Menschen

Fotos: Die brasilianische Transcommunity in Berlin

Polaroids von verschiedenen Transmenschen aus Brasilien

Berlin ist der Ort, an den du gehst, um zu werden, wer du bist. Schon ein bisschen abgenutzt, dieses Bild, zu oft wurde es schon bemüht. Für die Menschen, die der Fotograf Bernardo Martins fotografiert hat, gilt es aber noch immer.

In ihrer Heimat Brasilien konnten sie ihre Identität als transsexuelle Menschen nicht ausdrücken. In Berlin ist das anders. Hier ist die queere Szene groß und aufgeschlossen, mehr noch als zum Beispiel in London, sagt Bernardo. Er stammt selbst aus Brasilien und ist Teil der queeren Szene in Berlin. In keinem andere Land kommt es so oft zu Gewalt gegen Transmenschen wie in Brasilien, alle 48 Stunden zu einem Mord.

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“Alle Menschen, die ich fotografiert habe, kamen aus Brasilien nach Berlin, um sich hier etwas Neues aufzubauen, um sich kreativ auszudrücken und um hier sicherer zu sein”, sagt Bernardo. Und deshalb sehe er es als seine Pflicht, sie sichtbar zu machen.

Nickelly Garbaje, 24

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“Ich bin Digitalkünstler und lebe seit drei Jahren in Berlin. Es war schon immer schwer, irgendwo einen Job zu bekommen, aber ich habe es geschafft. Nun arbeite ich an verschiedenen Orten und an verschiedenen Dingen. Als ich nach Deutschland kam, hörte ich auf, meine Kunst zu produzieren und konzentrierte mich hauptsächlich darauf zu verstehen, wie die Dinge hier funktionieren. Ich lebte in einer Wagen-Platz-Gemeinschaft, in der ich so viele Dinge lernen konnte, und darüber hinaus hatte ich eine Wohnung.

Vor etwa einem Jahr habe ich wieder begonnen, Kunst zu machen: ich veranstalte Partys in Berlin, mache digitale Kunst, Kleidung, Performances, DJ-Sets und vieles mehr. Jetzt verlasse ich Berlin, aber ich weiß, dass ich hier viel gelernt habe.”

Cibelle Cavalli Bastos, 41

Eine Person in einem schwarzen T-Short vor einer orangefarbenen Wand

“Als nicht-binäre Person ist Berlin der bequemste Ort, an dem ich bisher war. Mein Stil hat immer mein Bestreben widergespiegelt, mich in mir selbst wohl zu fühlen, ohne die Blicke von außen, ohne die gesellschaftlichen Belastung. Es geht mir nicht darum, Maske oder Frau zu sein. Ich glaube, dass ich einen femininen Akzent mit einer maskulinen Intonation habe. Ich beschäftige mich mit meinem Körper, um Frieden zu schließen.

Wir sind ein Fluss aller Geschmacksrichtungen und Bedeutungen, und ich lebe lieber danach, als Energie aufzuwenden, um in die Schlublade von jedem zu passen, sei es aus dem Cis-hetero-Land oder einer anderen Blase.

Ich bin Künstlerin, freie Forscherin und Musikerin. Früher habe ich als Sänger und Produzent unter dem Namen ‘Cibelle’ Alben veröffentlicht. Es war eine unglaublich bedrückende Zeit für mich, da es die frühen 2000er Jahre waren und all diese Feierlichkeiten über queere Identitäten in der Musik nicht stattfanden und sehr tabu waren. Ich fühlte mich gezwungen, eine sorgfältig kuratierte Weiblichkeit dazustellen. Auch um dem Willen der damaligen Musikindustrie zu entsprechen, was dazu führte, dass ich nicht mehr singen konnte. Irgendwann im Jahr 2012 veröffentlichte mein damaliges Label ∆Unbinding∆ mein letztes Album, aber ich konnte es nicht promoten, also wurde es ruhig um mich.

Ich musste runter von der Bühne um herauszufinden, was mit mir los war. Ich lebte eine Weile nackt in einer Höhle in Anafi, fing an, mich vom meinem Geschlecht zu trennen und fühle mich seitdem besser. Was dafür wichtig war? Selbstakzeptanz, einen gesunden Raum zu finden und Berlin.”

Tres Folly, 32

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“Transsexualität ist ein Prozess. Du wachst nicht auf und denkst: ‘Jetzt bin ich trans.’

Ich komme aus Rio und wohne seit anderthalb Jahren in Berlin. Ich bin DJ bei dem @noshade collectiv und unterstütze dort Frauen, nicht-binäre Menschen und Transsexuelle. Brasilien habe ich verlassen, weil es einfach kein sicherer Ort für Transmenschen ist. Du wirst auf der Straße beleidigt. Verprügelt. Du bekommst keinen Job.

Ich glaube, es war der richtige Moment, um das Land zu verlassen, jetzt da Bolsonaro Präsident ist. Die Situation für Transmenschen ist gerade sehr schlimm in Brasilien.

Auch wenn ich jetzt in Berlin lebe, muss ich meine Freunde in Brasilien regelmäßig mental unterstützen. Jeden Monat meldet sich eine Transperson bei mir, die Hilfe braucht. Manchmal muss ich meine Freunde davon abbringen, Selbstmord zu begehen.

In Berlin werde ich nicht wegen meiner Transsexualität diskriminiert. Ich werde als Mann gelesen. Aber ich erfahre Rassismus. Das ist neu für mich, weil ich in Brasilien als Weiß angesehen werde. Hier sehen mich die Leute als Person of Colour. Ich werde anders behandelt. Wenn ich in der U-Bahn Alkohol trinke, werde ich angemacht. Wenn ich Weiß wäre, würde das niemanden stören.”

Lolla Venzon, 27

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“Ich erkunde meine Sexualität und Identität immer wieder neu. In einer Phase habe ich mich als schwul identifiziert. In einer anderen als queer. Es ist ein Prozess. Als ich meinen Eltern davon erzählt habe, ging das nicht gut. Ich musste zu Hause ausziehen, um mir über einiges klar zu werden. Aber das bin ich. Jetzt denke ich mir: Entweder akzeptiert ihr mich, oder fickt euch! Meine Mutter hat nach langen Gesprächen verstanden, wie ich mich fühle.

Hier in Berlin gibt mir das brasilianische @_ch3rnobyl-Kunstkollektiv, zu dem ich gehöre, Kraft und Unterstützung, um mit anderen Problemen umzugehen: Als Migrantinnen erfahren wir hier noch andere Arten von Gewalt, wie zum Beispiel Xenophobie.

Kunst zu schaffen, ist sehr wichtig für mich. Es ist meine Art, mein Inneres auszudrücken. Meine Gefühle. Ich bin DJ und Fotografin. Wir im Kollektiv haben alle eine ähnliche Geschichte. Brasilien ist das Land, in dem die meisten Transsexuellen getötet werden. Wir halten als transsexuelle und queere Community zusammen.”

Slim Soledad, 22

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“In Brasilien ist es sehr gefährlich, so offen transsexuell zu leben wie in Berlin. In São Paulo gibt es zwar eine LGBTQ-Community, bei der ich mich wohl gefühlt habe. Aber ich weiß nicht, ob ich jemals nach Brasilien zurück gehe. Ich bin DJ und Performer beim Kunstkollektiv @_ch3rnobyl. In Berlin habe ich eine Perspektive. Hier finde ich vielleicht auch einen Job. Die Gesellschaft in Brasilien ist so konservativ. Das macht es mir schwer, dort Arbeit zu finden. Meine Kunst wird hier anders wahrgenommen. Und es gibt mehr finanzielle Mittel.”

Charm Mone, 25

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“Als ich 13 war, war mir klar, dass ich mich nicht dem männlichen Geschlecht zuordnen will. Zwei Jahre später habe ich meine Identität dann komplett ausgelebt. Das erste Mal war ich einfach nur ich. Nicht so, wie meine Eltern es von mir erwarteten. Oder die Jungs aus dem Fußballteam.

Gender ist für mich viel mehr als meine Kleidung. Es geht darum, wie ich mich fühle. Wer ich bin. Gender-Transformation bedeutet für mich, dass ich die Privilegien aufgebe, die Männer genießen. Ich bin immer noch dabei, meine eigene Dysphorie zu verstehen – und zu überwinden. Was mir dabei hilft, sind andere Menschen, die nicht in die heteronormative Welt passen.

Wenn ich mit meiner Community zusammen bin, fühle ich mich akzeptiert. Das ist außerhalb nicht immer der Fall. Ich war letztens alleine in der U-Bahn. Dort haben mich russische Männer gefilmt und ausgelacht. Ich saß nur da und dachte: Das ist komisch. Aber auch interessant. Mein Äußeres ist anscheinend spannend für sie. Ich habe nicht reagiert. Solche Situationen verletzen mich nicht. Es ist wie in der Schule, wo Jungs sich beweisen müssen, wer der Stärkere ist. Toxische Männlichkeit.”

Update vom 11. November 2019, 14:55 Uhr: Auf Wunsch der interviewten Personen haben wir einige Passagen dieses Artikels überarbeitet.

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