Wenn eine Person das Google Doodle des Tages bestimmt, ist das meistens ein ganz guter Indikator für ihre Wichtigkeit. Wenn ihr Name noch dazu in der aktuellen Österreich-Serie Altes Geld als Zugangscode in eine illegale Spieler-Höhle verwendet wird, mit dem Zusatz „ist eine geile Sau”, dann weiß man auch, dass es um ihre Relevanz—und offenbar ihr Aussehen—nicht schlecht bestellt ist. Die Rede ist von Hedy Lamarr, die am heutigen Montag 101 Jahre alt würde.
Aber eigentlich beginnt meine persönliche Geschichte mit dieser faszinierenden Filmikone völlig anders. Nämlich in einem Lokal im 5. Bezirk, wo mir mein Nachbar bei Spritzer und Burger zum ersten Mal von Hedy Lamarr, geborene Hedwig Eva Maria Kiesler, erzählte—einer Wiener Schauspielerin und Hollywood-Diva, deren Leben aus einem absurden Schundroman stammen könnte und die eine patentierte Idee für Nachrichten-Technologie hatte, die später zu kabellosem Funk, GPS, Raketenlenksystemen, Handys und Wi-Fi führen sollte.
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Ihr Geburtstag markiert im deutschsprachigen Raum deshalb auch den „Tag der Erfinder”. Ich habe mit ihrem Sohn in LA geskyped, um mehr über diese extrem faszinierende Frau zu erfahren.
Anthony Loder ist Chef einer Firma für Telefontechnik und wie bei meinem Nachbarn wirken die Geschichten über Hedy Lamarr, diesem einst weltbekannten Film-Star, wie Fantastereien oder ein Sequel zu Confessions of a Dangerous Mind.
Loder selbst hat sicherlich keinen „gefährlichen Verstand”, aber er schimpft doch gerne über die amerikanische Regierung. Als ich ihn frage, ob er von der rechten politischen Lage in Österreich gehört habe beziehungsweise von den Flüchtlingswellen in Europa, meint er nur, dass die Welt verrückt geworden sei. Letztlich driftet er öfters ab, wie es ältere Leute gerne tun und betont danach: „Achte auf deinen Geist, mein Lieber!”
Loder spricht über seine Mutter wie über eine Göttin—er hat auch ihre Brüste gelobt und erwähnt, dass Hedy auf den Schultern von Tesla und Newton die Welt verbessern wollte.
Hedy Lamarr stammt aus einer jüdisch-katholischen Wiener Bankerfamilie, war durch den reichen Vater extrem „verwöhnt”—so Anthony Loder über seine Mutter—und machte bereits mit 19 von sich reden, kurz nachdem sie Max Reinhard für die Bühne entdeckt hatte. Im tschechisch-österreichischen Film Ekstase aus 1933 kann man sie in den ersten Nacktszenen der Kinogeschichte bewundern, die die ganze Welt entsetzt haben.
Für uns heute höchstens nur ein Schmunzeln wert, schwimmt Hedy nackt in einem See und läuft dann ihrem Pferd immer noch nackt durch Wald und Felder nach. In Ekstase legt sie noch eine kinogeschichtliche Premiere hin, indem sie in einer Naheaufnahme eines kommerziellen Filmsein Sexface gemacht hat, nach eigenen Aussagen rein durch erstes Method Acting-Ansätze erzielt. Tja, eine echte Wienerin kann sich da aus ihrem Erfahrungsschatz bedienen—Augenbrauenwackel.
Der Regisseur von Ekstase hat Hedy damals eigentlich ziemlich fies ausgetrickst, da sie die Nacktszenen gar nicht so wirklich spielen wollte. „Die Kamera ist ganz weit weg, da sieht man dich dann eh fast gar nicht”, hatte er gemeint, während er das Teleobjektiv mit dem extremen Zoom raufschraubte. Wenn man ignoriert, dass wohl diese fahrlässige Aktion der wahre Skandal des Skandalfilms sein hätte müssen und nicht ihr Busen, kann man die technische Kameraarbeit in Ekstase nur als einen verdammten Traum bezeichnen.
Hedy heirate gleich darauf den deutschen Waffenhändler Fritz Mandl, der später Hitler und Mussolini belieferte—was mich zu den besagten Schundroman-Elementen bringt (aber es wird noch besser). Er hielt Hedy extrem behütet, war natürlich kein Fan von Ekstase und versuchte so viele Kopien des „anstößigen” Films wie möglich aufzukaufen.
Vor dieser Ehe im „Goldenen Käfig” und der politischen Lage floh Hedy nach Amerika und wurde mal eben in New York eine der größten Hollywood-Schauspielerinnen von MGM. Loder beschreibt es blumig, dass seine Mutter unter anderem durch „ein Arschloch namens Hitler, who fucked everything up” zur Flucht gezwungen wurde.
Bei den Geschichten, dass Hedy voll beladen mit ihren Juwelen das Dienstmädchen narkotisiert habe und in deren Kostüm getarnt nach Paris geflohen sei, muss ich betonen, dass ich diese Hollywood-Anekdoten und Mythen von Loder nicht faktisch bestätigen kann. Aber dem Sohn der Hollywood-Queen sollte ich wohl eher glauben als meinem Nachbarn, oder?
Aber warum sollte die Dienstmädchen-Story nicht stimmen, wenn man bedenkt, dass das nackte Mädel aus Ekstase in kürzester Zeit Hollywood eroberte, in Filmen mit Jimmy Stewart bis Clark Gable mitspielte und als die schönste Frau des 20. Jahrhundert gehandelt wurde. Das ist auch nicht unbedingt glaubwürdig, aber passiert.
Anthony Loder bezeichnet die Schönheit seiner Mutter in jungen Jahren als „mathematisch perfekt”—obwohl sie sich leider später im höheren Alter für allererste Schönheits-OPs des Business unters Messer legte. Loder erzählt auch, dass Disney Hedy Lamarr als Vorlage für Schneewittchen verwendete und Detective Comics für die Figur von Catwoman. Loder meint sogar, dass Rachael, der hübsche Android von Blade Runner, eine Hommage an seine Mutter darstelle. Und wer sich jetzt noch nicht genug von dieser Frau popkulturell verfolgt fühlt, Hedy ist zur Zeit auch im Kunsthistorischen Museum zu sehen.
Gelangweilt von Hollywood fing die hochbegabte Hedy Lamarr an, sich für Militärtechnik zu interessieren—beeinflusst und mit Erfarhung aus ihrer Ehe mit dem kriegsindustriellen Mandl, so erklärt Loder. Sie entwickelt zusammen mit dem Komponisten, technischen Tüfftler und Pianisten George Antheil das Konzept für Frequenzspreizung oder Frequency Hopping, um Funksignale unauffindbar zu machen beziehungsweise unmöglich sie zu stören.
Dieses bahnbrechende Fundament für beinahe jede moderne Form von Telekommunikation ließ sie patentierten und schenkte es der Navy. Loder führt aus, dass sie einfach nur im Krieg gegen die Nazis aushelfen wollte, das amerikanische Militär für ihre Technologie aber erst 20 Jahre später Einsatz fand.
Hedi Lamarr ist damit vielleicht die Beauty-Ikone mit der interessantesten Fanbase: einerseits bestehend aus Filmliebhabern des klassischen Hollywoods und andererseits aus diversen Physiker oder anderen Wissenschaftlern, die Teleskope nach Hedy Lamarr benennen. Loder erzählt weiter, dass seine Mutter mit Howard Hughes—dem Flugzeug- und Filmtechnikpionier, den Leo DiCaprio in The Aviator gespielt hat, falls das hilft—aeronautische Konzepte erarbeitet hat. Diese hübsche Nerdin hat der US-Kriegsmaschinerie auch noch durch „Küsse verkaufen” mehr als 7 Millionen Dollar verdient.
Eine künstlerisch die Fakten etwas überzeichnende und verwaschene Doku namens Calling Hedy Lamarr aus 2004 von der Wiener Produktionsfirma Mischief bietet noch viele andere Details aus ihrem schrägen Leben. Auch hier war Anthony Loder stark beteiligt und bindet den Film fast ein bisschen mehr an seine Person als an ihre.
Was bleibt, ist wie ein ehrender Einspieler bei den Oscars. Loder schreibt gerade auch ein Buch über seine Mutter, bei dem er gerade bei ungefähr 1000 Seiten steht und hofft in zwei Jahren fertig zu werden. Seinen Prozess vergleicht er mit Leonard Cohen, der für einen Absatz seiner Lyrics ein Jahr brauche—also hoffen wir, noch die fertige Publikation zu erleben.
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In dieser Doku über Hedy wird auch gemutmaßt, dass die Studios Hedy und ihre Stars allgemein immer unter starker Medikamentierung hielten. Loder bestätigt mir, als ich dahingehend nachhake, dass bei der Arbeit seiner Mutter oft Pillen im Spiel waren, einfach um sich ständig einsatzfähig zu halten.
Hedy war emanzipiert und eine starke eigenständige Frau, wirkt durch ihre dokumentiert sehr extrovertierte Sexualität auch wie ein frühes feministisches Vorbild. Trotzdem verfiel sie im mittleren Alter dem fast stereotypen Wahn der Schauspieler-Diva, krampfhaft auf der Suche nach ewiger Jugend und Schönheit. Loder bestätigt, dass Hedy eine starke, aufopfernde, extreme intelligente und dadurch inspirierende Person war, aber durch Oberflächlichkeiten und Schnelllösungen ihrer Probleme „ihre Essenz, ihre Wahrheit und Spirit verlor”.
Loder seuzft ein wenig und meint ihr Schicksal ist eine Lebenslektion. Sie habe nur „Arschloch-Ehemänner” gehabt, alles Alkoholiker und später keine engen Freunde. Das sie von der Realität abschottende Superstar-Leben übernahm die Kontrolle und sie verlor den Kontakt zu „ihren Wurzeln”. Sie kehrte nur einmal 1953 zurück nach Wien zurück und trotz ihrer Liebe zu Österreich, sie war einfach die Schöne aus Hollywood geworden und nicht mehr die Alpenunschuld vom Lande.
Loder meint leicht melancholisch, sie hätte mit Reginald Gardiner, Hedys ersten Boyfriend in Amerika, zusammenbleiben sollen, auch wenn es ihn, den Sohn aus der kurzen Ehe mit John Loder, dann wohl nie gegeben hätte. In Aufnahmen aus den späten 90ern sieht man, wie Hedy Lamarr mit ihrem zer-operierten Gesicht, rotgefärbten Haaren und dem ziemlich verwirrten Geist posiert. Sie erinnert in ihren letzten Lebensjahren erschreckend an die Plastic Surgery-Mama von Brazil.
Trotz alledem kann ich Hedy Lamarr—auch 15 Jahre nach ihrem Tod—nichts als Verehrung und bisschen Verliebtheit entgegenbringen. Obwohl ich ihre irre Lebensgeschichte erst seit kurzem kenne, spielt sie jetzt für mich in der Liga von Katherine Hepburn and Hildegard Knef. Allgemein scheint in Österreich, dem Land, das eigentlich großen Kult um jede heimischen Celebrity betreibt, diese Ikone ein bisschen in Vergessen geraten.
Letztes Jahr hätte sie Jahrhundertgeburtstag gefeiert und irgendwie trotz ehrenden Kinoprogrammierungen und anderer kleiner Berichte, kann man immer wieder Leute mit Hedy überraschen, der Frau mit dem mathematisch perfekten Gesicht. Kriegsflüchtlinge haben es nicht einfach nicht leicht in Österreich Anerkennung zu bekommen. Obwohl, wenn man die Kausalkette ganz arg weiterspinnt, gäbe es ohne sie auch keine Smart Bombs-Leitsystemtechnologie und somit sähe der heutige Krieg im Nahen Osten vielleicht ganz anders aus.
Wer der tragischen Superstar-Wienerin mal einen Besuch abstatten und ihr eine Posthum-Schweigeminute schenken möchte, als Dank für Handys und Wi-Fi, geht am besten zu ihrem Ehrengrab in Wien oder spaziert durch den Wiener Wald bei „Am Himmel”, wo ihre Asche verstreut wurde.