Erst Ende Januar hatten uns Fjørt mit ihrem tieftraurigen Video zu “Lebewohl” feuchte Augen verpasst, jetzt sorgen sie schon wieder für große Gefühle. Dabei sind wir doch eigentlich so abgehärtet und haben selbst beim Ende von Titanic nur ein augenrollendes “Jetzt lass sie doch endlich mal in Ruhe und stirb endlich” übrig. Aber die Post-Hardcorer schaffen es jedes Mal, nicht nur durch ihre schonungslos direkten Texte, sondern auch ihre Bildsprache unsere Zynismus-Schale zu durchbrechen. So auch jetzt wieder mit ihrer 24-minütigen Live-Session, bei der sie gleich vier neue Songs vorspielen.
Dabei passiert im Video gar nicht so viel. Die Band fährt mit dem Auto vor, betritt schweigend ein herrschaftliches Hotel, hängt sich ernst guckend an die Instrumente und performt. Keine visuellen Spielereien, nur drei Musiker und ihr Song. Erinnert uns wohlig an das legendäre Alexisonfire-Video zu “Pulmonary Archery” (damals, als Post-hardcore noch richtig groß war). Alles, was wir noch tun können, ist zuhören. Textzeilen wie “Was dir fehlt, schneide ich aus mir heraus” dringen in unser Bewusstsein, lenken kurz ab und den Blick in uns selbst, lösen eine kleine Lawine aus Assoziationen und eigenen Erinnerungen aus.
Videos by VICE
VICE-Video: “Maisie und ihr Kampf mit paranoider Schizophrenie”
Der Song ist vorbei, Fjørt betreten ein neues Zimmer, einen Moment innehalten, bevor es wieder losgeht. Folgende Zeilen werden in einen riesigen Raum geschrien, in dem sonst in lauschiger Atmosphäre an den jetzt leeren Tischen gesessen und Kaffee getrunken wird:
“Bitte gib auf dich acht!
Ich weiß nicht und wusste nie, wie man das macht /
Aber eins ist gewiss: Wirst du mundtot gemacht, weil deine Denke nicht passt,
dann steh auf und sprich!”
Wie gesagt, Bildsprache beherrschen sie. Wieder ist der Song vorbei, wieder drückt die Ruhe schwer, die Band genießt an der Hotelbar einen Moment der Erfrischung, bevor es im nächsten Zimmer so richtig losgeht: “Ich bin so müde vom Zählen, ich habe 1933 Gründe schwarz zu sehen.” Schon mit “Paroli” hatten Fjørt für mehr Engagement gegen rechte Demonstranten aufgerufen, jetzt legen sie nochmal nach: “1933 Gründe, ihr habt sie auch.”
Nach einem Orgel-Interlude schließt die Band ihr Set mit einem ungewohnt ruhigen Song. Sie singen: “Dass ich weiß, was richtig ist, kommt nur selten vor / Aber es gibt diese Momente, gehen Herz und Hirn und Bauch d’accord.” Fjørt nehmen uns die Worte aus dem Mund. Denn besser hätten wir ihre Session auch nicht beschreiben können. Die Kamera fängt zum Outro die Bilder an der Wand ein, die die bisherigen Albumcover der Band zeigen, verlässt den Raum und offenbart endlich das Cover des neuen Albums Couleur. Die Session ist vorbei, wir lehnen uns entrückt zurück und können den 17. November nicht mehr erwarten.