“Ich habe keine Lust mehr auf das ungesunde und kräftezehrende Leben in der Großstadt, ich ziehe in den Süden.” So oder so ähnlich müssen viele der Menschen gedacht haben, als sie sich in den Höhlen der hügeligen Landschaft um Granada in Spanien niederließen. Der Großteil dieser Höhlen ist in den Vierteln Albaicín und Sacromonte – und gehört damit zum Weltkulturerbe der UNESCO.
1963 hatten schwere Regenfällen die Höhlen geflutet und aufgeweichte Erdmassen die Eingänge verschüttet. Die Franco-Regierung ließ deshalb die Höhlen räumen. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Bewohner den leeren Naturwohnraum zurückgeholt. Einige Familie haben sich dafür sogar erfolgreich um Wohngenehmigungen bemüht, anderen ist eine solche Erlaubnis egal.
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Die Höhlen-Community im Viertel Albaicín besteht vor allem aus Migranten und Menschen mit alternativem Lebensstil. Du suchst kurzfristig eine Bleibe? Dann bist du dort auf jeden Fall immer willkommen.
Sacromonte hingegen haben sich zwei Gruppen unter sich aufgeteilt. Zum einen sind das die Familien, die schon seit Generationen in den Höhlen leben. Zum anderen trifft man dort auf Reisende und Freigeister. Aber ganz egal ob in Albaicín oder Sacromonte, von den Höhlen aus hat man eine atemberaubende Aussicht auf Granada.
Der Blick auf die Vergangenheit
Enrique Carmona ist nicht nur professioneller Flamenco-Tänzer, sondern betreibt seit einem halben Jahrhundert mit dem “Zambra María la Canastera” auch eine extrem beliebte Flamenco-Bar in Sacromonte. Seine ersten Tanzschritte erlernte Enrique an der Seite seiner Mutter María, einer berühmten Flamenco-Tänzerin und Sängerin.
Enriques Ziel ist es, den für Sacromonte typischen Flamenco-Stil zu bewahren. Deshalb verzichtet er in seiner Bar auf Scheinwerfer und Mikrofone. Außerdem treten die Tänzer im María la Canastera nicht auf einer Bühne auf, sondern direkt auf dem Höhlenboden, ganz nah am Publikum.
Die Fackel wird weitergereicht
Der Sänger Curro Albaicín ist schon als Kind durch die Höhlen von Albaicín gerannt, in den 50ern. Damals waren häufig Hollywood-Schauspieler und andere Prominente zu Besuch, um sich eine der berühmten Flamenco-Shows anzusehen.
“So haben wir dazugelernt”, erzählt Curro. “Einfach zuschauen, zuhören und selbst singen. Auf diese Weise verband die Community ihre Leidenschaft für Flamenco mit dem Alltag.” Und genau das habe diesen Ort schon immer so besonders gemacht.
Heute gibt Curro die Traditionen der Höhlen-Community und der Flamenco-Szene an junge Menschen weiter: Sein Zuhause hat sich über die Jahre in ein richtiges Kunstmuseum verwandelt. “Neue Künstler und Künstlerinnen können gerne etwas Modernes schaffen, so lange sie die Traditionen und Wurzeln nicht vergessen. Von uns gibt es nämlich nicht mehr viele. Wir müssen das Ganze weitergeben, damit es nicht verloren geht, wenn wir mal nicht mehr da sind”, erklärt Curro.
Jede Höhle ist einzigartig
Der 46-jährige Ibulay stammt aus der senegalesischen Kleinstadt Passy und lebt seit 17 Jahren in Spanien. “Das Leben in den Höhlen ist viel ruhiger”, sagt er. “In der Stadt habe ich mit viel mehr Rassismus zu kämpfen. Hier bin ich Teil einer Community mit Menschen aus meiner Heimat.”
Ibulay findet es traurig, wie wenig Integration es in Spanien gibt. Als er damals in Europa ankam, habe er sich das Leben hier ganz anders vorgestellt. Was dem Senegalesen in Albaicín aber besonders gut gefällt: Jede der Höhlen erzählt eine eigene Geschichte.
Zusammenhalt wird großgeschrieben
Mbacke ist 34 und kommt ursprünglich ebenfalls aus Senegal. 2015 ist er illegal in Spanien eingereist und wartet bis heute darauf, legal bleiben zu dürfen. Seine Freunde erzählen, dass Mbacke es in den letzten Jahren schwer hatte und er immer zwischen Madrid, Bilbao und Almeria hin- und herpendeln musste. Sie unterstützten ihn aber von Anfang an – und in den Höhlen habe der 34-Jährige jetzt endlich das Gefühl, angekommen zu sein. “Wir beschützen uns gegenseitig und sind füreinander da”, sagt Mbacke.
Dennoch müssen die Höhlenbewohner ständig damit rechnen, dass die Behörden sie rausschmeißen. “2013 haben sie einige Höhlen zwangsgeräumt”, erzählt Lola Boloix, die Vertreterin eines Nachbarschaftsverbands von Albaicín. Den Leuten hier sei es wichtig, langfristige Lösungen zu finden. “Uns ist bewusst, welche Art Mensch die Höhlen anziehen – und warum die Behörden deswegen wissen wollen, wer warum hier lebt.”
Miguel Ángel Fernández sitzt im Stadtrat von Granada und ist dort für die urbane Planung zuständig. Vergangenes Jahr behauptete er, dass die Gegend rund um die Höhlen für den Mehrzweckgebrauch gedacht sei. Leider wollte er nicht weiter erklären, was das nun für die Zukunft der Höhlenbewohner bedeutet. Die Regierung hat aber immerhin eingesehen, dass es der Weltkulturerbe-Schutzstatus schwierig macht, die Viertel zu bebauen.
Die Bewohner von Sacromonte und Albaicín kämpfen weiter gegen die Behauptungen, in ihren Communitys gebe es nur Drogensüchtige, Gewalt und Hunde mit Tollwut. Sie wollen der Welt zeigen, dass sie sich alle zwar auf eigene Art um ihre Höhlen kümmern, der starke Zusammenhalt untereinander das Leben dort aber trotzdem so schön macht.