Fragen, die zwei Teenager-Jungs aufwerfen, die ins Haus ihrer Angebeteten einstiegen

fensterln

Es klingt wie eine Szene aus der Schulaufführung von Romeo und Julia: Zwei verliebte 16-Jährige steigen durch ein offenes Fenster ins Haus ihrer Angebeteten. Die stellte vorher eine Leiter bereit, um die beiden in ihr Zimmer zu lotsen. Statt im historischen Verona spielt die Geschichte allerdings in Oberhausen im Ruhrpott.

Die Romantik fing an zu bröckeln, als eine aufmerksame Nachbarin Wind von der Aktion bekam. Die erkannte in der Dunkelheit keine liebestollen Teenager, sondern nur die Silhouetten zweier Männer, die mehrmals durch das Fenster herein- und wieder herauskletterten. Sie vermutete Einbrecher – und rief die Polizei. Mehrere Einsatzwagen eilten herbei, die Beamten umstellten das Haus. Ein Polizist klingelte den verpennten Vater wach, der sichtlich überrascht darüber war, dass mitten in der Nacht eine Horde Cops vor seinem Haus stand. Die Tochter kam hinzu und erklärte die Situation. Die Eltern waren not amused. Und wir haben Fragen.

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Plante das Mädchen einen Wettstreit unter den Verehren?

Die erste Frage könnte lauten: Warum zwei Jungs? Aber wir erkennen einfach respektvoll an, dass das Mädchen zwei Verehrer in ihr Zimmer einlud. Wer ehrlich ist, weiß: Nebenbuhler sind normal. Ebenso wie die Leute, die einen oder mehrere Ersatz-Lover in ihren WhatsApp-Chats horten, fast wie Tante Erna ihre Spreewaldgurken in der Vorratskammer. Viel interessanter ist die Frage: Plante das Mädchen einen Wettstreit?

Bei Nacht aus dem eigenen Haus schleichen, durch Garten und Gebüsch kriechen, dann die Leiter rauf, geräuschlos durch ein fremdes Haus schleichen, ohne den Endboss (Papi) zu wecken. Und am Ende wartet die Prinzessin. Würde auch genug Stoff für eine Geschichte Shakespeare’schen Ausmaßes geben: Im Endduell raufen sich die mit Rotkäppchensekt abgefüllten Jungs um die Geliebte, rollen sich schließlich mit starken Wadenkrämpfen über den Boden, das Mädchen ist entsetzt, entfolgt den beiden auf Instagram, sie postet ein Selfie: #Tragödie.

Wie groß war der Konkurrenzdruck unter den Jungs?

Fraglich ist auch, wie sich die beiden Jungs fühlten, als sie erfuhren, dass sie nicht allein, sondern zu zweit mit dem Mädchen abhängen würden. In einer verkorksten Erwachsenenwelt, wo Schnittblumen das Liebesglück zweier Menschen besiegeln, mag das vielleicht normal sein – da wird erstmal rumgebalzt, nur kriegt das der Nebenbuhler im Normalfall nicht mit. Aber als Teenager? Ein Schock!

Für die anderen rekonstruieren wir das Trauma:

“Ey Dennis, was geht heute Abend? Ich muss dir was erzählen!”

“Du, Simon, ich kann gerade nicht. Ich schreib gerade mit der Julia, die hat gesagt, ich soll noch vorbeikommen!! Ist zwar voll spät, aber die will unbedingt netflixen und sagt, dass sie nicht schlafen kann und so und voll traurig ist, weil ihre Bartagamen sich aufgefressen haben oder so. Aber sie hat KiBa gebunkert und will ‘Sex Education’ gucken, Alterrr, die Frau ist littt!!! Ich glaub, die liebt mich. Btw was sind Bartagamen?”

“Haha, lustig, so was Ähnliches hat die mir auch gerade geschrieben”

“Was?”

“Was?”

“Mach kein Scheiß, Junge, ich bin als erster da … Simon? SIMON?!”

Wie genervt war die Polizei?

Auch wenn man die Verpaarung zweier (oder mehrerer) liebestoller Teenager dem Arbeitsbereich “Dein Freund und Helfer” unterordnen könnte, ist es nicht sicher, ob die Polizei nicht doch ein wenig angepisst von diesem Einsatz war. Schließlich mussten die Beamten mitten in der Nacht in die Einsatzwägen stürmen und zu einem möglichen Tatort preschen, bereit, es mit Einbrechern aufzunehmen. Die Eltern waren laut Polizeimeldung “nicht sehr amüsiert” über die Situation. Und wie ging es den Polizisten?


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“Es war genau richtig von der Nachbarin, diesen Fall zu melden”, sagt eine Sprecherin der Polizei Oberhausen. Die Polizei fahre lieber mehrmals zum Einsatz und nehme auch falsche Alarme in Kauf. Zum Vorfall und zu den “Schürzenjägern”, wie die Jungs in der Polizeimeldung genannt wurden, wolle sie aus Datenschutzgründen allerdings nichts Weiteres sagen. Die Beteiligten sollen nicht “durch den Kakao” gezogen werden.

Das impliziert natürlich, dass die Polizei den Fall als peinlichen Ausrutscher von Teenagern einordnet. Was aber, wenn es wahre Liebe ist?

Ist das die wahre Liebe?

Nur mal angenommen, wir interpretieren diesen Fall, zugegeben mit großer Mühe, nicht als Teenie-Date-Night, die durch eine milde Polizeirazzia gecrasht wurde, sondern als Zeichen, dass die real gelebte Liebe durch Instagram und Snapchat noch nicht getötet wurde? Wer steigt denn heute noch nachts bei seinen Liebsten durchs Fenster ein? Klar, jemand, der seinen Schlüssel vergessen hat, ABER SONST? Eben. Niemand.

Dabei war diese etwas creepige Praktik in Süddeutschland sogar lange Tradition. Es gab sogar ein Wort dafür: “Fensterln”. Leider “fensterlt” Mann oder Frau nur noch selten, selbst Wikipedia stuft diesen Brauch als “fast bedeutungslos” ein. Dabei ist es ein Kraftakt, auf Leitern und durch Fenster zu klettern, es ist ein Muskel- aber auch ein Mutbeweis, sich durch das Haus griesgrämiger Eltern zu schleichen, die dich beim kleinsten Geräusch rauswerfen könnten.

Und wofür das alles? Für die Liebe, ihr swipe-geschädigten Tinder-Zombies, für die Liebe.

Die beiden 16-jährigen Jungs haben es vorgemacht. Faith in love restored! Und selbst wenn man von der Leiter und in den Apfelbaum des zukünftigen Schwiegervaters kracht: Still a better love story than Twilight.

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