Die Spiele-Entwicklerin Zoe Quinn über Gamergate und Hass im Netz

Einer der Vorboten des Aufstiegs der neuen amerikanischen Rechten, der sogenannten Alt-Right, war eine gigantische und koordinierte Belästigungskampagne im Gewandt einer pseudopolitischen Bewegung: Gamergate. In ihrem Kern überlebte die Gamergate-Bewegung vor allem so lange, weil sie sich ständig neue Ziele zum Trollen und Belästigen suchte – und fand. Die Aktionen fanden online statt, hatten aber ganz reale Folgen. Menschen verloren ihre Jobs, und Frauen wie Videospieleentwicklerin Brianna Wu oder Vloggerin Anita Sarkeesian wurden gestalkt und erhielten Morddrohungen.

Im Zentrum der Gamergate-Belästigungen stand aber vor allem eine Frau: Spieleentwicklerin Zoe Quinn. Ihr Ex-Freund hatte die Bewegung damals als eine Art Rache dafür ins Leben gerufen, dass sie die schwierige Beziehung mit ihm beendet hatte. In ihrem gerade erschienen Buch Crash Override beschreibt Quinn ihre Erfahrungen mit Gamergate und erklärt, welches System hinter dem Anstieg von Belästigung und Hasskampagnen im Netz steckt. Wir haben mit ihr über den Aufstieg der Alt-Right und die Online-Schmierenkampagne gesprochen, die ihr Leben verändert hat.

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Broadly: Du hast zu den Leuten gehört, die schon vor Gamergate gewarnt haben, bevor es sich mit anderen Gruppierungen vermischt und die Alt-Right hervorgebracht hat. Wie war es für dich, das alles mit anzusehen?
Zoe Quinn: Die Belästigungen und der Hass waren nicht das Schlimmste. Viel mehr haben mich die Menschen getroffen, die etwas hätten unternehmen können, es dann aber bewusst nicht getan haben. Sie nahmen es entweder nicht ernst oder dachten sich: “Das legt sich wieder. Besser die Trolle nicht füttern, bla bla bla.” Aber so ist es nicht. Du musst tatsächlich dagegen halten. Das sollte allen bekannt vorkommen, die die Geschehnisse nach der US-Wahl etwas verfolgt haben. Der Mechanismus dahinter ist sehr ähnlich.

Und ja, die meisten dieser Hass-Gruppen wirken, als seien sie total verrückt. Die behaupten irgendwas und die Reaktion der meisten ist dann: “Es stimmt nicht, dass weiße Menschen automatisch allen anderen überlegen sind. Das ist eine absolut bescheuerte Behauptung.” Aber nur weil es bescheuert ist, heißt das nicht, dass es niemanden verletzen kann. Diese ganze “Sonnenlicht ist das beste Desinfektionsmittel”-Einstellung funktioniert in der heutigen Zeit nicht, nach der man nur die Scheinwerfer auf die ganzen grauenvollen Sachen richten muss, damit den Leuten klar wird, dass es schlecht ist und sie die Finger davon lassen. Es ist ja nicht so, als würden sich diese Menschen für das schämen, was sie tun. Sie sind stolz darauf und du machst damit auch noch Werbung für sie.


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Was ist das größte Missverständnis, dass die Leute diesbezüglich haben?
Eine wichtige Sache, die viele nicht verstehen, solange sie nicht selbst zum Ziel geworden sind, ist, dass sich diese Art der Belästigung keineswegs aufs Internet beschränkt. Bei mir ist es bis hin zu Anrufen und physischem Stalking eskaliert. Menschen haben sogar versucht, mich vor meinem Haus abzufangen und zu bedrohen. Für mich hat alles außerdem offline mit einer missbräuchlichen Beziehung begonnen. Als ich es endlich geschafft hatte, von ihm loszukommen, hat er das Internet für seine Rache benutzt. Das passiert heutzutage vielen Opfern von häuslicher Gewalt.

Diese Grenzziehung zwischen Online- und Offline-Belästigung ergibt immer weniger Sinn, da wir uns ständig weiter vernetzen und mehr und mehr Menschen anfangen, ihr Leben online zu leben. Ich bin ein etwas komischer Fall, weil ich Spieleentwicklerin bin und es keine echte Offline-Version von dem gibt, was ich tue. Es geschieht also an meinem Arbeitsplatz.

“Wenn du ins Visier gerätst, weißt du nicht, ob es jemand ist, der dich nur ärgern will, oder jemand, der das alles richtig ernst meint.”

Mir kommt es vor, als hätten wir die gesunde Skepsis vergessen, die wir in den 90ern gegenüber dem Internet hatten. Nicht alles, was wir dort lesen oder sehen, entspricht der Wahrheit. Es gibt eine Menge Leute, die absichtlich falsche Informationen über Menschen in Umlauf bringen, um ihre Karrieren zu ruinieren. Unglaublich viele Arbeitgeber googeln dich, bevor sie dich zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Wenn du keine besonders starke Internetpräsenz hast, dann taucht vielleicht nur der Kram von den Leuten auf, die dir dein Leben versauen wollen. Die Arbeitgeber wissen in der Regel nicht genug, um das zu hinterfragen. Und selbst wenn sie das tun, gib es wahrscheinlich genug andere Bewerber, die keine unangenehmen Suchergebnisse haben.

Es gibt viele Fälle, in denen das bis zur physischen Gewalt im realen Leben eskaliert ist, besonders, wenn wir die Amokläufer Elliot Rodger und Dylann Roof berücksichtigen. Sie hatten jeweils eine entsprechenden Online-Präsenz. Wenn du ins Visier gerätst, weißt du nicht, ob es jemand ist, der dich nur ärgern will, oder jemand, der das alles richtig ernst meint.

Quinn, zweite von links, 2016 beim Panel “How Women-in-Games Initivatives Make a Difference” | Foto: Official GDC | Flickr | CC BY 2.0

Crash Override ist nicht nur der Titel deines Buchs, du h ast auch eine Anlaufstelle für Opfer von Online-Belästigungen gegründet. Was hat dich dazu bewegt?
Als sie angefangen haben, mich ins Visier zu nehmen, habe ich die Kanäle ausfindig gemacht, über die sie ihre Angriffe koordinierten. Sehr lange habe ich da nur still alles aufgezeichnet was abging, weil sie sehr schnell anfingen, andere Leute ins Auge zu fassen, die sie irgendwie mit mir in Verbindung brachten. Sie griffen Menschen an, weil sie tatsächlich oder imaginär mit mir in Kontakt standen. Ich bekam mit, wenn sie anfingen, jemanden unter die Lupe zu nehmen, und habe dann versucht, ihnen zuvorzukommen und die entsprechende Person zu warnen. Das ging sehr lange so und nachdem ich mit anderen Menschen gesprochen hatte, denen es ähnlich ergangen war, habe ich mich entschieden, die Sache formeller anzugehen und auch für Menschen zu öffnen, die wegen anderen Sachen als Gamergate attackiert wurden.

“Gamergate war ein persönlicher Racheakt gegen mich und nicht, dass irgendwelche Fremden einen Ideologiekrieg untereinander ausgetragen haben.”

Als die Sache mit mir passierte und dermaßen groß und öffentlich wurde, haben sich viele an mich gewandt und gesagt: “Ich habe das Gefühl, du bist die Einzige, die versteht, was ich durchgemacht habe.” Und dann erzählten sie mir ihre Geschichten. Es war ganz klar, dass mein Fall nichts Neues oder Besonderes war. Das war mir auf gewisse Weise schon vorher bewusst, aber wenn du mit Menschen sprichst und ihre Geschichten hörst, dann fühlt es sich viel echter an. Statt nur zu hoffen, dass sich die Dinge ändern, habe ich also eine Institution ins Leben gerufen, die genau das anbietet, was ich mir damals gewünscht habe.

Welche Langzeitfolgen hatten die Gamergate-Belästigungen für dich persönlich?
Es ist schon etwas absurd. Es ist nicht so, als wäre Gamergate die einzige schlimme Sache gewesen, die mir je passiert ist. Ich war bereits obdachlos, hatte eine stark von Missbrauch geprägte Kindheit und musste andere Dinge durchmachen. Aber zumindest habe ich bei all diesen Sachen das Gefühl, dass ich sie verarbeiten und hinter mir lassen konnte. Die gehören der Vergangenheit an. Menschen wissen nur davon, weil ich es ihnen erzählt habe. Es ist nichts, das jeden Moment droht, wieder Thema zu werden – abgesehen von PTBS oder anderen kognitiven Auswirkungen.

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Von meinem Ex-Freund werde ich jetzt aber faktisch nie loskommen. Gamergate wird für mich immer etwas anderes sein als für alle anderen. Gamergate war ein persönlicher Racheakt gegen mich und nicht, dass irgendwelche Fremden einen Ideologiekrieg untereinander ausgetragen haben oder irgendein Sonderling versucht hat, sich einen Namen zu machen. Das war jemand, mit dem ich in einer Beziehung war, und der das alles nur gemacht hat, um sich an mir zu rächen. Das ist einfach nur unfassbar kaputt.

Eine Sache, die meine Freunde damals zu mir gesagt haben, war: “Warum passiert das gerade dir? Du bist so ein harmloser, liebenswerter Nerd. Das ergibt keinen Sinn.” Ich bin so eine Art Comedian. Die Tatsache, dass sich all das um mich gedreht hat, als wäre ich eine politische Figur, obwohl das letzte Spiel, das ich veröffentlicht hatte, ein Waiting for Gadot-Ladebildschirm-Witz war, ist einfach so absurd. Es ist alles so unfassbar absurd.

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