue Möglichkeiten für Dinge, die wir in einem demokratischen Diskurs mit Recht nicht wollen.
Gibt es bezüglich der Dark-Ads schon Wirkungsforschung?
Wir wissen leider wenig über die Wirkung. Wir wissen nur indirekt, dass sie eine Wirkung haben könnten: Es gibt Untersuchungen, dass relevante Meinungsänderungen über Kandidaten im Wahlkampf eigentlich nur in die negative Richtung gehen. Aber wir kennen weder das Volumen der Dark-Ads, noch an wen sie gehen oder wie genau. Solange wir das nicht wissen, ist Forschung schwierig. Deshalb wäre es sehr wichtig, dass Facebook das transparent macht und der Zivilgesellschaft zur Verfügung stellt.
Du hast erwähnt, dass Facebook da mittlerweile bereit ist, mehr zu tun.
Ja, und ich begrüße das. Ich hatte lange den Verdacht, dass Facebook das einfach nicht ernst nimmt. Facebook überlegt, politische Werbung als solche kenntlich zu machen. Mark Zuckerberg hat außerdem angekündigt, 1000 neue Mitarbeiter anzustellen, die Werbung im Vorfeld kontrollieren sollen. Aber das kann nicht reichen. Facebook hat fünf Millionen Anzeigenkunden. Jeden Tag fließen da Millionen von Datenströmen, die wiederum unzählige Menschen erreichen. Facebook hat mit dem Werbemanager ein Monster erschaffen. Es braucht dringend Ressourcen, aber auch Transparenz, um es zu bändigen.
“Nach dem TV-Duell zwischen Clinton und Trump, das Clinton nach Ansicht nahezu aller Beobachter gewonnen hatte, wurden automatisiert Hundertausende Tweets mit dem Hashtag #trumphaswon abgesetzt.”
Wenn wir noch so wenig über Dark-Ads wissen, machen wir uns dann über die richtigen Dinge Sorgen? Wie ist das zum Beispiel mit den ebenso diskutieren Bot-Netzwerken?
Grundsätzlich macht Facebook, was Bots oder Fake-Profile angeht, einen relativ guten Job. Das ist eher ein Twitter-Problem. Auf Twitter gibt es etliche große Bot-Netzwerke, die in der letzten Zeit mehrfach versucht haben, aus dem In- und Ausland auf Wahlen Einfluss zu nehmen.
Wie funktioniert das?
Mit Bots wird versucht, Themen, Trends und bestimmte Spins zu verbreiten. Also klassisches Agenda-Setting. Zum Beispiel, in dem man Hashtags so verbreitet, dass sie auch anderen Usern in den Top Trends angezeigt werden. Nach dem TV-Duell zwischen Clinton und Trump, das Clinton nach Ansicht nahezu aller Beobachter gewonnen hatte, wurden automatisiert Hundertausende Tweets mit dem Hashtag #trumphaswon abgesetzt. Und auch beim Duell zwischen Merkel und Schulz gab es den Versuch der sogenannten Alt-Right-Bewegung, den Hashtag #Verräterduell in die Trends zu bringen.
Diese Bots sind also auch in Europa ein Problem?
Bot-Netzwerke sind ein Problem, wenn auch sicher kein so großes wie in den USA. Grundsätzlich ist die Alt-Right auf Plattformen wie 4Chan oder Apps wie Discord international sehr vernetzt und aktiv. Dort werden auch die Memes kreiert, die ein immer wichtigeres Instrument der Auseinandersetzung werden. Botnetzwerke sind ein Mittel des politischen Kampfes: Ein grosser Teil aller Tweets zu Macron-Leaks kurz vor der Frankreich-Wahl wurden von 20 Prozent der Accounts abgesendet, die überhaupt über dieses Thema getwittert haben. Das waren alles Bots. Mit Bots kann man eine Schein-Popularität erzeugen, die wiederum reale Debatten beeinflussen kann.
Reagiert Twitter darauf?
Spärlich, aber einige Maßnahmen wurden gesetzt. So ist es zum Beispiel heute nicht mehr möglich, massenhaft Accounts zu erstellen, um die Trending Topics zu beeinflussen.
Wir haben jetzt, relativ typisch für den deutschsprachigen Raum, bislang nur über die negativen Aspekte der digitale Demokratie gesprochen. Fällt Dir noch was Positives ein?
Natürlich, sehr viel sogar. Ich bin immer noch ein großer Fan der Digitalisierung und glaube, dass sie unzählige großartige Möglichkeiten zur Vernetzung, Gleichberechtigung und Demokratisierung bietet. Facebook muss man aber differenziert betrachten, auch aufgrund seiner Quasi-Monopolstellung.
Es ist ein gutes Tool zur Mobilisierung, aber aktuell nicht für den politischen Diskurs. Auch weil es eben darauf beruht, dass ich zunehmend eher mit Gleichgesinnten kommuniziere. Zuckerberg behauptet zwar, er wolle eine “globale Gemeinschaft” aufbauen, aber die Mechaniken von Facebook begünstigen eher den Aufbau von kleinen politischen Communitys. Die Probleme mit Facebook lassen sich mit Ressourcen in den Griff bekommen. Aber es ist auch wichtig, dass man neben Facebook noch andere Netzwerke nutzt, um den Fokus etwas zu verlagern.
Jonas auf Twitter: @l4ndvogt