Popkultur

Fast alle deine Lieblings-Horrorfilme handeln in Wahrheit vom Ersten Weltkrieg

Game of Thrones, White Walkers, Wasteland: The Great War and the Origins of Modern Horror, W. Scott Poole

16 Millionen Tote, fast sieben Millionen davon Zivilisten, über 20 Millionen Verwundete. Der Erste Weltkrieg brachte Zerstörungen über die Menschen, wie sie die Welt noch nicht erlebt hatte. Nicht nur ganze Landstriche in Europa wurde verwüstet, sondern auch Teile Nordafrikas und des Nahen Ostens. Die wahren Ausmaße sind schwer zu fassen. Noch Jahre nach dem Waffenstillstand starben Menschen an den direkten und indirekten Folgen des Kriegs: an Hunger, Armut und der Spanischen Grippe. Insgesamt über 40 Millionen Menschenleben dürften es am Ende gewesen sein. Diese Zahlen erzählen aber nicht die ganze Geschichte.

Zu den Kriegsopfern gehörten auch ganze Weltanschauungssysteme. Menschenbilder und Zukunftsoptimismus fielen Senfgas und Sperrfeuer zum Opfer. Das Erlebte brannte sich in die kollektive Psyche ein.

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Wie viel davon bis heute, 100 Jahre nach Kriegsende, überdauert hat, zeigt Historiker W. Scott Poole in seinem neuen Buch Wasteland: The Great War and the Origins of Modern Horror. Wie der Name schon sagt, betrachtet er darin, wie sich das Horror-Genre nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte und von den Kriegserfahrungen seiner Macher beeinflusst wurde.

VICE hat mit Poole gesprochen, um zu erfahren, was die White Walker aus Game of Thrones mit dem Ersten Weltkrieg zu tun haben.

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W. Scott Poole | Foto mit freundlicher Genehmigung von Counterpoint Press

VICE: Warum soll das moderne Horror-Genre in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs entstanden sein?
W. Scott Poole: Das Makabre existierte auch lange vor 1914 schon in Epen, Schauerromanen und den Werken von Mary Shelley, Bram Stoker und Charles Baudelaire. Aber einige Elemente, die wir heute mit Horror verbinden – Zerstückelungen, Verstümmelungen, wiederauferstandene rachsüchtige Tote, die Vorstellung, dass es nicht nur in einem Haus spukt, sondern die ganze Welt zum Leichenhaus wird –, tauchten hier zum ersten Mal auf und trafen auf ein viel größeres Publikum.

In den Texten von Kriegsveteranen – nicht nur denjenigen, die Horror-Autoren wurden – erkenne ich ein Verlangen, das Trauma zwanghaft wieder und wieder zu erleben. Horror ist die Sprache des Traumas.

Warum wurde der Zusammenhang zwischen dem Krieg und der Entstehung des Horror-Genres bislang noch nicht untersucht?
Ich bin bei Weitem nicht der erste, dem das aufgefallen ist. David Skal schreibt in seinem wegweisenden Buch The Monster Show, wie sich die Welt Anfang des 20. Jahrhunderts nicht nur mit Leichenbergen sondern auch Millionen von oftmals schrecklich entstellten Veteranen auseinandersetzen musste. In einem Roman von Christopher Bram, auf dem der Oscar-prämierte Film Gods and Monsters basiert, geht es um die letzten Jahre des Frankenstein-Regisseurs James Whale, der von Erinnerungen an die Schützengräben und seine Monster heimgesucht wird. Neu an meinem Buch ist, dass es den ersten umfassenden Blick auf diese Ära und die Verbindung zwischen Horror und Geschichte bietet.

Inwiefern hat sich der Erste Weltkrieg in unsere Psyche eingebrannt?
Unsere Vorstellung vom Tod änderte sich radikal. Horror wurde nicht nur Teil der Populärkultur, sondern auch unserer Sicht auf die Welt. Das 19. Jahrhundert hatte den Tod in vielerlei Hinsicht verkitscht, insbesondere unsere Bestattungs- und Trauerpraktiken. Nach dem Ersten Weltkrieg war das unmöglich. Soldaten und Zivilisten wurden in Massengräbern begraben – namenlos und oft nicht identifizierbar.

In Horrorfilmen wie Paul Lenis Wachsfigurenkabinett von 1924 oder Das Cabinet des Dr. Caligari von 1920 sehen wir den Körper als leere Hülle, eine Art Todespuppe. Eine schreckliche Vorstellung. Als diese Vorstellung es in Form von Monsterfilmen in die USA schaffte und unglaublich populär wurde, war es, als hätte der Tod Fans bekommen.

Felder übersät mit Leichen.

Wie haben Schlachtfelder und Gräben die moderne Horror-Bilderwelt geprägt?
Das Niemandsland zwischen den Frontlinien, ein mit Leichen übersätes Feld, verkörperte eine neue Form des Spukhauses. Es repräsentiert die morbidesten Aspekte des Horrorfilms. Selbst in Subgenres wie Offroad-Slashern wie The Hills Have Eyes – Hügel der blutigen Augen sehen wir diese Bilder. Die neue Staffel von American Horror Story, “Apocalypse”, greift ebenfalls auf diese Bilder zurück und kombiniert sie mit Gestalten in Gasmasken, die ebenfalls aus dieser Zeit stammen. Diesem zumeist unmenschlich wirkenden Wesen begegnen wir immer wieder in Horrorfilmen.

Du schreibst, dass auch Maler wie Otto Dix das Genre beeinflusst haben. Kannst du das kurz erklären?
Wie viele andere auch hatte sich Otto Dix zu Kriegsbeginn freiwillig gemeldet. Nach vier Jahren an der Front kehrte er als überzeugter Pazifist zurück. Er sah Kunst als “Exorzismus”. Sie sollte schockieren und den Moralisten Angst und Schrecken einjagen. Er und andere künstlerisch aktive Veteranen wie Max Ernst erschufen Bilder des Todes, des Grotesken und des Morbiden.

Viele dürfte es überraschen, wie viel Austausch es damals zwischen der sogenannten “Popkultur” wie Film und der “Hochkultur” gab. Der surrealistische Dichter André Breton war der Meinung, dass Kunst einem größtmöglichen Publikum die Albträume der Welt zugänglich machen muss. Deswegen liebten auch junge surrealistische Filmemacher den Film Nosferatu. Sie zogen sich sogar wie die Figuren an und sprachen in Vorführungen laut ihre Lieblingsdialoge mit.

Wie hat der Erste Weltkrieg Filmemacher wie Fritz Lang, F.W. Murnau, Albin Grau und James Whale beeinflusst? Einen direkten Kriegsbezug sieht man ja nicht unbedingt.
Die Kriegserfahrungen hatten sie alle mit einer Form geistiger und emotionaler Fragmentierung versehen, die sie in ihren Filmen nachahmten. Bei Lang hatte der Krieg schwere seelische Narben hinterlassen. In sehr öffentlichen Ehe-Streitereien fuchtelte er oft mit seiner Dienstwaffe rum. Seine damalige Frau starb auch durch einen Schuss aus seiner Waffe. Der Fall ist bis heute nicht geklärt.

Teile dieses Zorns und irrationalen Verhaltens sehen wir in seinen Filmen über Verbrechen, Serienmorde und vor allem in Metropolis. Dieser handelt von einer futuristischen Gesellschaft, in deren Herz ein Monster sitzt, das Menschen verschlingt. Murnau und Grau hatten beide Kameraden in furchtbaren Gefechten an der West- und Ostfront verloren. Produzent Grau sah in Nosferatu ein Mittel, um den Krieg zu begreifen, der “daherbrauste wie ein kosmischer Vampir, um das Blut ungezählter Millionen zu trinken”.

“Zombiehorror ist nicht eskapistisch, sondern entspringt unserer Geschichte.”

Whale drehte zwei großartige Frankenstein Filme: Frankenstein von 1931 und Frankensteins Braut von 1935. Heutzutage mag Frankensteins Monster vielleicht wie ein freundlicher Quadratschädel daherkommen, aber in Whales Vision war er viel mehr. Das Monster war ein komplettes Leichenfeld, zusammengenäht und unaufhaltsam. Frankensteins Monster ist der Albtraum der vergangenen hundert Jahre.

Die White Walker aus Game of Thrones sollen ihren Ursprung auch im Ersten Weltkrieg haben?
Die White Walker und generell Zombies zeigen unsere Furcht vor einer Armee der Untoten. Filmemacher Abel Gance hat diese zum ersten Mal 1919 dargestellt, als in der Schlussszene seines Films Ich klage an die gefallenen Soldaten von Toten aufersteht und nach Hause zurückkehren, zum Schrecken ihrer Familien.

Gance nahm als Statisten echte Veteranen von Verdun, viele von ihnen bandagiert, manche amputiert und andere mit schrecklichen Gesichtsverletzungen. Diese Vorstellung verfolgt uns bis heute. Zombiehorror ist nicht eskapistisch, sondern entspringt unserer Geschichte.

Welche anderen Bilder aus dem Ersten Weltkrieg halten sich bis heute?
Walter Benjamin, der immer wieder in meinem Buch auftaucht, beschreibt die Geschichte seit 1918 als “eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft”. Der Krieg ist der Anfang dieser Katastrophe. Daraus entstand zum Beispiel auch der Nahe Osten, als die Siegermächte Großbritannien und Frankreich das untergegangene Osmanische Reich in Kolonien aufteilten. Die Briten entschieden sich dazu, den Irak zu gründen, ohne die verschiedenen Bevölkerungsgruppen in der Region zu berücksichtigen.

Die USA und Japan wurden durch den Krieg sehr mächtig und ihr Kampf um die Vorherrschaft im Pazifik wurde Teil des Zweiten Weltkriegs. Tatsächlich kann man sich den Nahostkonflikt, den Kalten Krieg und den modernen Terrorismus nicht erklären, ohne sich die Welt anzuschauen, die der trügerische Frieden von 1918 erschaffen hatte.

Die faschistischen Ideologien der 20er und 30er Jahre oder die Vorstellung, dass ein Volk von der Idee, ihre Nation wieder großzumachen, so mitgerissen wird, sind alles Monster, die damals in den Schützengräben geboren wurden. Es sind Ideen, die in den Köpfen des Unteroffiziers Mussolini und Gefreiten Hitler entsprangen, die uns heute noch überschatten. Wir leben in einem Spukhaus, aus dem es kein Entkommen gibt – im Niemandsland zwischen Leichenbergen.

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