Alles begann in einem Stripclub. Als sich die Gründerinnen des Berlin Strippers Collective im November 2019 zusammenschlossen, ging es darum, endlich unabhängig von den Regeln der Stripclubbesitzer zu sein. “Wir arbeiteten alle im selben Club und sagen wir so: Unser Chef war ein ziemliches Arschloch, es gab einen rassistischen Vorfall”, sagt Edie, die von Beginn an dabei ist.
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Die Gruppe habe ihre eigenen sexpositiven Shows auf die Beine stellen und mit Stripper-Klischees brechen wollen, sagt Mia, die ebenfalls zum Kollektiv gehört. Inzwischen veranstalten sie Aktzeichnen-Sessions, Diskussionsrunden und Performances in Clubs. Ihre Shows nutzen Elemente aus Poledancing und klassischem Striptease, aber auch Theater, Comedy und Kabarett. Heute zählt das Kollektiv um die zehn Mitglieder, die aus verschiedenen Ländern nach Berlin gekommen sind.
Die Fotografin Shauna Summers hat den harten Kern der Gruppe jetzt für ihre Arbeit “Pleasers” fotografiert. “Ich bin immer noch voller Bewunderung für diese klugen, witzigen und talentierten Frauen”, sagt Summers, die im Winter eine der Aktzeichnen-Sessions der Gruppe besuchte und so auf das Kollektiv aufmerksam wurde. Für ihre Fotos holte sie die Frauen aus der üblichen Strip-Club-Atmosphäre in einen Raum mit natürlichem Licht. “Ich wollte, dass die Bilder die beiden Ebenen dieser Frauen zeigen: Sie sind stark und sexy, aber gehören auch zu einer marginalisierten Gruppe.”
Wir haben mit Edie, Mia, Chiqui und Trixie vom Berlin Strippers Collective über Vorurteile, Anti-Sexarbeit-Feministinnen und ihren eigenen Stripclub gesprochen.
VICE: Es gibt immer noch Menschen, für die Strippen kein normaler Job ist. Merkt ihr das in eurem Alltag?
Mia: Ja. Das reicht von vergleichsweise harmlosen Vorurteilen bis zur institutionellen Diskriminierung.
Edie: Sexarbeiterinnen können zum Beispiel nicht in die USA einreisen. Selbst wenn Strippen in einigen Ländern rechtlich nicht als Sexarbeit gilt, reicht es, als Stripperin registriert zu sein, um abgewiesen zu werden.
Chiqui: Ich überlege mir genau, wem ich erzähle, dass ich eine Stripperin bin. Wenn ich zum Beispiel bei Vermietern als Beruf “Stripperin” angebe, bekomme ich die Wohnung nie.
Mit welchen Vorurteilen seid ihr konfrontiert?
Trixie: Viele Leute sehen einfach nicht, wie viel Arbeit dahinter steckt. Die denken, wir ziehen uns einfach nur aus, betrinken uns und lassen irgendwelche Typen dafür bezahlen. Das ist herabwürdigend.
Edie: Sobald du fremden Menschen erzählst, dass du eine Stripperin bist, glauben sie, dass sie dir persönliche Fragen zu deiner Sexualität stellen dürfen. Oder du beschwerst dich über einen schlechten Abend in der Arbeit und die Leute sagen: Was hast du erwartet? Damit müsse man in “diesem Umfeld” eben rechnen. Was soll das heißen? Die Leute denken, dass wir im Job nur mit schmierigen, gruseligen Typen zu tun haben. Aber wenn du unsere Kunden beleidigst, beleidigst du uns.
Chiqui: 70 bis 80 Prozent der Menschen bei unseren Shows sind Frauen. Wahrscheinlich weil Männer ein bisschen Angst vor uns haben. Die denken sich: “Wow, sie lebt ihre Sexualität aus.” Das schüchtert manche Männer sehr ein und das liebe ich. (Alle lachen)
Woher kommen diese Vorurteile?
Mia: Das hat viel damit zu tun, wie Massenmedien uns darstellen. Stripperinnen sind entweder dumm und vögeln sich durch die Welt oder total geldgeil und eindimensional. Mit dem Kollektiv wollen wir mit diesem Stigma brechen. Durch Shows, die keine Klischees bestätigen. Wobei es natürlich auch vollkommen OK sein sollte, wenn wir uns “einfach nur” ausziehen würden.
Wann wurde euch klar, dass ihr als Stripperinnen auch Aktivistinnen sein müsst?
Trixie: Am Anfang war Strippen für mich nur ein Job. Erst als ich mit anderer Sexarbeit begann, wurde ich auch zur Aktivistin. Die meisten meiner Kolleginnen interessierten sich überhaupt nicht für Politik. Viele kommen nicht aus Deutschland, wollen einfach nur hier arbeiten, irgendwann zurückgehen, ein Haus kaufen und ihre Kinder großziehen. Das ist auch OK. Aber ich wollte über den sozialen Kontext sprechen, in dem ich gearbeitet habe.
Am Anfang wollten wir vor allem die Arbeitsbedingungen in den Stripclubs verbessern und uns gegenseitig unterstützen. Aber durch die Pandemie waren Clubs sowieso keine Option mehr und wir hatten Zeit, uns neu zu formieren. Dadurch hat sich der Aktivismus ein bisschen in Richtung Body- und Sexpositivity verschoben.
VICE: Wie betrifft euch die Corona-Pandemie?
Edie: Für uns persönlich war es schlimm. Wir haben alle unsere Jobs verloren. Aber für das Kollektiv war das sogar gut, weil wir darin mehr Zeit und Energie investieren konnten.
Mia: Wir machen jetzt auch Onlineshows und erreichen dadurch auch Leute außerhalb Berlins. Unser Publikum wurde größer.
Chiqui: Plötzlich hatten wir Zuschauer aus Indien, Südafrika und jemanden aus einem winzigen Dorf in Italien. Das war super.
Ihr veranstaltet auch Sessions für Aktzeichnen. Was hat das mit Strippen zu tun?
Chiqui: Erotik und Kunst sind schon immer eng verbunden. In einem Kunstmuseum siehst du überall nackte Frauen. Wenn wir also ständig in Kunst stattfinden, können wir das auch selbst in die Hand nehmen. Stacey Clare vom East London Strippers Collective hat deshalb 2013 damit angefangen. Inzwischen finden in London wöchentlich Akt-Events statt. Letztes Jahr hatten wir Stripperinnen an der Royal Academy of Art.
Durch die Events können wir mit Vorurteilen aufräumen. Nach unserem letzten Berliner Akt-Event schrieb uns ein Teilnehmer aus Indien, dass ihm das eine völlig neue Perspektive auf Sexarbeit gezeigt hätte. Er sagte, Sexarbeit sei normalerweise immer sehr negativ belegt. Dass wir Freundinnen sind und unsere Jobs gerne machen, war für ihn völlig neu.
Es gibt Feministinnen, die Stripperinnen und Sexarbeiterinnen dafür kritisieren, ihre Körper zu Geld zu machen. Demnach würdet ihr euch zu Sexobjekten degradieren lassen. Könnt ihr selbst Feministinnen sein und gleichzeitig in Strapse auf einer Bühne stehen?
Edie: Ich habe bei der Arbeit nie das Gefühl, dass mich jemand zum Objekt macht. So fühle ich mich höchstens auf der Straße, wenn mir jemand hinterherpfeift oder an den Arsch fasst. Auf der Straße passiert das, ohne dass ich danach gefragt habe. Im Club, passiert es zwar auch, dass ich angegraben werde, aber dort kann ich mich direkt wehren oder verhandeln, wie ich behandelt werde, und sogar ein Honorar für meine Aufmerksamkeit verlangen. Wir arbeiten dort, weil wir es wollen. Und wenn wir damit einverstanden sind, dass die Kunden uns an den Arsch fassen, müssen sie dafür bezahlen.
Unsere Gesellschaft versucht, die weibliche Sexualität mit Regeln und sozialen Normen zu kontrollieren. Wer Geld mit seiner Weiblichkeit verdient, bricht mit diesen sozialen Normen. Darauf kommen diese Leute nicht klar. Durch Sexarbeit wandert Geld von meist privilegierten Männer hin zu marginalisierten Gruppen: Frauen, Trans-Menschen, Migrantinnen und Migranten. Auch das verstößt gegen die soziale Norm.
Handelt ihr in eurem Job also immer selbstbestimmt?
Mia: Das ist auch so ein Argument von radikalen Feministinnen, das ich schon in mehreren akademischen Essays gelesen habe: Sexarbeiterinnen können gar nicht einvernehmlich handeln, Sexarbeit sei im Grunde Vergewaltigung. Das finde ich absurd. Warum müssen wir uns von radikalen Feministinnen bevormunden lassen, die an einem Schreibtisch sitzen und sich von Mami und Papi das Leben finanzieren lassen? Sie machen uns zum Objekt; zum reinen Gegenstand ihrer Argumente. Wenn wir sagen, dass wir einvernehmlich handelnde erwachsene Menschen sind, dann sind wir das. Das entscheiden wir und niemand anderes.
Edie: Diese Leute konzentrieren sich so sehr auf Sex und vergessen dabei ganz, dass 70 Prozent unserer Arbeit mit Emotionen zu tun haben. Wir sitzen den ganzen Abend bei unseren Kunden und sie erzählen uns von ihrem Leben. Im Gegensatz zu diesen Kritikerinnen sehen sie uns nicht als bloße Körper – sondern als Menschen.
Chiqui: Ich habe eine Freundin, die dafür bezahlt wird, dass sie 80er-Jahre-Komödien mit einem nackten Typen schaut. Andere Leute bezahlen dafür, dass man sie einfach nur mal berührt. Weil zwischenmenschliche Berührungen in unserer digitalen Welt immer seltener werden. Sex ist nur ein kleiner Teil von Sexarbeit.
Trixie: Ursprünglich kritisierten diese Anti-Sexarbeit-Feministinnen Männer, weil die uns Frauen nicht sagen sollten, was wir zu tun haben. Und jetzt wollen sie uns stattdessen sagen, was wir zu tun haben. Das ist doch ein totaler Widerspruch.
Wäre es nach all euren Erfahrungen nicht an der Zeit, einen eigenen Stripclub zu eröffen?
Alle: Ja!!! (Gelächter)
Chiqui: Wir brauchen nur noch das Geld. Wenn jemand dieses Interview liest und uns finanzieren will: Gerne.
Edie: Schreib über das Interview: “Wir suchen einen Investor.” (Gelächter)
Mia: Ein eigener Club wäre unser Traum. Wir möchten das Berlin Strippers Collective aber auch zu einer Gewerkschaft ausbauen. Dann können wir anderen noch effektiver helfen, auch vor Gericht. Wir haben keine Angst davor, groß zu denken.
Vielleicht solltet ihr für euren eigenen Club eine Crowdfunding-Kampagne starten.
Mia: Das ist eine super Idee.
Chiqui: Wenn es klappt, bekommen du und deine Freundin einen kostenlosen Lapdance.