Videospiele waren immer schon Teil meines Lebens. Als kleines Mädchen habe ich meine große Schwester beim Guitar Hero-Spielen bewundert, als wäre sie ein Rockstar. In meinem Umfeld spielten Leute Call of Duty und Final Fantasy, als Teenagerin fing ich dann selbst an.
Schnell merkte ich, wie männlich dominiert Gaming ist. Laut einem Forbes-Bericht von 2020 sind nur 16 Prozent der Führungskräfte bei den großen Spieleherstellern Frauen. Dieses Muster spiegelt sich klar in vielen meiner Lieblingsspiele wider, deren Protagonisten selten Frauen und weibliche Figuren oft so klischeehaft sind, dass ich mich unmöglich mit ihnen identifizieren kann.
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Aber die Gaming-Branche ändert sich. 2021 identifizierten sich laut Statista 61 Prozent der Spieleentwickler als männlich, 2019 waren es noch 71 Prozent. Und immer mehr Mädchen und Frauen zocken. Laut dem Marktforschungsunternehmen Newzoo machen Frauen inzwischen 46 Prozent der weltweiten Gaming-Community aus.
Aber in der Community sind Frauenfeindlichkeit, Belästigungen und Rassismus immer noch weit verbreitet. Ich habe neun Gamerinnen beim Zocken in ihren Zimmern fotografiert und mit ihnen über ihre Erfahrungen gesprochen.
Delphine, 30
Delphine hat 2020 angefangen, bei Twitch zu streamen, und ist Afrogameuses beigetreten – einer französischen Organisation, die Schwarze Gamerinnen zusammenbringt. “Es gibt einen sehr starken Zusammenhalt”, sagt Delphine. Sie moderiert den Twitch-Kanal von Afrogameuses-Gründerin Jennifer Lufau, auch bekannt als Jane Bond und Invinciblejane.
Dass sie in ihrer Rolle als Moderatorin auch einer Menge Hass ausgesetzt ist, überrascht leider nicht. “Ich verstehe nicht, was Twitch macht”, sagt Delphine. “Da sind Leute mit Usernamen, die nicht erlaubt sein sollten.”
Die Gamerin sagt, dass Schwarze Frauen auf der Plattform besonders heftig angegriffen würden. In ihrer Community habe sie aber auch Stärke gefunden. “Es gibt Angriffe, aber auch viel Unterstützung und freundliche Menschen”, sagt sie. “Du brauchst einfach die richtigen Connections.”
Anaelle, 21
“Ich könnte stundenlang spielen, einfach nur rumlaufen und Figuren erschaffen”, sagt Anaelle. Sie liebt gute Storys und Figurenentwicklung – so sehr, dass sie sogar mal einen Kurs dazu belegte. Sie spielte mit dem Gedanken, das beruflich machen zu wollen. “Mit der Zeit habe ich immer mehr darüber erfahren, wie die Videospielindustrie funktioniert – insbesondere, dass Entwicklerinnen und Entwickler ständig Überstunden machen. Und über die ganzen Belästigungen“, sagt sie.
Anaelle entschied sich schließlich, ihren Traum einen Traum sein zu lassen. Sie wurde depressiv und musste zurück zu ihrer Mutter ziehen. Die Spiele helfen ihr durch diese schwierige Zeit. “Spielen ist ein Zufluchtsort. Oft ist es die letzte Tür zur Außenwelt, wenn man sich selbst verschließt”, sagt sie.
An den Spielen selbst stört die 21-Jährige vor allem eine Sache: Sowohl männliche als auch weibliche Figuren seien so extrem in ihrer Männlich- und Weiblichkeit, dass sich niemand in ihnen wiederfinden könne. “Männliche Figuren sind häufig entweder Playboys oder diese übertrieben coolen Typen”, sagt Anaelle. “Wenn die Figuren weiblich sind, müssen sie supersexy sein und anatomisch unmögliche Körperproportionen haben. Die Figuren sind nicht realistisch.”
Véronique, 27
Véronique hatte ihren ersten Kontakt mit Gaming, als sie etwa sechs war und ihrer großen Schwester beim Zocken zuschaute. “Ich bin damit großgeworden, es ist ein Teil von mir”, sagt sie. “Es erlaubt mir, Dampf abzulassen und Zeit mit mir selbst zu verbringen.” In der Schule sei sie gehänselt worden, aber durchs Zocken fand sie Freundinnen und Freunde, auf die sie sich verlassen konnte. “Wir wurden als Nerds bezeichnet. Damals war das etwas Schlechtes. Heute ist Nerdiness eine eigene Kultur geworden”, sagt sie.
Véronique ist auch auf Twitch unterwegs, aber die Plattform mache sie nervös. “Wenn wir Mädchen streamen, fragen wir uns, ob es sich wirklich lohnt, das Gesicht zu zeigen”, sagt sie. “Wir erwarten quasi, gelyncht zu werden.” Auch wenn Frauen der Plattform beitreten, um wie alle anderen eine gute Zeit mit Freunden zu haben, werde es für sie dort häufig sehr unangenehm, sagt sie.
“Es ist traurig, dass die Mehrheit auf diesen Plattformen Typen sind. Die meisten von ihnen bewerten dich und geben dir das Gefühl, ein Objekt zu sein. Sie sagen, dass du dort nichts zu suchen hast”, sagt Véronique. “Es ist noch verrückter, dir das alles durch den Kopf gehen lassen zu müssen, bevor du deine Webcam anmachst.”
Sarah, 19
Sarah hat vor drei Jahren mit dem Streaming angefangen. Eigentlich wollte sie ihren Bruder dazu motivieren, weil sie dachte, dass er gut im Streaming wäre. Am Ende half er dann ihr, ihren eigenen Channel zu starten. “Ich habe meine ersten beiden Streams ohne Kopftuch gemacht”, sagt Sarah. “Aber es sah einfach nicht aus wie ich und fühlte sich nicht an wie ich.”
Sarah sagt, es gebe auf der Plattform kaum Spielerinnen mit Hidschabs. “Ich suchte nach einem Vorbild. Als ich keins fand, beschloss ich, selbst eins zu werden”, sagt sie. Am nächsten Tag entschied sie sich, ihre Haare beim Streamen zu bedecken. “Ich zitterte, weil ich solche Angst hatte, dass die Leute das kommentieren”, sagt sie. “Du musst vorbereitet sein. Aber die Trolle interessieren mich nicht. Am Ende zeige ich, dass sie mich nicht stören und Trottel sind.”
Sarah spielt häufig GTA und erfindet gerne verschiedene Stimmen und Persönlichkeiten für die verschiedenen Figuren. Wenn sie mal eine Figur mit Kopftuch spielt, bekommt sie Kommentare über Dschihad und Terrorismus. “Leute haben ein Problem damit, mich wegen meines Kopftuchs in ihren Channel einzuladen. Die befürchten, dass dann darüber geredet wird”, sagt Sarah. “Ich habe viele Pläne, aber dafür muss man sich Gehör verschaffen, man muss gesehen werden. Und die Leute müssen akzeptieren, was sie sehen.”
Djella, 19
Als Djella noch zur Schule ging, hielten Leute von Becometech einen Vortrag in ihrer Klasse. Das Ziel der französischen NGO ist es, Mädchen für IT-Berufe zu begeistern. “Zu der Zeit wollte ich Anwältin werden”, sagt Djella, die vor allem Shooter spielt. “Meine Mutter drängte mich dazu, der Organisation beizutreten. Meine erste Reaktion war: ‘Informatik ist was für Jungs.’”
Aber Djellas Mutter blieb hartnäckig, also gab sie der Sache eine Chance. “Die Unterstützung deiner Eltern zu haben, hilft dir, neue Wege zu gehen. Es zeigt dir, dass die Gesellschaft nicht entscheidet, was du tust”, sagt Djella. Jetzt hat sie ein Stipendium für eine Studium an der EPITECH, einer der besten Privatschulen für Informatik und Computerwissenschaften in Frankreich. “Ich wurde direkt am Tag meines Bewerbungsgesprächs aufgenommen”, sagt Djella. “Das Auswahlkomitee sagte, dass sie noch nie ein Mädchen gesehen hätten, das so leidenschaftlich sei wie ich.”
Royale, 18
Royale geht auf dieselbe Schule wie Djella. Sie wolle Programmiererin werden, um “Roboter zu erschaffen und nützliche Dinge zu bauen”, sagt sie. “Als Person of Color gibt es im Gaming keine Figuren, die mich repräsentieren. Das macht mich wütend.” Einmal sei sie von Freunden dazu eingeladen worden, auf einer App zu spielen, bei der es nur weiße Figuren gab. “Also war ich eine Blume. Ich wollte eine menschliche Figur, aber es gab einfach keine.”
Molika Va, 39
Molika ist Vizepräsidentin von Next Gaymer, einer französischen Organisation für LGBTQ+-Gamerinnen und -Gamer. Während ihrer Teenagerzeit in den 90ern war Gaming noch viel mehr von Jungs bestimmt. Aber Molika war immer schon begeistert von Computerspielen und verfolgte alle Neuigkeiten in der Branche.
Auf diese Weise lernte Molika andere Frauen in der Community kennen. “Wir suchten uns, schickten uns Nachrichten über Anzeigen in den Spielezeitschriften”, sagt sie. Über die Jahre entwickelte sie enge Beziehungen zu ihren Brieffreundinnen. “In der Realität gab es das aber einfach nicht, dass Frauen über Computerspiele redeten”, sagt sie. “Ich erlebte, wie es von einer heimlichen Leidenschaft zu etwas Normalem wurde. Heute ist es so weit verbreitet wie Fernsehen.”
Ein Blick auf die Seite von Next Gaymer überrascht trotzdem. Auf den Gruppenfotos sind kaum Frauen zu sehen. “Lange war ich fast die einzige Frau, die regelmäßig hingegangen ist. Bei Veranstaltungen mit rund 100 Menschen gibt es nur zwei oder drei Frauen”, sagt Molika.
Sie glaube nicht, dass es so wenig queere Gamerinnen gibt, diese würden einfach nur tendenziell daheimbleiben, weil die Communities überwiegend männlich sind. “Das war ein echtes Problem bei der Organisation”, sagt sie. “Als ich dem Komitee beitrat, wollte ich das ändern.”
Vergangenes Jahr gründete Molika eine Gruppe nur für Frauen in der Organisation. “Ich werde oft gefragt, ob das eine Community innerhalb der Community sei”, sagt sie. “Das ist es nicht. Es ist ein Ort, der es Frauen erlaubt, einfach andere Frauen zu finden. Ansonsten kann das schon mal wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen sein.”
Preeksha, 22
Preekshas Zimmer ist voll mit Zeichnungen, Bildern und personalisierten Figuren. “Ich glaube nicht, dass ich jemals eine indische oder südasiatische Figur in einem Videospiel gesehen habe”, sagt sie. “Ich möchte voll in ein Spiel eintauchen, mich mehr mit den Figuren identifizieren können, auch wenn das alles Fiktion ist.” Ihre eigene Kunst ist inspiriert von Gothic- und Fantasy-Welten. “Was ich tue, mache ich wirklich gerne”, sagt sie. “In meinen Zeichnungen versuche ich, Figuren zu erschaffen, die wie ich aussehen – in einer Umgebung, die ich mag.”
Tifany, 19
Tifany zockt, seit sie vier ist, aber mit zehn ging es richtig los. Da begann sie, online auf der PS3 zu spielen. “Ich verstellte meine Stimme, damit die anderen mich für einen Typen hielten”, sagt sie. “Einer meiner Freunde hat mich damals als ‘Jungen’ kennengelernt. Das war meine erste Freundschaft, und wir sind noch immer befreundet.”
Nachdem sie ihren Usernamen zu etwas Weiblichem geändert hatte, fingen Leute an, sie “dreckige Schlampe” zu nennen und Sachen wie “Geh zurück in die Küche” zu sagen. “Ich bekomme oft solche Nachrichten. Ich bekomme aber auch flirtige Nachrichten. Ich kriege ein bisschen von allem ab”, sagt Tifany. “Du musst lernen, dich zu verteidigen. Sei es dadurch, dass du über dich selbst lachst, in den Angriff übergehst oder die Attacken einfach ignorierst. Aber das alles kann auch weitergehen und zu echter Belästigung werden.”
Nach der Schule fing Tifany an, in dem Gaming-Geschäft zu arbeiten, in dem sie seit ihrer Kindheit Spiele kauft. Ernstgenommen fühlte sie sich dort allerdings nicht. Einmal, als sie Kunden beriet, sei ihr aufgefallen, dass sie ihr nicht in die Augen schauten. “Die wollten nur mit meinem männlichen Kollegen reden”, sagt sie. “Als ich an der Kasse stand, haben sie nach ihm geschaut.”