Das politische Klima in Österreich wird rauer und spätestens seit der Bundespräsidentschaftswahl ist klar, dass die Gesellschaft zumindest auf parteipolitischer Ebene tief gespalten ist.
Gleichzeitig steigt der Druck auf der Straße. Während es im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise vergangenes Jahr zu mehreren Großdemonstrationen mit tausenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern kam, die einen menschlichen Umgang mit Schutzsuchenden und ein Ende der Abschottungspolitik der EU forderten, konnten auch Gruppierungen, die das genaue Gegenteil wollen, ihre zum Teil offen rassistische und rechtsextreme Propaganda in die Öffentlichkeit tragen.
Vor allem die Identitären haben seither massiv an Stärke und Selbstbewusstsein zugelegt, was sie am vergangenen Samstag mit etwa 600 Anhängerinnen und Anhängern in Wien unter Beweis stellten. Aber nicht nur zahlenmäßig, sondern auch in Bezug auf das militante Auftreten linker und rechter Gruppen sorgten die letzten 10 Monate für einen Anstieg und eine (Re-)Radikalisierung auf beiden Seiten. So gab es zum Beispiel gezielte bewaffnete Attacken auf Linke durch Aktivisten der Identitären in Graz, zahlreiche (vermutlich durch die Antifa) zerstörte Autos in Spielfeld und zuletzt einen Verletzten nach einem Steinwurf auf die Identitären-Demo in Wien.
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Auch als im November 1918 der Erste Weltkrieg mit dem Waffenstillstand von Compiègne für beendet erklärt wurde, kam es in den Folgejahren zu offener Gewalt zwischen linken und rechten Gruppen in Österreich. Natürlich war die damalige politische als auch wirtschaftliche Lage der Zwischenkriegszeit eine völlig andere als heute und die Gewalt erreichte ein weitaus höheres Ausmaß.
Ein direkter Vergleich von damals und heute ist alleine deshalb natürlich nicht möglich. Trotzdem zeigt die Situation damals, was bei ausreichender Radikalisierung passieren kann und sollte allein deshalb als Mahnmal verstanden werden. Wir haben uns durch das Archiv der Landespolizeidirektion Wien gewühlt und Fotos von den Februarkämpfen 1934—dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen dem sozialdemokratischen Schutzbund und dem autoritären Ständestaat mit Unterstützung der faschistischen Heimwehrverbänden—gesucht. Die Bilder zeigen, was in Wien passiert ist, als faschistische Gruppen von einer autoritären Regierung unterstützt wurden.
Die nach dem Ersten Weltkrieg nach Österreich heimkehrenden Soldaten der K.u.K.-Armee waren weiterhin bewaffnet. Um sich vor Plünderungen durch die Leidtragenden der Hungersnot 1918 in Wien zu schützen und durch das Machtvakuum nach dem Krieg begünstigt, gründeten sich die sogenannten Heimwehrverbände, die bald einen faschistischen Ständestaat in Österreich anstrebten und von Benito Mussolini unterstütz wurden.
Auch die ursprünglich sozialdemokratisch geprägte Armee der Ersten Republik wurde ab 1920 von den autoritären Christlichsozialen umgefärbt, was 1923 zur Gründung des Republikanischen Schtuzbundes führte, der als Verteidiger der Republik und paramilitärischer Arm der Sozialdemokratie auftrat.
Als Bundeskanzler Engelbert Dollfuß schließlich im März 1933 den Nationalrat auflöste, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) verbot und die Abgeordneten von der Polizei daran gehindert wurden, das Parlament zu betreten, nahmen die Auseinandersetzungen zwischen den Sozialdemokraten und Anhängern des autoritären Regimes Dollfuß rapide zu. In den darauffolgenden Monaten kam es zu brutalen Übergriffen der Polizei und der Heimwehr auf sozialdemokratische Arbeiter, sowie zu willkürlichen Hausdurchsuchungen und Verhaftungen.
Im Februar 1934 erreichten die bewaffneten Auseinandersetzungen ihren Höhepunkt. Als in den Morgenstunden des 12. Februars die Polizei das sozialdemokratische Parteihaus in Linz–das sogenannte Hotel Schiff–stürmte und nach Waffen durchsuchen wollte, widersetzten sich die Schutzbündler unter der Führung von Richard Bernaschek und eröffneten das Feuer. Die Aktion war im Vorfeld von Teilen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei geplant worden. Ein verschlüsseltes Telegramm, in dem die Spitze der SDAP der bewaffneten Zurwehrsetzung jedoch eine Absage erteilte, wurde von den Behörden abgefangen und kam nie bei den Schutzbündlern im Hotel Schiff an.
Die Nachricht von den Kämpfen in Linz verbreitete sich schnell. In Wien waren bereits in den Tagen zuvor 40.000 Flugblätter verteilt worden, die zu einem Generalstreik am 12. Februar aufriefen. Um 11.46 Uhr blieben schließlich die Straßenbahnen in Wien stehen, was das Zeichen zum Aufstand für die verbliebenen, kampfbereiten Einheiten des Republikanischen Schutzbundes war. Auch in anderen Industrieorten wie Steyr, Graz, St. Pölten, Kapfenberg und Bruck an der Mur kam es zu bewaffneten Aufständen.
Vor allem in Wien ließ Dollfuß den Aufstand der Schutzbündler mit teils schweren Waffen blutig niederschlagen. In den Kämpfen rund um den Karl-Marx-Hof, den Goethe-Hof, den Sandleitenhof, den Schlingerhof und den Reumannhof, sowie zahlreiche Arbeiterheime, kamen neben leichten Feuerwaffen auch Artillerie, Minenwerfer und die Luftwaffe zum Einsatz–vor allem zum Leid der Zivilbevölkerung.
Die Opferzahlen sind bis heute nicht restlos geklärt. 2014 veröffentlichte der Historiker Kurt Bauer seine Recherche, wonach zwischen 350 und 370 Menschen–zum größten Teil Zivilisten–in dem viertägigen Bürgerkrieg ihr Leben verloren. Ältere Schätzungen, etwa des englischen Journalisten Robin Gedye, belaufen sich allerdings auf 1500 bis 2000 Opfer.
Nach der Niederschlagung der Februarkämpfe am 15. Februar, wurden 21 Angehörige des Republikanischen Schutzbundes zum Tode verurteilt. Neun von ihnen, darunter Anton Bulgari, Karl Münichreiter und Koloman Wallisch, wurden standrechtlich gehenkt. Tausende weitere wurden verhaftet und in Lager des faschistischen Dollfuß-Regimes interniert. Führende Persönlichkeiten der österreichischen Sozialdemokratie wie Otto Bauer und Julius Deutsch mussten das Land verlassen.
Paul auf Twitter: @gewitterland