Der Fotograf Nikita Teryoshin ist eine Cat-Person. Aber nicht so eine, die versehentlich Katzenstreu ins Müsli mischt, sondern eine, die ihnen ein Fotoprojekt gewidmet hat. Im September 2019 hat er eine Woche lang in Bangkok Straßenkatzen fotografiert und die Aufnahmen jetzt in einem limitierten “Catzine” veröffentlicht. Seine Fotos zeigen keine zahmen Katzen, sondern wilde Tiere, die auf der Straße jeden Tag ums Überleben kämpfen. Im Interview erzählt er von seinen Begegnungen und erklärt, was er von den Katzen über unsere Gesellschaft gelernt hat.
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VICE: Warum hast du dir für dieses Fotoprojekt Straßenkatzen vorgenommen?
Nikita Teryoshin: Ich bin in Sankt Petersburg auf die Idee gekommen, wo ich Fotos auf einer sogenannten Verteidigungswaffenmesse geschossen habe. Der Anblick von Geschäftsmännern in grauen Anzügen, die den ganzen Tag mit Waffen hantieren, hat mich ganz schön deprimiert. Zum Ausgleich habe ich angefangen, Straßenkatzen zu fotografieren und das hat meine Laune direkt verbessert. Schöne, saubere Zuchtkatzen kennen wir alle. Aber Straßenkatzen stehen nicht im Fokus der Öffentlichkeit. Das wollte ich ändern.
Katzen sind in der Popkultur ein seit Jahren wiederkehrendes Thema. Sind sie als Fotomotiv nicht langsam mal durch?
Meine Idee war es, einen Gegenentwurf zu den Meme-Katzen im Internet herzustellen. Die Fotostrecke ist kein klassischer Cat-Content, den man auf Instagram postet. Diese Katzen werden eben nicht gehegt, gepflegt und im Kinderwagen herumgefahren. Straßenkatzen gehören seit gefühlt schon immer zu unserer Gesellschaft und sind seit genauso langer Zeit Outsider. Sie sind nicht überall erwünscht. Ich will das Leben dieser Katzen mit meinen Fotos feiern. Die haben kein einfaches Leben, die sind täglich am strugglen.
Manche Bilder sind nichts für schwache Nerven, aber so ist eben das wirkliche Leben von Straßenkatzen. Einige Aufnahmen musste ich am Ende aus der Reihe entfernen, weil sie zu krass waren.
Was war auf diesen Aufnahmen zu sehen?
Ich habe eine Katze fotografiert, die ein Auge verloren hatte und der die Nase fehlte. Die Katze befand sich in einem kleinen Käfig in einer Art Tierheim. Der Chef des Tierheims versicherte mir damals, dass die Käfige nur eine Übergangslösung seien und bald ein Arzt nach den Katzen sehen würde. Ich weiß aber nicht, ob das wirklich gestimmt hat. Als ich dann in mein sauberes, schönes Hotel gegangen bin, hat sich das scheiße angefühlt. Aber ich wusste auch nicht, was ich sonst hätte tun sollen.
Beim Fotografieren hilft es, sich auf den Charakter seines Gegenübers einzulassen. Wie läuft das bei Katzen?
Manche Katzen waren scheu und schüchtern und andere sehr neugierig und fast schon extrovertiert. Ein Kater hat mich besonders gewieft angesehen. Ich habe ihn in einem buddhistischen Tempel fotografiert, wo die Katzen nur mit Reis gefüttert werden. Verwöhnte deutsche Hauskatzen hätten diesen Reis bestimmt nicht einmal angeguckt. Aber die Tiere dort bekamen nichts anderes. Sie waren alle sehr dürr. Der Kater hatte sicher großen Hunger, aber das hat man ihm nicht angesehen. Er hat einfach mit mir rumgeflachst.
Welche Schwierigkeiten gab es bei dieser Fotostrecke?
Ich musste die Katzen erst einmal suchen. In den meisten Städten findet man Straßenkatzen in den ärmeren Vierteln. In reicheren Gegenden werden sie eher verscheucht und in den ärmeren eher gefüttert. Also bin ich für die Fotos in die ärmeren Gegenden gegangen. Wenn ich Katzen gefunden hatte, musste ich hoffen, dass sie nicht direkt wegrennen und sich fotografieren lassen. Es hat sich fast so angefühlt, als müsste ich eine Art Kommunikation zu den Tieren aufbauen. Ich habe manchmal versucht, Tiergeräusche zu machen, um die Katzen vom Bleiben zu überzeugen. Eigentlich habe ich immer gegrunzt, wenn ich so darüber nachdenke. Manchmal hat das funktioniert.
Welches Katzenfoto magst du am liebsten?
Ich mag die Katze mit den gelben Augen sehr. Sie war auch eine der ersten Katzen, die ich in Bangkok gesehen habe. Die hat mich angeguckt, als sei ich der erste Mensch gewesen, den sie je gesehen hat.
Was hast du über Katzen gelernt, was du vorher nicht wusstest?
Ich habe fast mehr über unsere Gesellschaft gelernt als über Katzen. Als ich in Sankt Petersburg Straßenkatzen gefüttert habe, haben mich die Anwohner dort angeschrien. Sie hatten Angst, dass die Katzen ihre Autos zerkratzen. In einigen ärmeren Stadtteilen in Bangkok habe ich immer wieder beobachtet, wie Menschen Straßenkatzen gefüttert haben. Einmal habe ich eine ältere Frau in einem ganz ärmlichen Haus gesehen, die sich sehr liebevoll um Straßenkatzen gekümmert hat. Sie hatte bestimmt selbst nicht viel, aber wollte trotzdem helfen und hat Futter verteilt.
Teilweise haben Straßenkatzen die gleichen Probleme wie wir: Menschen mit wenig Geld und Straßenkatzen bekommen in denselben Vierteln durch die Gentrifizierung Probleme, ihren Wohnort zu behalten.
Hat sich dein Verhältnis zu Katzen durch die Arbeit mit ihnen verändert?
In erster Linie habe ich jetzt mehr Respekt vor Straßenkatzen. Die sind nicht alle unbedingt süß, das sind richtige Raubtiere. Die Katzen, die ich fotografiert habe, werden eher nicht gestreichelt. Die Menschen haben Angst vor Krankheiten und wollen sich nicht über die Katzen anstecken. Ich habe versucht, diesen Katzen auf Augenhöhe zu begegnen. Das meine ich metaphorisch und auch wörtlich. Ich hoffe, das sieht man meinen Fotos an.
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