Eine sehr schlanke Frau in knapper Kleidung, die vor einem Spiegel die Beine spreizt und sich an die Vulva fasst – nicht unbedingt ein Foto, das man auf der Facebook-Seite der Polizei Berlin erwarten würde. Ein weiterer Versuch, mit meme-barem Content die junge Zielgruppe für sich zu begeistern? Nicht ganz: “Waiting for the perfect man” ist keine Szene aus einem Porno, sondern ein Kunstwerk der Künstlerin Marionette Skurril. Die Skulptur wurde geklaut, aus einer Kunstausstellung in der Taborkirche in Berlin-Kreuzberg. Die Polizei sucht nun – auch über Facebook – nach Menschen, die Hinweise zum Verbleib des Werkes haben. Der absurde Diebstahl wirft nicht nur die Frage auf, wer sich das Ding ins Wohnzimmer stellen würde.
Warum zur Hölle stand das Teil in einer Kirche?
Natürlich ist es überaus positiv, wenn sich die Kirche, die in der Geschichte für so viel Schlechtes und Rückständiges verantwortlich ist, offen für moderne Kunst zeigt. Kunst, die eine menschenähnliche Figur bei einem Akt der Selbstliebe zeigt, den christliche Fundamentalisten auch heute noch als eine Art Todsünde verteufeln. Außerdem war es doch Jesus, der Sohn Gottes, der Messias und langhaarige Hippie der Herzen, der sagte: Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein. Und obwohl Teile der Kirche nach wie vor strenge Enthaltsamkeit predigen, ist es doch relativ wahrscheinlich, dass nahezu jeder Christ die Hände schon mal nicht nur zum Beten in den Schoß gelegt hat. Trotzdem: Eine Totenkopf-Frau, die vor einem Spiegel masturbiert, ist nicht das Erste, woran man beim Thema “Kunst unter dem Dach Gottes” denkt.
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Wieso wird erst jetzt nach dem Kunstwerk gesucht?
Der offiziellen Polizeimitteilung zufolge soll die Frauenfigur bereits am Sonntag, den 25. Juni, zwischen 9 und 18 Uhr entwendet worden sein – also vor beinahe fünf Monaten. Damals Teil der Ausstellung “Schön” des Vereins Kunst im Seitenschiff sollte sie eigentlich noch bis Anfang August zu sehen sein, bevor sie gestohlen wurde. Doch warum erst jetzt der öffentliche Aufruf seitens der Polizei?
Vielleicht haben es die Künstlerin und der Verein gehalten wie US-Politiker nach Massenschießereien und darauf gehofft, dass Beten das Problem schon irgendwie aus der Welt schaffen wird. So viel Kraft der ein oder andere auch aus seinem Glauben ziehen mag: Meistens ist es klüger, sich an die Menschen zu wenden, deren Job es ist, derartige Fälle aufzuklären. Und das ist ihnen Monate später endlich klar geworden. Vielleicht, und auch das scheint nicht ganz unwahrscheinlich, haben die Beamten aber auch erst jetzt gemerkt, dass sie es einfach nicht alleine hinbekommen.
Wo verläuft die Grenze zwischen Kunst und traumatisierendem Albtraum?
Ja, ja, ist gut: Ich bin keine hochvergeistigte Kunstkritikerin. Deswegen arbeite ich auch bei VICE und nicht beim Feuilleton der FAZ. Trotzdem ist es mir durchaus möglich, einen Hauch Gesellschaftskritik bei einer Frauenfigur zu erahnen, die vor einem Spiegel masturbiert. Aufs Sideboard gestellt hätte ich mir das Ganze jedoch nicht. Meine Abschätzigkeit verwandelte sich allerdings dann in blanken Horror, als ich in einer anderen Aufnahme die Puppe von vorne gesehen habe – und jetzt bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich je wieder ruhig schlafen (geschweige denn masturbieren) kann.
Es gibt Künstlerinnen, die malen mit ihrem eigenen Blut. Es gibt die Kunst von Marilyn Manson oder Gottfried Helnwein, die einem unangenehme Schauer über den Rücken jagt. Und dann gibt es sexualisierte Frauenpuppen, die bei näherer Betrachtung aussehen wie Skeletor aus He-Man. Ist sie beim Warten auf den “perfekten Mann” gestorben und nur ihr Gesicht verweist darauf? Sollen Menschen, die nur auf sexuelle Reize anspringen, bewusst schockiert werden? Wer auch immer dieses Kunstwerk gestohlen hat – die Person muss ein echt krankes Schwein sein.
Ist das Ganze vielleicht doch nur ein verzweifelter Versuch, um vom Skandal an der Berliner Polizeiakademie abzulenken?
Die Polizei hat ein Image-Problem. Nicht nur in linken Kreisen oder ganz allgemein am 1. Mai, wenn sie betrunkenen Feiertagstouristen die gläsernen Bierflaschen verbieten wollen. Nein, aktuell machen diverse Geschichten die Runde, die die Polizeiakademie in Berlin-Spandau in kein besonders günstiges Licht stellen. Erst tauchten Mitschnitte eines Polizeiausbilders auf, der Auszubildende mit Migrationshintergrund als “Feind in unseren Reihen” bezeichnete. Anschließend verkündete ein Polizist in einem anonymen Brief, dass die Berliner Polizei von Mitgliedern krimineller Clans unterwandert werde. Da kommt ein launiger Facebook-Aufruf (“Bei wem steht das?”) zu einer kruden Skulptur doch gerade recht. Mit ihrem expliziten Thema sorgt sie bei der jungen Zielgruppe sicher für amüsierte Smiley-Reaktionen, das haben die Social-Media-Profis der Berliner Polizei sofort erkannt.