Nach 50 äußerst umtriebigen Jahren als einer der einflussreichsten zeitgenössischen Schwarz-Weiß-Fotografen ist Roger Ballen jetzt endlich bereit, den Platz einzunehmen, der ihm seit
Jahren zusteht.
Der in Südafrika lebende US-Amerikaner hat aber auch ein paar ereignisreiche Jahre hinter sich. In Kapstadts brandneuem Zeitz Museum of Contemporary African Art wurde ihm ein ganzer Flügel gewidmet – die Roger Ballen Foundation ist gleichzeitig der größte Spender des Museums. Neben seinen Fotoarbeiten hat er in letzter Zeit vermehrt eigene Kurzfilme und Musikvideos für Die Antwoord gedreht. Und mit seiner neuen umfassenden Monografie, Ballenesque, festigt er seinen Ikonenstatus weiter.
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“Ich habe diesen Stil namens Ballenesque erschaffen. Vor zwei oder drei Jahren hätte ich das so noch nicht sagen können”, so Ballen im Gespräch mit VICE. “Ich habe eine Realität erschaffen, die damit zu tun hat, wie ich mein Leben fotografisch ausdrücke. ich konnte mir auch keine bessere Definition für das Buch ausdenken. Die Fotos werden Kunst- und Fotografie-Interessierte an einen Ort in ihrem Kopf führen, der sie herausfordert.”
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Ballenesque beginnt mit einem Essay des Historikers und Kulturkritikers Robert J.C. Young, der darin den hohen Wiedererkennungswert von Ballens Arbeiten und damit deren Einzigartigkeit würdigt. Der Rest des Buchs führt durch Ballens Werk. Auf 50 Seiten begleitet der Künstler seine Arbeiten mit persönlichen Anekdoten, Autobiografischem und Gedanken zu Technik und Philosophie.
Den Anfang machen verschwommene Familienporträts, die Ballen mit einer Mamiya gemacht hat, die er sich mit 13 gekauft hatte. Das erste Foto, mit dem er wirklich zufrieden war, ist ebenfalls abgebildet. Es zeigt eine tote Katze am Straßenrand.
Ballen dokumentierte die Gegenkultur der 60er und 70er Jahre – von Vietnamkriegsdemonstranten in Washington bis hin zu sorgenfreien Nudisten in Woodstock. Viele Fotos aus dieser Phase seines Schaffens werden in Ballenesque zum ersten Mal gezeigt. 1979 hatte er angefangen, die Welt zu bereisen. Dabei sammelte er Schnappschüsse von Kindern aus Asien, Amerika und Europa, die er schließlich in der Serie Boyhood zusammenfasste.
Als er schließlich nach Südafrika kam, setzte er sich eindringlich mit den Abgründen der Apartheid auseinander. Als Geologe reiste er in das verarmte Hinterland und fotografierte die Menschen und Orte auf dem Weg. Er sammelte diese Bilder in zwei Serien, die ihn berühmt machen sollten: Platteland und Outland.
Ebenfalls zum ersten Mal sind Ballens Gemälde aus den 1970ern in dem Buch zu sehen. Sie sind indirekte Vorläufer seiner abstrakten Fotoarbeiten Asylum of the Birds und The Theater of Apparitions. “Es war aufregend, diese Bilder in dem Buch unterzubringen”, sagt er. Viele dieser Werke waren verlorengegangen, als sein Vater das alte Familienhaus ausmistete, die Verbleibenden sind in Ballenesque abgebildet. “Ich habe 30 Jahre lang nicht gemalt, aber in gewisser Weise haben sie den Grundstein für meine späteren Arbeiten gelegt.”
In seiner späteren Schaffensphase scheinen Ballens Arbeiten vor allem seine eigene Gedankenwelt widerzuspiegeln. “Ab 2002 gibt es nur noch selten ein menschliches Gesicht auf den Fotos zu sehen”, sagt er.
Auf den letzten Seiten des Buches gibt es sogar eine kleine Vorschau auf seine neuste Serie, Ah Rats. Das Ungeziefer, das seit Jahren an den Rändern seiner Werke existierte, steht nun im Zentrum. Passend dazu hatte Ballen im Januar auch die künstlerische Leitung für das Die-Antwoord-Video “Tommy Can’t Sleep” übernommen. Auch hier wimmelt es von den Nagern.
Ballen nimmt sich noch immer jeden Tag fünf Stunden Zeit, um auf der Suche nach Fotomotiven durch Johannesburg zu laufen. Den Rest der Zeit verbringt er mit seiner Familie, leitet die Roger Ballen Foundation und kümmert sich um seine über 100 Haustiere. “Da gibt es Ratten, Schlangen, Hühner, Enten, Eidechsen, Hassen, Spinnen, Tauben, Krähen und Mäuse”, zählt er auf. Etwa 10 Prozent hätten auch einen Namen.
Dazu hat Ballen auch noch ein paar Ratschläge für junge Künstler parat. Im Vergleich zu seinen prägenden Jahren bezeichnet er unsere heutige Zeit als größtenteils “amorph” – gestaltlos.
“Viel von deiner Fähigkeit, etwas Wertvolles über die Welt zu sagen, wird von deinen körperlichen Erfahrungen definiert”, sagt er. “Setz dich mit Dingen auseinander, die dich wirklich beeinflussen. Die Leute knipsen einfach wahllos durch die Gegend – es kostet sie nichts. Sie müssen nichts riskieren. Wenn Menschen etwas sagen wollen, das Gehalt hat, müssen sie etwas riskieren.”
Ballen stellt aber sofort klar, dass er damit nicht meint, dass Fotografen für ein einzigartiges Foto körperliche Schäden riskieren müssen. “Es dauert Jahre über Jahre und Stunden über Stunden, bis du deinen eigenen Zugang entwickelt hast. Meine Bilder sind so wirkungsvoll, weil sie das Unterbewusstsein treffen. Etwas zu riskieren, kann physisch wie psychisch gemeint sein.” Ballen selbst hat etwas riskiert, indem er jahrelang Menschen und Orten Aufmerksamkeit schenkte, die andere lieber ignorierten. Als Ergebnis lassen uns seine Porträts der Außenseiter in uns selbst blicken.