Fische sind Freunde, kein Futter – so viel steht fest. Fische können aber auch so viel mehr sein: Welpenfressende Killer zum Beispiel. Oder das Sternzeichen von Rihanna. Oder die Grundlage für ein eher einfach gestricktes Pokémon wie Karpador. Oder ein preisliches Mysterium für Scooter. Und dann gibt es da noch jene Fische, die in Gestalt einer funkelnden Kinderbuch-Legende daherkommen: Regenbogenfisch, du glitzernde Geilheit. Danke für alles.
Der Regenbogenfisch vom Schweizer Autor Marcus Pfister erschien 1992 im NordSüd Verlag – sein erstes Buch Die müde Eule gefiel dem Verlag damals so gut, dass sie “etwas Ähnliches” verlangten, woraufhin die Eule einfach einmal quer gelegt wurde und daraus den Fisch gebar. Der Regenbogenfisch sollte schließlich in so gut wie jedem Kindergarten dieser Welt landen und über 30 Millionen Exemplare in mehr als 50 verschiedenen Sprachen verkaufen. 2016 las sogar Michelle Obama im Weißen Haus aus dem Buch vor, dieses Jahr feiert er seinen 25-jährigen Geburtstag. Wenn ihr also dachtet, der dickste Fisch im Showgeschäft wäre ein kleiner Depp namens Nemo, dann habt ihr eure Rechnung ohne diesen Regenbogenfisch gemacht.
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Kinderbuch-Dimensionen hat sein Einfluss jedenfalls längst gesprengt – neben eigenen Leggings, die seiner Optik nachempfunden sind, gibt es gefühlte tausend YouTube-Tutorials, in denen gezeigt wird, wie man sich richtige Regenbogenfisch-Fingernägel lackiert oder das passende Regenbogenfisch-Make-up auflegt. Ganz zu schweigen von allseits beliebten Halloween-Kostümen wie “Regenbogenfisch” oder “Sexy Regenbogenfisch“.
Zur Erinnerung: “Er ist der schönste Fisch im Ozean und sein Schuppenkleid schimmert in allen Farben. Nur zu gerne hätten die anderen Fische auch eine Glitzerschuppe.” Der Regenbogenfisch ist jedoch ein egoistischer Owezahra und möchte partout nichts von seiner Schönheit abgeben, womit er sich bei seinen “Freunden” (?) ziemlich unbeliebt macht. Erst, als er infolgedessen quasi depressiv wird und seine schimmernden Schuppen widerwillig auf die anderen Fische aufteilt, wird er wieder gemocht. Ende.
Es ist eine Geschichte, die Kindern die Freude am Teilen lehren soll. Und sie erfüllt ja auch ihren Zweck – Kindergartenkinder auf der ganzen Welt verstehen das Prinzip dahinter recht schnell und empfinden es ganz plötzlich als ultimative Erfüllung, ihr angerotztes Jausenbrot in kleine Fetzen zu zerreißen und auf die gesamte Menschheit aufzuteilen. Teilen ist ein irre gutes Gefühl und das nimmt man vom Regenbogenfisch auch mit.
Aber: Aus einer erwachsenen Perspektive betrachtet, in der man gewisse Umstände gerne mal hinterfragt, scheitert die ganze Idee ein bisschen an der Sache mit den Schuppen – wären die begehrten Glitzerschuppen etwa materieller Reichtum oder Essen, dann wäre das eine andere Geschichte. Der Regenbogenfisch aber muss wortwörtlich Teile seines eigenen Körpers aufgeben und sich selbst an andere verschenken, um nicht verstoßen zu werden. Er wird buchstäblich von einem passiv-aggressiven Mob aus missgünstigen Gfrastern dazu gezwungen, sich seine eigenen Schuppen auszureißen, was streng genommen wahrscheinlich als Selbstverstümmelung, wenn nicht sogar Sadismus zu werten ist und so gesehen wohl auch nicht gerade das beste Vorbild für ein gesundes Selbstwertgefühl abgibt – aber ich mein ja nur.
Im Grunde genommen ist der Regenbogenfisch also so was wie die Britney Spears der Unterwasserwelt: Alle wollen ein Stück von ihm. Und sie werden ihn verabscheuen – und werden ihn dies spüren lassen –, solange er nicht jedem einzelnen von ihnen einen Teil von sich selbst schenkt. Eine einzige Glitzerschuppe darf er sich am Ende selbst behalten – symbolisch, für das letzte bisschen Würde, das ihm noch bleibt. Dies ist mein Leib, der für euch hingegeben wird.
Aber Spaß beiseite: In Wahrheit war die Geschichte vom Regenbogenfisch ohnehin nicht deshalb so beliebt, weil Kinder so gerne teilen – nein, das Besondere am Regenbogenfisch war die Glitzerfolie auf den Seiten des Buchs. Auf die bestand Autor Marcus Pfister seinerzeit, obwohl die aufwendige Heißfolien-Prägetechnik die Produktionskosten des Buchs verdoppelte: “Die Folie macht die Gefühle des Regenbogenfisches erst plausibel. Irgendeine farbige Schuppe wegzugeben ist nichts Besonderes.” Die Glitzerschuppen des Regenbogenfischs, die also tatsächlich glitzerten, mache ich bis heute verantwortlich für meine ausgeprägte Vorliebe für alles, wirklich alles, was auch nur ansatzweise holographisch glitzert und/oder glänzt.
Und dieser glitzrige Look ist es auch, der den Regenbogenfisch irgendwie schwul anmuten lässt. Immerhin wurde uns Kindern permanent eingetrichtert, dass die Farbe Rosa, generell Puppen oder eben glitzernde Sachen ausschließlich Mädchen vorbehalten ist. Es wäre einfach gewesen, dem Regenbogenfisch eine weibliche Persönlichkeit auf den Leib zu schreiben – aber er war ein Junge. Einer, der glitzerte.
In Wahrheit wirken viele Zeichentrick-Charaktere aus unserer Kindheit rückblickend betrachtet irgendwie queer. Mal ehrlich: Scar aus Der König der Löwen? Turboschwul. Sailor Uranus und Sailor Neptun aus Sailor Moon? Glasklare Lesben. Das kleine Ich-bin-ich? Wahrscheinlich intersexuell, zumindest unsicher. Es fällt einem wie Glitzerschuppen von den Augen: Der Regenbogenfisch – Gay Icon!
Zu seinem 25. Geburtstag geht der Regenbogenfisch auf seinem Instagram-Profil auf Weltreise und ist darüberhinaus auch noch drauf und dran, die neue Festival-Helga zu werden: Eine junge Frau, die meine Liebe für Glitzerfolie zu teilen scheint und die Facebook-URL /regenbogenfisch bekleidet, hat es sich nämlich zur Aufgabe gemacht, den Regenbogenfisch-Spirit als Konzertbesucher-Tradition zu etablieren: In liebevoller Kleinarbeit werden zuerst Broschen gebastelt, die an die Glitzerschuppen des Regenbogenfischs erinnern sollen, und dann auf Festivals an willkürlich ausgewählte Menschen verschenkt. “Dann sage ich: ‘Damit gehörst du offiziell zur Regenbogenfisch-Gang. Das heißt, du musst die Schuppe jeden Tag des Festivals tragen und jeden umarmen, der auch eine Schuppe trägt’”, so die selbsternannte Rudel-Chefin gegenüber VICE.
Lieber Regenbogenfisch, du Jesus der Kinderbücher, du mystische Kreatur der Tiefsee, du Glitzerfolien-Avantgardist, du legendäre Stilikone und schwule Galionsfigur, die du im tiefen Ozean meines Herzens wohnst: Du hast mir beigebracht, wie man teilt. Du hast mir beigebracht, dass Teilen ein gutes Gefühl im Bauch macht. Und du hast mir beigebracht, dass ich schimmern darf. Ein bisschen weiß ich aber auch von dir, dass man sich in Wahrheit nichts ausreißen sollte, um von anderen gemocht zu werden. Generell muss man eigentlich nicht gemocht werden. Von niemandem. Denn nicht alles, was glänzt, ist Gold. Aber alles, was irgendwie holographisch glitzert, ist saugeil.
Franz auf Twitter: @FranzLicht