Es ist schwer zu glauben, dass es tatsächlich Menschen in dieser Welt gibt, die den Begriff Feminazi ernsthaft verwenden. Laut dem Frauenhasser Rush Limbaugh, der das Kofferwort 1992 mit seinem Buch The Way Things Ought to Be zu Popularität verhalf, ist ein Feminazi „eine Frau, deren wichtigstes Anliegen es im Leben ist, dafür zu sorgen, dass so viele Abtreibungen wie möglich durchgeführt werden”. Ja, wirklich.
In den letzten 23 Jahren wurde das geliebte Epitheton dazu gebraucht, um die Arbeit derjenigen schlecht zu reden und zu untergraben, die die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft voranbringen wollten—oder eben für Frauen, die einfach nur öffentlich ihre Meinung sagen wollen. Während Limbaughs Definition die Geschichte—die radikale Kontrolle von Reproduktionsrechten durch die Nationalsozialisten, die Ausübung patriarchalischer Staatsgewalt und die Flucht erklärter Feministen vor dem NS-Regime—außer Acht lässt, wendet die Logik des Begriffs die Militanz der Nazis auf den Feminismus an.
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Ich wollte wissen, ob diese mystische Bestie, aus der die feuchten Träume von Konservativen gemacht sind, echt ist. Und wenn es so etwas wie einen feministischen Nazi gibt, wie begründet er selbst seine eigene Existenz? Also habe ich mich dazu entschlossen, mich durch Stormfront.org, die bereits am längsten im Internet existierende, rassistische Hassseite, zu wühlen, in der Hoffnung dort eine Kängurukatze, einen Liger, einen echte Feminazi zu finden.
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Dieses Forum voller weißer Nationalisten, Rechtsextremer und Neonazis, das in diesem Jahr 20 Jahre Rassismus feiert, ist wohl der letzte Ort, an dem man erwarten würde, auf offene Diskussionen über Feminismus zu stoßen. Nach einem Bericht, der im letzten Jahr von der US-amerikanischen Organisation Rechtszentrum zur Armut des Südens herausgegeben wurde, waren registrierte Mitglieder von Stormfront allein in den letzten sechs Jahren für fast 100 Morde verantwortlich. Zu den Mitgliedern gehören unter Anderem Richard Scott Baumhammers, der während eines Amoklaufs im Jahr 2000 fünf Menschen tötete und eine Person schwer verletzte, und Anders Breivik, der 2011 während eines Massakers in Norwegen 77 Menschen tötete—überwiegend Kinder. Breivik, der 2008 unter dem Usernamen „year2183″ Mitglied auf der Seite wurde, schrieb in einem Post: „Feminismus, korrupte, verräterische Politiker, korrupte, verräterische Medien, jüdische Immigrationsbefürworter und korrupte Universitäten sind das Loch im Deich, durch das die Muslime wie Wasser einströmen.” Obwohl die ursprünglichen Beiträge von Breivik von der Seite gelöscht wurden, findet man dort trotzdem noch Antworten, Reposts und Reaktionen von wegen „gut, dich unter uns zu haben” zu seinem ursprünglichen, gegen den Islam wetternden Post.
Es ist nicht wirklich überraschend, dass Feminismus ein ziemlich umstrittenes Thema auf Stromfront ist—einer Seite, die sich mit 300.000 registrierten Mitgliedern und—nach eigenen Angaben—rund 40.000 Unique Users täglich brüstet. Im Juli wurde die Stimmung in dem Themenforum „Gibt es hier irgendwelche Feministen?” so aggressiv, dass der Moderator SF Dungeon Master Fading Light den Thread nach weniger als einem Monat geschlossen hat, mit der Anmerkung: „Gott, ich hasse es, eine Diskussion wie diese zu schließen, aber die Scheiße gerät echt außer Kontrolle.”
Nachdem ich mir vorstellen kann, dass auf einer Website, die zur Entwicklung von von Hass getriebenen Gruppen da ist, einiges braucht, um die Spirale aus Hasstiraden zu durchbrechen, schrieb derselbe Moderator nach kurzer Zeit wieder einen Post „Stormfront Stellungnahme zur Gleichbehandlung der Geschlechter”, in welchem er zum Ende des Frauen-Bashings auf der Seite aufrief. Die Antwortfunktion auf diesen Post wurde gesperrt.
Der „Gibt es hier irgendwelche Feministen?”-Thread, der nach 158 Antworten geschlossen wurde, ist nichts Ungewöhnliches auf Stormfront. Vielmehr scheint es für die User genauso unwiderstehlich zu sein, eine Debatte über Feminismus in Stormfront-Foren zu entfachen, wie im Übrigen unbeschreiblich rassistische Beiträge mit den Worten „Die Wahrheit über” zu beginnen, seine Lieblingsbilder vom Dritten Reich zu teilen oder die Juden für ungefähr alles verantwortlich zu machen. (Danke an den User WakeUpWhiteMan, dafür dass er uns folgenden Thread von letztem Monat zukommen lies: „Jüdisches VICE-Magazin publiziert Artikel, der offenkundig für Bestialität wirbt”.)
Welche weiße, nationalistische Frau ist nicht zu einem gewissen Grad eine Feministin?
Aber im Ernst: Auf Stormfront.org gibt es mehr Beiträge, die explizit über Feminismus sprechen, als auf der amerikanischen Broadly-Seite seit ihrem Launch. Einige der anderen aktiv Feminismus-bezogene Threads lauten unter anderem: „Passen Feminismus und White Power zusammen? Ich denke schon”, genau wie „(Jüdische) Progressive akademische Feministin denkt, Männer gehören ins Lager”, „Frauen gegen Feminismus”, „Ist Feminismus eine extremistische Ideologie?”, „Warum sind Feministen fett und hässlich”, „Woran man eine Feministin erkennt”, „Feministische Bewegung?” und „Grundsatz für den respektvollen Umgang mit weißen Frauen”. Es gibt auch eine eigene Sektion auf der Seite, die nur für Frauen ist: „For Stormfront Ladies Only” (dt. „Nur für Stromfront-Frauen”). Dort gibt es seit 2008 einen Post mit dem Titel „Wie könnte man mehr Frauen für White Power gewinnen?”, der bis heute aktiv kommentiert wird.
Im Meer der vorhersehbaren Hasstiraden gegen Feministen zu dem Thema „Warum sind Feministen fett und hässlich?” fand ich die Antwort eines Nutzers, die für meine Recherche besonders wichtig war.
„Welche weiße, nationalistische Frau ist nicht zu einem gewissen Grad eine Feministin?”, postete die Userin Ojos Azules, nachdem sie sich in dem Thread als Feministin geoutet hatte. Ojos Azules, bzw. die 31-jährige Anne, ist ein White Power-Mitglied aus Canada, anders als ihr Avatar mit der Konföderierten-Flagge hätte vermuten lassen. In einer persönlichen Nachricht—das System von Stormfront ist dem vom AOL Instand Messenger ziemlich ähnlich, mit hüpfenden Smileys und all dem—erklärte sie mir, dass sie sich selbst als „altmodische Feministin” sieht.
„Frauen der White Power-Bewegung bekommen nicht gesagt, wie sie ihr Leben leben müssen”, sagt Ojos Azules. „Die Frauen in diesem Forum betrachten sich selbst nicht als minderwertiger als die Männer, sondern als gleichberechtigte Partner. Es gibt hier keine Einteilung in Mann und Frau.”
Dr. Abby L. Ferber, Professorin für Frauen- und ethnische Studien und Autorin von White Man Falling: Race, Gender and White Supremacy, erklärt, weshalb sich einige rechtsextreme Frauen als Feministinnen bezeichnen: „Ich denke, die Frage ist: Wie definiert man Feminismus? Im Allgemeinen ist ihr Bild davon, was Feminismus ist, häufig von den Medien geprägt, was jedoch eine ziemlich begrenzte Sichtweise darstellt”, sagt Ferber in einem Telefoninterview. „Jeder, der sich irgendwie mit Feminismus auseinandergesetzt hat, weiß, dass Feminismus sehr viel komplexer ist als das.”
Frauen wie Ojos Azules denken über Feminismus in einer traditionellen, liberalen Definition nach—basierend auf der Idee, dass Männer und Frauen den gleichen Schutz nach dem Recht genießen. „Aus dieser Definition heraus macht es Sinn, dass sie sich selbst als Feministen betrachten wollen”, sagt Ferber und erklärt, dass sich die Frauen innerhalb solcher Bewegungen eigene Formen von Weiblichkeit schaffen. Einige spielen die Hausfrau, während andere in die Rolle der Kriegerin schlüpfen, um sich zu sozialisieren und mehr Frauen für die Bewegung zu gewinnen. Insbesondere solche Frauen werden sich höchstwahrscheinlich als Feministinnen bezeichnen.
Wenn man sagt, dass man eine feministische Frau in einer rechtsextremen Organisation ist, was sagst du dann über schwarze Frauen?
Unabhängig von der Definition widerspricht es der Idee der Rechtsextremisten oder Neonazis jedoch immer noch grundsätzlich, sich selbst als Feministin zu definieren. „Ich glaube nicht, dass man eine Feministin sein kann und gleichzeitig Mitglied einer menschenverachtenden Bewegung”, sagt Dr. Margaret Power, Geschichtsprofessorin am technischen Institut von Illinois, die sich mit ihrer Arbeit auf die Themen Gender, Frauen und Bewegungen des politisch rechten äußeren Rands spezialisiert hat. „Wenn man sagt, dass man eine feministische Frau in einer rechtsextremen Organisation ist, was sagst du dann über schwarze Frauen? Das ist ganz offensichtlich ein grundlegender Widerspruch.”
Laut Ojos Azules bietet das Ladies Only-Forum die Möglichkeit für Kameradschaft und soziale Unterstützung unter den Stormfront-Frauen, was zu einem stärkeren Ruf nach Gleichberechtigung von Frauen innerhalb der Bewegung führen könnte, besonders in einem Online-Forum, in dem Frauen unter anderem als Schlampen oder Brüter bezeichnet werden. „Ich habe bereits gesehen, wie Dinge außer Kontrolle geraten sind, aber ich habe auch gesehen, wie Leute füreinander eingestanden sind”, sagt sie. „Wer zu empfindlich ist, ja, der wird ausgestochen. Das Forum für Frauen ist ziemlich hilfreich.”
Ich habe Ojos Azules gefragt, ob sie denkt, dass es unethisch wäre, ein Anwalt für die Gleichberechtigung der Geschlechter und gleichzeitig gegen die Rassengleichheit zu sein. „Für eine weiße Frau in einer weißen Gesellschaft mit weißen Freunden und einem weißen Ehemann ist es unwahrscheinlicher Opfer von Missbrauch und Vernachlässigung zu werden als für jemanden, der unter Nicht-Weißen lebt und eine romantische Beziehung mit ihnen eingeht”, sagt sie. „Wir profitieren alle vom Erhalt unserer Kultur, vor allem zukünftige Generationen.”
Neueste Berichte von Neonazis, die versuchen mehr junge Leute für ihre Bewegung anzulocken, indem sich sich auf Themen wie Geschlechtergleichstellung und Umweltschutz konzentrieren, könnten ein Indiz dafür sein, weshalb man immer mehr Frauen—und besonders solche, die sich als Feministinnen bezeichnen— in rechtsextremen Gruppierungen antrifft. Dr. Kathleen M. Blee, Professorin für Soziologie an der Universität von Pittsburgh, bekannt für ihre Arbeit über die Rolle von Frauen im Ku Klux Klan, erklärt, dass die Zahl der Frauen in rechtsextremen Gruppierungen zeitweise schwankt. Währen der Zeit von 1910-1930 nahmen Frauen aktivere Rollen im Ku Klux Klan ein; viele etablierten sogar eigene, von Frauen geführte Verbände, die sogenannten „Women’s Ku Klux Klan”.
„Einige der Frauen in den Frauenklans sahen sich selbst als Anwälte für Frauenrechte und die weiße Rasse”, sagt Blee in einem Telefoninterview. „Die Menschen tendieren zu zwei Extremen: Entweder lassen sie es vollkommen unberücksichtigt, dass Frauen irgendeine echte Rolle unter der ‘weißen Vorherrschaft’, also den rechtsextremen Gruppierungen, spielen oder aber sie neigen dazu, die Führungsfunktion von Frauen überzubewerten.” Sie erläutert, dass diese rechtsextremen Gruppierungen noch immer sehr männerdominiert sind und Frauen in der Regel eine untergeordnete Rolle spielen, selbst wenn sie heute einen nicht unerheblichen Teil der Gruppen ausmachen. (Tatsächlich wirken manche der Gender-bezogenen Posts auf der Frauenseite von Stormfront so abwegig, dass sie Teil einer Spezialausgabe zum Weltfrauentag in Zusammenarbeit mit dem Ku Klux Klan und dem Postillion sein könnten: „Heutige Probleme mit Ehe und Scheidung—Warum Männer ungerecht behandelt werden”, „Muss es zwangsläufig schlecht sein, wenn Frauen den Großteil der Hausarbeit erledigen?”, „Jetzt ist es offiziell: Frauen mit unrasierten Achseln werden zum Trend”, und die beliebte Umfrage „Wer sieht besser aus: Skinheads oder der altmodische Nazi?”)
In manchen Threads stellten User zur Diskussion, dass Frauen im Laufe der Geschichte ungleichen Widrigkeiten ausgesetzt waren. In einer Antwort in dem Thread „Gibt es hier irgendwelche Feministen?” schrieb der User Fortress Europe: „Die Wahrheit ist, dass Männer Frauen seit Anbeginn der Zeit unterdrückt haben. In einigen Regionen ist das heute noch so.”
Ich konnte nicht glauben, dass jemand die Geschichte patriarchalischer Unterdrückung erkennen und verurteilen konnte, während er ganz überdeutlich die systematischen Unterdrückung farbiger Menschen bekräftigt. „Ich denke, ihrer Ansicht nach ist das ganz und gar nicht widersprüchlich”, sagt Blee. „Sie unterstützen keine Frauen außerhalb der von ihnen bestimmten Kategorien. Wenn diese Frauen also sagen, dass sie Feministinnen oder „Rassenkriegerinnen” sein wollen, sprechen sie sich für die Geschlechtergleichstellung bezogen auf weiße Frauen aus.”
Ich habe Fotress Europe—ein männliches Stormfront-Mitglied aus Bulgarien, überzeugter Verfechter von Frauenrechten und scharfer Kritiker von Wer die Nachtigall stört—gefragt, ob er sich selbst als Feminist bezeichnen würde und was das für ihn als White Power-Anhänger bedeuten würde. „Ich bin für die Gleichstellung der Geschlechter und wenn mich das zu einem Feministen macht, dann ist das eben so”, sagte er mir in einer privaten Nachricht. „Stormfront ist eine Seite für Anhänger der White Power-Bewegung und White Power ist ein politisches und soziales Konzept, das sich dem Fortbestand sowie dem Fortschritt der weißen Rasse verschrieben hat. Diese Ziele könnten niemals erreicht werden ohne die Beteiligung und die Zusammenarbeit mit weißen Frauen, das wäre einfach nicht möglich.” Fotress Europe erklärte weiter: Frauen dazu zu zwingen, Teil der Bewegung zu werden, wäre in Hinblick auf die Weiterentwicklung der Sache der White-Power-Bewegung wahrscheinlich weniger effizient.
Ich denke, es ist wichtig darüber nachzudenken und zu verstehen, warum diese Frauen eine solche Ideologie oder ein solches Verhalten annehmen, in denen es nicht um Befreiung geht, auch wenn sie sich selbst einreden, dass es so wäre.
Abgesehen von persönlichen oder konfusen Definitionen von Feminismus glaubt Power, dass wir uns mit dem Geschlechterthema beschäftigen müssen, um besser zu verstehen, wie Menschen dahingehend manipuliert werden können, dass sie sich solchen Gruppierungen anschließen. „Ich denke, es ist wichtig darüber nachzudenken und zu verstehen, warum diese Frauen eine solche Ideologie oder ein solches Verhalten annehmen, in denen es nicht um Befreiung geht, auch wenn sie sich selbst einreden, dass es so wäre”, sagt sie.
Ferber betont zudem, dass die Gruppierungen—wenngleich unzusammenhängend und deshalb schwer nachzuverfolgen—gewachsen sind. Während wir Leute in rechtsextremen Gruppierungen oft als radikal betrachten, sind ihre patriarchalischen Interpretationen von Geschlechter- und Rassenideologien doch ein Hinweis auf Probleme, die tief in unserer Kultur verwurzelt sind. Das wiederum unterstützt das Wachstum von hetzerischen Gruppierungen und erleichtert es den Leuten, diese Gruppierungen attraktiv zu finden.
„Diese Bewegungen finden auf dem schmalen Pfad der Männlichkeit statt, auf dem Männer gezwungen sind zu bleiben”, sagt Ferber. In anderen Worten: Bezogen auf die Gleichstellung der Geschlechter sollte wir uns nicht nur auf die Definition von Weiblichkeit konzentrieren. „Männer, die dieser Definition nicht entsprechen, bekommen das Gefühl nicht erfolgreich zu sein”, fährt sie fort. „und sind leichte Beute für Gruppierungen wie diese.”