Fußball im Busch–Teil 3 von Staigers Afrikatrip mit Marteria, Maeckes und Paul Ripke


Alle Fotos: Daniel Obradovic, Michael Fritz, Paul Ripke und Lucas Gabke

Der Trip ins nächste Dorf wird uns als zweieinhalbstündige Lustfahrt über sanfte Hügel und ausgebaute Straßen verkauft. Es heißt, dass wir um spätestens drei Uhr da sein müssten, weil nach der offiziellen Begrüßung noch ein Fußballspiel stattfinden soll. Was folgt sind fünfeinhalb Stunden Autofahrt durch teils unwegsames Gelände und natürlich sind wir nicht um drei Uhr da. Dafür freut sich der Kameramann über den tollen Sonnenuntergang während des Fußballspiels. So ist das mit den Wegen und Zeiten in Kenia manchmal. Alles ist relativ, dafür ist das Spiel gegen die Mannschaft der Sekundarschule wirklich sehr stimmungsvoll.

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Die Schüler sind allesamt ungefähr halb so groß wie wir und auch nur halb so schwer. Marten Laciny ehemaliger Fußballprofi bei Hansa Rostock und heute unter dem Rappernamen Marteria bekannt, ist das gleichgültig. Bei Fußball hört der Spaß auf und auch die Freundschaft. Da kennt Marteria nichts. Fußball ist zwar vielleicht ein Spiel, in seiner Welt aber eben ein Spiel, das man gewinnen muss und vor allem gewinnen will. Und Gewinnen beginnt im Kopf, beschwört er uns kurz vor dem Anpfiff. Es gibt eine richtige Mannschaftsaufstellung und wer nicht sofort sagen kann, auf welcher Position er normalerweise spielt, der darf gar nicht mitspielen. Einfach so mitkicken geht nicht und deshalb bin ich im Tor. Das ist wie früher zu Schulzeiten. Weil kein anderer im Tor stehen will und ich zu schlecht für alles andere bin, muss ich rein. Außerdem denken die anderen, dass ich keine Angst hätte. Habe ich aber und vor allem habe ich nicht gewusst, dass ein Fußballtor so groß ist. Im Fernsehen sieht das alles anders aus. Und auch der Platz ist viel größer als in Echt.

Wir hängen uns richtig rein. Wir sind zwar sehr viel größer und stärker als unsere Gegner, aber dafür auch nur halb so schnell. Außerdem kennen sie den Platz ganz gut, der eher einem Acker gleicht, und wissen wie der Ball springt. Es ist ein ehrliches Fußballspiel mitten im Busch und gleich der erste Ball, der auf mich zugeflogen kommt, ist ein Tick zu hoch. Ich springe so hoch ich kann, doch es reicht nicht und wahrscheinlich sehe ich auch noch richtig trottelig dabei aus. Ich spüre noch den sanften Luftzug des Leders. Der Ball saust über mich hinweg. Tor! Ich bin geschlagen und ernte mitleidige Blicke meiner Mitspieler und einen sehr erbosten von Marten Laciny, ehemals Fußballprofi bei Hansa Rostock, heute bekannt unter dem Rappernamen Marteria. Fußball ist kein Spaß und danach gebe ich mir richtig Mühe. Diesen Blick will ich nicht nochmal auf mich ziehen und tatsächlich geht es aufwärts. Unsere Mannschaft, die aus Mitarbeitern der Welthungerhilfe und unserer Reisegruppe mit Paul Ripke, Marteria, Maeckes und Michael Fritz von Viva con Agua besteht, kommt immer besser ins Spiel. Trotz allem muss ich noch ein weiteres mal hinter mich greifen, während der Mannschaftsboss den Anschlusstreffer erzielt. Ich halte, was ich halten kann und bin mit dem abschließenden 1 : 2 ganz zufrieden. Ganz anders Marten Laciny, ehemals Fußballprofi bei Hansa Rostock, heute bekannt unter dem Rappernamen Marteria. Er analysiert noch geschlagene anderthalb Stunden das verlorene Spiel und plant schon für die Zukunft. Spieler müssen gekauft werden und wir müssen mehr trainieren. Es geht endlos.

Nach dem Spiel ist die Sonne bereits untergegangen und die meisten der Schüler müssen ziemlich schnell nach Hause. Wir sind noch mit dem Ältestenrat des Dorfes verabredet, die uns in einer Besprechung von ihren Problemen erzählen. Der Fall ist relativ einfach. Das Dorf verfügt bereits über ein Bohrloch, das sehr viel Wasser für die Gegend liefern könnte, wenn nicht das Pumpsystem immer wieder kaputt gehen würde. Zuletzt konnte man sich die kapitalintensiven Reparaturen einfach nicht mehr leisten, weswegen die Menschen nun wieder mit Eseln zum zehn Kilometer entfernten Fluss gehen müssten, um überhaupt an irgendeine Art von Wasser heranzukommen. Der Ältestenrat bitte nun also Viva con Agua und die Welthungerhilfe darum, sie bei der Reparatur der Leitungen zu unterstützen und vielleicht sogar bei der Installation einer neuen, solarbetriebenen Pumpanlage. Die Zahlen, die uns dabei vorgelegt werden, lesen sich allesamt positiv. Sechs Dörfer mit jeweils 500 Menschen könne man auf diese Art mit sauberem Trinkwasser versorgen und bei guter Wirtschaftsplanung könnte die Region bald vollkommen unabhängig sein von fremder Hilfe. Die Sachlage ist schnell klar, trotzdem dauert die Unterredung anderthalb Stunden, was wiederum eine Lektion in Demut bedeutet. Neben dem Vorsitzenden des Water Committees, spricht selbstverständlich auch der Bürgermeister, der Trustee und vor allem auch der lokale Polizeichef, der uns generös und wortreich erklärt, dass wir uns unter seiner Aufsicht sicher fühlen können. Wir danken für die guten Wünsche und wie immer erklärt Michael Fritz, dass er leider nicht zu hundert Prozent versprechen kann, dass es ihm und Viva con Agua gelingt, das notwendige Geld aufzutreiben, aber dass die Chancen gut stehen, weil man hier mit relativ wenig Geld, viel bewirken kann. Nun komme es eben auf die Spender in Deutschland an, aber dahingehend sind wir ja alle sehr positiv eingestellt.

Endlich gibt es Essen. Zwar sind alle Dorfbewohner schon längst weg, trotzdem tauchen Männer und Frauen auf, die für uns ein Mahl zubereiten. Es gibt Ziegeneintopf, Maisbrei, Reis, geröstete Ziegenkeulen vom Grill und sogar Bier. Irgendetwas stimmt hier nicht. Im Vorfeld wurde uns erzählt, dass die Dorfbewohner selbst für uns kochen würden, aber die Menschen, die hier für uns arbeiten sind gar nicht von hier. Sie sind vom Field Team der Welthungerhilfe und reisen uns mit zwei abgedeckten Toyota Jeeps hinterher, auf denen sie das ganze Küchenequipment transportieren. Es ist die Catering-Einheit der Welthungerhilfe, die wie am Filmset die Versorgung der Darsteller sicher stellt. Ich fühle mich betrogen und als ich die anderen darauf anspreche, geht es ihnen nicht anders. Hatten wir ohnehin schon Witze darüber gemacht, dass wir nur Statisten in einem extra für uns inszenierten Schauspiel sind, ist dieses Gefühl nun perfekt. Was ist real, was ist Staffage? Waren die Massais überhaupt echt? Das Fußballspiel? Man muss aufpassen, dass man nicht paranoid wird, denn wie man uns später erklärt, hat das Kenianische Fieldteam der Welthungerhilfe in Absprache mit dem Dorf den Ablauf eben genau so geplant gehabt. Und warum sollte man von einer Dorfgemeinschaft, die ohnehin über kein Wasser verfügt, nun auch noch erwarten, dass sie Essen für uns bereitet? Wird es dadurch authentischer? Können wir bitte mal aufhören in selbtsmitleidigem Schuldbewusstsein zu verharren? Nichts zu essen verändert an der Situation auch nichts. Die Alternative kann nur sein: Essen für alle! Trotzdem schmeckt das Frühstück, nachdem wir die Nacht im Freien verbracht haben, mit Toast, Butter und Marmelade, Tee oder Kaffee ein wenig pappig. Im Hintergrund stehen die ersten Schulkinder am Wassertank des Schulgebäudes und warten auf ihre Ration Trinkwasser. Ich bemerke es. Ich kann nicht anders.

Doch es kommt noch dicker. Nach dem Frühstück führen die Schüler der Sekundarschule ein kleines Theaterstück für uns auf. Sie spielen die typische Ankunft einer Hilfsorganisationsdelegation nach, die ins Dorf kommt, um zu schauen, was mit den Spendengeldern passiert. Sie spielen, wie die Weißen ungeschickt den Begrüßungstanz mittanzen, wie die verschiedenen Würdenträger ihre lobhudeligen Reden halten, wie sich die Weißen herumtragen lassen, wie das alles professionell von einem Kameramann eingefangen wird. Dabei haben sie die improvisierte Kamera aus einem Becher und einem Kamm selbst zusammengebastelt.

Sie spielen nach, wie die lokalen Parlamentspolitiker sich aufplustern und dem weißen Helfer Honig ums Maul schmieren, wie der Übersetzer falsch übersetzt, wie alle vollgefressene dicke Bäuche haben und wie der Parlamentsabgeordnete am Schluss von seinen Trägern fällt und nach Milch und Brot schreit, weil er so hungrig ist. Sie spielen unseren Besuch nach und alle lachen. Es ist so direkt in die Fresse. Es ist gar nicht zum Lachen.

Auf der Heimfahrt, die ebenfalls wieder fünf Stunden dauert, erfahren wir, dass sich das Theaterstück gar nicht so sehr gegen die Entwicklungshelfer gerichtet hat, sondern eher gegen die korrupten Politiker des Landes, die solche Besuche ausnutzen, um sich selbst darzustellen. Denn obwohl auch in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstums von deutlich mehr als 5% für Kenia angenommen wird und es mittlerweile auch so etwas wie einen Mittelstand gibt, kommt bei 60 Prozent der Kenianer kaum etwas vom neuen Reichtum an. Stattdessen kommen die Politiker zu Wahlkampfzeiten in die Dörfer und Slums, halten schöne Reden und stecken sich das Geld in die eigene Tasche. Korruption sei das größte Problem in Kenia erklärt uns ausnahmslos jeder, mit dem wir sprechen. Nicht weiter verwunderlich, in einer Gesellschaft, in der Geld eben alles und der Zugang zu Geld begrenzt ist.

Aber auch wenn wir den Inhalt der Schüler-Parodie etwas überinterpretiert haben, erzählen uns die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Welthungerhilfe, dass es bei den meisten Projektbesuchen tatsächlich so zugeht, wie in dem Theaterstück beschrieben. Die Delegationen der Hilfsorganisationen kommen in Begleitung wichtigtuerischer Politiker in die Dörfer, tanzen unbeholfen mit den Kindern zur Begrüßung, winken ein wenig mit der Hand, streicheln über Kinderköpfe, halten balsamische Reden, lassen sich von den Würdenträgern bauchpinseln und vor allem von der eigenen Videoeinheit filmen. Dann verschwinden sie wieder in ihren Raumschiffen. Aliens auf Durchreise. Belustigt erzählen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass sie schon Besucher betreut hätten, die sich über ihre Unterkünfte beschwert hätten, weil die Hotels im Buschland dem gewohnten Fünf-Sterne-Komfort nicht entsprochen hätten. Sie erzählen, wie die Weißen am Essen herummäkeln oder am Transport oder am Klima oder an der Unorganisiertheit der Afrikaner. Aber das sei halt so. Auch wenn sich die meisten Hilfsorganisationen mittlerweile um eine andere Herangehensweise bemühen und gerade die Welthungerhilfe mit einer großen Kenianischen Belegschaft aufwarten kann, manchmal blitzt dann doch noch der alter paternalistische Geist durch: „So, wir Europäer zeigen Euch Afrikanern jetzt mal, wie man das richtig macht.“ Sie betonen, wie anders diese Projektreise mit uns sei und wie anders wir uns verhalten würden. Weil sie relativ offen sprechen, möchten ich ihnen gerne glauben und auch ich glaube, dass Viva con Agua vieles anders und sehr vieles besser macht. Trotz allem erscheint mir dieses Hilfsorganisationsbusiness so verkrustet und verklebt, dass man einmal mit dem Vorschlaghammer draufhauen müsste, um alles zu zerlegen. Dafür haben wir aber wieder einmal keine Zeit. Der Wahnsinn geht weiter. Die Deutsche Botschaft in Nairobi hat uns zu Ehren des Tags der Deutschen Einheit zum offiziellen Festempfang eingeladen. Die kenianischen Mitarbeiter der Welthungerhilfe sind selbstverständlich nicht mit dabei. Man könnte kotzen.


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