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Diese Opas versuchen, mitten in Berlin ein russisches Spionageflugzeug zum Laufen zu bringen

In Berlin Tempelhof steht Avraham Kotljar, ein älterer Mann, vor einem kaputten Flugzeug, einer Iljuschin

Wenn man Rentner ist und gelangweilt, kann man einiges tun: Toaster reparieren, Kleingärtner werden, Briefmarken sortieren, in der Mittagssonne dösen. Oder man restauriert – versteckt, aber mitten in Berlin – ein tonnenschweres altes Spionageflugzeug aus der Zeit des kalten Kriegs. So wie Avraham.

Avraham Kotljar, faltige Finger und Knopfaugen, sitzt in seiner kleinen Wohnung im Flachbau am Westrand von Berlin. An den Wänden Sammelteller, dazwischen wellt sich Blümchentapete. Seit siebzig Jahren träumt Avraham Kotljar vom Fliegen. Seit dem Schultag in Usbekistan, von dem er erzählt, als wäre es letzte Woche gewesen.

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An dem Tag ist er ein Achtklässler in Taschkent, Usbekistan und ein Mann vom “Aeroclub” kommt zu Besuch in seine Schule. Der Mann vom Aeroclub reihte die Jungs auf und fragte: “Wer möchte Segelflieger sein?”

Taschkent hat damals keine Gulags mehr, überall in der grünen Oase wird gebaut. Der kalte Krieg beginnt gerade erst und man darf ein bisschen träumen. Also meldet sich Avraham als erster, der Mann notiert ihn auf der Liste.


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Der Mann sagt: erst Theorie. Dann werden Sie examiniert. Wenn sie erfolgreich sind, kommen Sie vor die medizinische Kommission. Dann werden Sie Copiloten. Wenn Sie mit der Schule fertig sind, können sie studieren und Pilot werden und ab in die Welt.

Avraham lernt wochenlang, schreibt Bestnoten. Blutdruck, Herz, Lungen sind in Ordnung. Dann hält die medizinische Kommission ihm ein Buch mit Figuren vor: Was sehen sie?, wird er gefragt. Ein Dreieck. Ein Quadrat. Einen Kreis, sagt Avraham. Auf der nächsten Seite sieht er nichts mehr. “Alles war grau. Die sagten: Du bist farbenblind.” Avraham weiß: Farbenblinde Piloten gibt es nicht.

Der russische Superflieger

Siebzig Jahre später betritt der Fotografiestudent Nils Lucas einen offenen Hof auf dem Berliner Tempelhofer Feld, direkt neben dem Baseballfeld. Das Feld ist im Sommer voll. Aber kaum jemand bemerkt je die unscheinbare Halle.

“Das ist schon ein abgefahrener Ort!”

Nils geht durch das Rolltor in eine Wellblechhalle, vielleicht 20 Meter hoch. Eben so groß, dass ein ganzes Flugzeug reinpasst. Daneben sind eine Handvoll Werkstätten und eine kleine Küche. Es ist kalt. In den Werkstätten etwas wärmer, weil die Lampen und Geräte laufen. Es riecht nach Öl und Werkstattmetall. Zwischendrin muss sich Nils immer wieder die Ohren zuhalten, weil jemand etwas mit der Kreissäge sägt. “Das ist schon ein abgefahrener Ort”, sagt Nils.

Nils
Nils hat Konrad porträtiert, wie er liebevoll an seiner Turbine lehnt

Mitten im Raum steht der Rumpf eines Flugzeugs, einer Iljuschin, der IL-14P SAM, gefertigt in Dresden. Jeden Dienstag, von neun bis zwei, kommt hier eine Gruppe Rentner zusammen, Mechaniker, Piloten und Ingenieure, die das alte Sowjet-Flugzeug wieder zusammenflicken. In der Halle hat jeder eine kleine Aufgabe. Einer hat im Cockpit die Knöpfe und Schalthebel bearbeitet. Zwei haben geschaut, wie man das Triebwerk wieder zum laufen bekommt. Einer hat die Lackierung ausgebessert, erzählt Nils. Viele der Männer haben ihr ganzes Berufsleben in einer Iljuschin oder einem ihrer Nachfolger verbracht.

Die Iljuschin war nicht nur ein Flugzeug, sondern eine Art Hauch eines Versprechens, dass der kalte Krieg auch zugunsten der Russen ausgehen könnte. Dass man auf der grauen Seite des eisernen Vorhangs den Wohlstand aufholen könnte.

Werner
Werner posiert für Nils vor einem fünfzig Jahre alten Kabelsalat

Denn die Iljuschin war die erste Sowjet-Maschine, die – zumindest anfangs – technisch mit der US-Flugfahrt mitzuhalten schien. Erprobt bis minus 55 Grad war die Iljuschin als Transportflugzeug im gesamten Ostblock unterwegs. Flog nach Kuba und Vietnam, Afghanistan und Tschad, Nordkorea und Südjemen. Tito und der Schah von Persien orderten sie als VIP-Flieger. Auch die DDR wollte mit den schnittigen Maschinen angeben und baute sie in den 50ern in Dresden nach.

Seit 2006 tüftelt die Gruppe Rentner, die sich “Freunde der Iljuschin” nennt, an dem Wrack in Tempelhof. Viele sind Piloten und Techniker der DDR-Fluggesellschaft Interflug. Nach der Wende stellte die Interflug den Betrieb ein. Nur wenige Mitarbeiterinnen blieben in der Luftfahrt. Auch weil ihre Qualifikationen teilweise nicht anerkannt wurden. Ein Dutzend von ihnen trifft sich jetzt hier und restauriert ein Stück der Geschichte. Die Maschine in Tempelhof transportierte Passagiere, hatte aber in einer Kabine am Flugzeugbauch auch eine Kamera, die beim Überfliegen Westberlin filmte.

Ein älterer Mann, Klaus Czepluch, steht vor einem Flugzeugbauch in Berlin Tempelhof
Klaus’ Arbeitsplatz: Nils schaut stundenlang beim Schrauben zu, bevor er auslöst


Einige sind in der Zwischenzeit gegangen, andere gestorben. Selten kommen neue dazu, noch seltener verirren sich junge Menschen wie Nils in die Zeitkapsel auf dem Tempelhofer Feld.

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Ein Kollege der “Freunde der Iljuschin” sitzt in Avrahams neu verkabelter Kabine

Alle Fortschritte halten die Freunde der Iljuschin in in Berichten fest: Reinigung mit Wasser und Seife von Staub und Vogeldreck. Alle Fenster wurden erneuert. Gummidichtungen. Neue Armaturen aus Aluminiumblech und lackiert mit einem Schrumpflack. Für die Innenverkleidung suchten die Rentner zwei Jahre lang nach PVC-Gewebe in der richtigen Farbe und fanden schließlich eine Firma, die im Lager noch einen Stapel Material vom Innenfutter der NVA-Fallschirmtaschen aufbewahrte. “Der Farbton ist ganz identisch”, steht im Bericht und es klingt stolz.

Avraham und die Piloten

Als Avraham Kotljar kein Pilot werden darf, wird er stattdessen Ingenieur für Kabeltechnologie. Als er im tadschikischen Kabelwerk in Dushanbe als Haupttechnologe anfängt, ist er auf dem Höhepunkt seiner Karriere – und hat das mit dem Fliegen fast vergessen. Dann geht die Sowjetunion unter, es heißt “Russen raus!” und Avraham, seine Frau und die beiden Kinder packen ihre Koffer.

Weil er sich gut mit schweren Maschinen auskennt, ist er gefragt im Ostblock. 1994 fliegt ihn das Schwermaschinenkombinat Ernst Thälmann ein, er soll in Magdeburg helfen, Seilmaschinen und andere große Geräte zu verkabeln. “Obwohl die aus der DDR waren, waren die Maschinen wunderklasse.”

Avraham beschließt, in Deutschland zu bleiben. Mit 65 hat er genug von Kabeln, geht in Rente und folgt seiner Tochter nach Berlin. Den Traum vom Fliegen hat er schon aufgegeben, als ihm jemand von der alten Iljuschin in Tempelhof erzählt.

“Eine Barbarei. Alles was man wegnehmen oder kaputtmachen konnte, fehlte!”

Als Avraham zum ersten Mal in die Halle tritt, wo das Flugzeug restauriert wird, ist er aufgeregt. Weil er sich mit Kabeln auskennt, bekommt er eine besondere Aufgabe: Er darf das Cockpit restaurieren. Uhr, Kompass, Höhenmesser, Waage.

“Eine Barbarei. Alles was man wegnehmen oder kaputtmachen konnte, fehlte!” Auf Flohmärkten und bei Sammlern suchen die Freunde der Iljuschin die Teile zusammen.

Endlich sitzt er im Cockpit einer Iljuschin, jeden Dienstag für fünf Stunden ist Avraham fast Pilot.

Nils und Avraham

Ein halbes Jahr lang kommt Nils in die Halle. Er lernt einen der alten Herren nach dem anderen kennen. Es habe ein bisschen gedauert, sagt Nils, bis auch Avraham mit ihm plauderte. Sein russicher Akzent ist ihm manchmal unangenehm. Wenn ihm ein Wort nicht einfällt, entschuldigt er sich.

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Flugzeug-Rentner Eli in einer der Werkstätten | Foto: Nils Lucas


“Avraham hat mir viel darüber erzählt, wie das war mit der Anerkennung. Dass sie in der neuen Firma waren und belächelt wurden und sich erst eine Stellung erkämpfen mussten”, sagt er.

Wenn die Iljuschin fertig wird, soll das Flugzeug vom Berliner Technikmuseum in einem Hangar des alten Flughafens ausgestellt werden. Avraham sagt: “Dieses Flugzeug wird nie wieder fliegen. Das wissen wir alle. Aber alles darin wird so sein wie es früher war.”

Immer wieder kommen Wissenschaftler und Flugzeugliebhaber zu Besuch, die von dem alten Flieger gehört haben. Einmal, sagt Avraham, sogar ein echter Kosmonaut. Spricht hier jemand russisch?, habe er gefragt. Und Avraham Kotljar tauchte aus seinem Cockpit auf und durfte den Mann herumführen.

Dann steht Avraham auf und schlurft an der Tapete und den Sammeltellern vorbei ins Schlafzimmer, um auf dem Nachttisch das Foto mit ihm und dem Kosmonauten zu suchen. Hätte das jemand dem farbenblinden usbekischen Kind zugeflüstert, er hätte es nicht geglaubt.

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