“Wer entscheidet eigentlich, was in unserer Gesellschaft relevant ist und was nicht?”, fragt Theresa Hannig in einem aktuellen Blogeintrag. Sie ist Softwareentwicklerin und Autorin, vor allem ist sie gerade aber eins: ziemlich sauer. Hannig hat am 12. März einen Wikipedia-Eintrag erstellt, eine Liste deutscher Science-Fiction-Autorinnen. Um die Frauen in der männerdominierten Szene sichtbarer zu machen. Als sie auf Twitter dazu aufrief, die Liste mit eigenen Vorschlägen zu erweitern, bekam sie begeistertes Feedback.
Wenige Stunden später reichte ein Wikipedia-Nutzer allerdings einen Antrag auf Löschung des Eintrags ein. In seinem Kommentar schrieb er: “Überflüssige Liste, die Redundanzen schafft, vom Inhalt her unklar und vom Konzept her dubios ist.” Der Antrag kam von einem Mann, zumindest legen das Nutzername und Profilbild des Nutzers nahe.
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Und wer entscheidet, was in unserer Gesellschaft relevant ist und was nicht, ist meistens männlich – nicht nur, aber auch auf Wikipedia.
Die Seite hat einen eigenen Eintrag zu Bauchnabelfusseln oder hoste eine Liste, auf der sämtliche ehemaligen Nebendarsteller der öffentlich-rechtlichen Krankenhausserie In aller Freundschaft aufgeführt seien, sagt Theresa Hannig gegenüber VICE. Dass ausgerechnet ihr Eintrag “überflüssig” sein soll, mit dem sie unterrepräsentierten Autorinnen zu mehr Sichtbarkeit verhelfen will, empfinde sie als “starkes Stück”.
“Leider ist Wikipedia keine Werbeplattform, auch nicht für Feminismus”, erwidert ein Nutzer und unterstützt den Wunsch nach einer Löschung.
Allerdings häufen sich die Kommentare, in denen Hannig Zuspruch bekommt. Sieben Tage haben Nutzerinnen und Nutzer Zeit, um sich darüber auszutauschen, ob ein Wikipedia-Eintrag gelöscht werden sollte oder nicht. Sollte Hannigs Liste überleben, könnte sie den Weg dafür ebnen, die deutsche Wikipedia-Seite deutlich weiblicher zu machen. Nicht nur mitgemeint, sondern offen sichtbar. Wird die Liste gelöscht, steht die Löschung symptomatisch für ein Problem, das bereits seit längerem diskutiert wird: Wikipedia ist überwiegend männerdominiert – und soll es in den Augen einiger wohl auch bleiben.
Rund 90 Prozent der Editierenden, die Einträge erstellen, bearbeiten und ergänzen, sollen männlich sein. Das ergab zumindest eine Umfrage, die Wikimedia selbst durchführte. Und weil nicht unbestechliche Maschinen, sondern eben Menschen entscheiden, welche Einträge sie ehrenamtlich verfassen, bestimmt das Weltbild der Editoren maßgeblich mit, welche Informationen auf Wikipedia zur Verfügung gestellt werden. Und welche nicht.
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Feministische Themen würden von bestimmten Nutzergruppen bewusst an den Rand gedrängt, zusammengekürzt oder direkt gelöscht zu werden, sagte eine deutsche Wikipedia-Editorin gegenüber netzpolitik.org. Im gleichen Artikel wird über einen Fall berichtet, indem sich Nutzer auf Männerrechtsseiten dazu verabredet haben sollen, eine ihnen unliebsame Autorin regelrecht aus der Community zu mobben.
Auch Wikipedia selbst trägt dazu bei, dass die Seite als primär männlich wahrgenommen wird. “Artikel werden unter dem maskulinen Bezeichner (siehe generisches Maskulinum) angelegt”, heißt es in den Richtlinien zum Erstellen neuer Einträge. Ganz nach dem Motto: nicht-männliche Personen sind ja mitgemeint. “Aber die Software weiß das nicht”, sagt Theresa Hannig. Suchmaschinen richten sich nicht nach schwammigen Konnotationen, auf die man sich gesellschaftlich irgendwann mal so halb geeinigt hat – und die vollkommen zu Recht zunehmend in der Kritik stehen. Suchmaschinen arbeiten nur mit dem, was ganz konkret angezeigt wird. Und wenn Frauen nur implizit mitgemeint sind, tauchen sie eben auch nicht explizit in den Suchergebnissen auf.
“Suche ich nach Autoren, bekomme ich gemischte Autorenlisten oder Männerlisten. Suche ich nach Autorinnen, bekomme ich nichts”, sagt Hannig. “Da wir als Nutzer diese Programmierlogik der Wikipedia nicht beeinflussen können, kann ich als Zwischenlösung nur raten, die Listen neu zu schreiben.”
Langfristig wünscht sich die Autorin allerdings eine technische Lösung für das Problem. Wikipedia müsse “eine neue Filterkategorie einführen, bei der man nach männlich/weiblich/nicht-binär filtern kann – und dann auch entsprechende Ergebnisse bekommt”. Außerdem solle die Online-Enzyklopädie ihre Relevanzkriterien überdenken, die unterrepräsentierte Gruppen noch unsichtbarer mache.
“Es gibt heutzutage eine Menge Selfpublisher, die erfolgreich sind und qualitativ hochwertig schreiben. Und das alles ohne Verlag und ohne Preise gewonnen zu haben”, sagt Theresa Hannig. “Diese Menschen will die Wikipedia einfach ignorieren. Das ist in meinen Augen wirklichkeitsferner Elitarismus.”
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