Es ist eine gute alte Tradition in deutschsprachigen Musikmedien alle paar Jahre eine neue, Neue Deutsche Welle auszurufen. Angefangen hat alles natürlich mit der echten NDW, deren Erfolge bis heute kaum getoppt und noch immer schwer beeindruckend sind. Ich sage nur Nena. Aber zurück ins Jahr 2014:
Da wir Traditionen natürlich in unser zeitgeistigen Generation-Y-Ambivalenz gleichzeitig verdammen und uns trotzdem davon nicht lösen können, beschäftigen wir uns heute mit der nächsten neuen Neuen Deutschen Welle. Und weil das so bescheuert klingt und überhaupt der wahre Auslöser für diesen Artikel ein paar erstaunliche deutschsprachige Musiker sind und nicht irgendwelche Traditionen, bedienen wir uns in der Bezeichnung lieber gleich bei Lary, die in drei Wochen ihr Album mit dem genial programmatischen Titel Future Deutsche Welle veröffentlichen wird. In der Tat, wir sehen eine Future Deutsche Welle (FDW) auf uns zu rollen, die deutschsprachig singt, ohne daraus ein Thema zu machen und für die das Wort „Future“ genaus zum deutschen Wortschatz zählt, wie die Wörter „deutsch“ und „Welle“.
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Ergo: Future Deutsche Welle ist die neue neue deutsche Welle und diese Musiker könnten ihren Sound prägen:
Lary
Lary ist nicht nur die Namensgeberin der FDW, sondern auch herausragende Akteurin. Ihr Debütalbum ist wirklich stark—hier stimmt einfach verdammt viel. Die Songs, deren musikalische Komposition—auch wenn es sich hier definitiv nicht um HipHop handelt—müssen als Beats bezeichnet werden, so viel drückende Kraft entwickeln sie. Von düster zu happy changierend, Melodie und Bass, weit über die deutschen Grenzen hinaus konkurrenzfähig. Lary ist die deutsche Banks, die deutsche FKA twigs. Fast ein wenig traurig, dass man weiß, dass die deutschen Texte einer internationalen Karriere unweigerlich im Weg stehen werden.
Andererseits erreicht sie damit eine Tiefe, die eine in Ruhrgebiet aufgewachsene Deutsche in der Form auf Englisch vermutlich einfach nicht hätte erreichen können. Und das ist sehr viel Wert. Wie auch die Beats, interpretieren die Texte den Titel Future—Lary singt, wie junge, hippe Menschen 2014 zwischen Berlin, New York und Düsseldorf sprechen und spiegelt damit die Vielfältigkeit der Beats: Lary ist Großstadt, Dorf, Ironie, Ernsthaftigkeit, Verlorenheit, Selbstbewusstsein. Und frech und witzig und sowas von morgen, dass wir ihr alles zutrauen. Auch einen Hit in den USA wie Nena damals. Da ist die Unterscheidung zwischen deutsch, englisch, spanisch oder whatever halt auch einfach egal, wir sprechen doch eh irgendwie alles und sowas Kleingeistiges wie Heimat ist sowas von 2007.
Hören: „System“, „Allein“, „Outro“
Album: Future Deutsche Welle, Chimperator Department (Sony), 12.09.2014
Mine
Foto © Simon Hegenberg
Die Mainzerin Mine bietet den größtmöglichen Gegensatz zu Lary und passt exakt deshalb so perfekt in diesen Artikel. Denn genau das ist ja der springende Punkt an dieser Generation—dass sie so vielfältig ist, dass man sie kaum fassen kann. Mines Musik klingt nicht nach Banks und FKA twigs, sondern eher nach Woodkid oder Florence and the Machine. Mine ist Musik für Menschen, die Märchen und Fantasy lieben—klar, Märchen sind total unrealistisch, brutal und irre, aber wenn sie entführen dich in eine Parallelwelt voller Wunder und Zauberei. Und am Ende gewinnt immer das Gute. Wenn Lary das moderne Großstadtleben repräsentiert, verkörpert Mine eine eskapistische Traumwelt.
Musikalisch bietet sie eine auf klassischen Instrumenten basierende Achterbahnfahrt zwischen Mini- und Maximalismus. Harfen, Glockenspiel, Klavier, Pauken, Chöre und die Kraft der Bläser spiegeln die Stimme, die mal sanft flüstert und mal eine beeindruckende Kraft entwickelt. Mine bastelt keine Beats, Mine orchestriert. Dieses Debütalbum ist eine Herausforderung, die mit Sicherheit nicht jedem gefällt, denn gefällig ist wirklich das Letzte, was einem dazu einfällt. Aber wenn dich der Zauber erstmal in den Bann gezogen hat, wird er dich so schnell nicht wieder loslassen.
Hören: „Du scheinst“, „Der Mond lacht“
Album: Mine, 02.10.2014
Teesy
„Teesy ist ganz nett, aber ein bisschen zu cheesy.“ Wie oft ich diesen Satz in letzter Zeit im Gespräch mit Freunden und Bekannten gehört habe… eventuell habe ich ihn sogar selbst schon verwendet. Es liegt bei diesem Namen aber auch einfach zu nahe. Und natürlich ist da was dran. Teesy veröffentlicht sein Album Glücksrezepte bei Chimperator und hat schnell den Ruf verpasst bekommen, so etwas wie der Cro des deutschsprachigen R’n’B zu sein. Festhalten kann man auf jeden Fall, dass der Junge seine Stimme beherrscht. Teesy möchte ein wenig der deutsche Justin Timberlake sein und vielleicht ist das genau die Nische, die hierzulande bisher unbesetzt ist: Ein junger smarter Typ, der gut aussieht, einen Anzug tragen kann, Emotionen zeigt und singen kann. Fehlt eigentlich nur noch, dass der Junge Choreos tanzt.
Inhaltlich wird auf Glücksrezepte, ganz wie es sich für die FDW gehört, das aktuelle Großstadtleben der Generation Y bearbeitet, besonders deutlich wird das im Megaloh-Feature „Generation Maybe“. Wenn man Teesy einen Vorwurf machen will, dann am ehesten eben den der Gefälligkeit, den sein Labelbruder Cro auch andauernd hört. Aber was heißt schon Gefälligkeit, Teesy will ein breites Publikum ansprechen und Pop zeichnete sich noch nie durch übertriebene Ecken und Kanten aus. Also bitte.
Hören: „Generation Maybe“, „Rom & Paris“
Album: Glücksrezepte, Chimperator, 29.08.2014
LOT
Auch LOT hat seinen Hafen bei Chimperator gefunden, was auf den ersten Eindruck etwas überraschen mag. Denn der Leipziger hat definitiv Ecken und Kanten—eine Featuretrack mit Cro ist einigermaßen unvorstellbar. Aber vielleicht ist gerade das der Punkt, der das Projekt Chimperator X LOT erst richtig interessant macht.
Hinter dem kurzen Künstlernamen verbirgt sich Lothar Robert Hansen, in Berlin geborener Sohn einer türkischen Mutter und eines deutschen Vaters. Seit dem sechsten Lebensjahr spielt Lothar Klavier, seit er 15 Jahre alt war, schreibt er eigene Songs. Ein Album steht bei LOT noch in den Sternen, aber seine drei bei Soundcloud veröffentlichten Songs machen neugierig. Am meisten Aufmerksamkeit dürfte bis dato allerdings das Video zu seinem ersten kleinen Hit „Du führst Krieg“ erregt haben. Ein Song, der leichte Disco Punk-Avancen zeigt und sich dann zu einem astreinen Popsong voller Melodie und Inhalt aufschwingt. Da geht was.
Hören: „Du führst Krieg“, „Warum sollte sich das ändern“
EP: Warum soll sich das ändern, 12.09.2014
Golf
Diese Band ist ein großes Geheimnis und macht ein großes Geheimnis um sich selbst. Wir wissen nur, dass Golf aus vier Jungs besteht und aus Köln kommt. Auf die für diesen Sommer angekündigte EP warten wir noch, genauso auf einen möglichen zweiten Song. Wir kennen nämlich nur einen einzigen, der folgerichtig „Geheimnis“ heißt und so gut ist, dass Golf jetzt hier in diesem Artikel auftauchen. Seid ihr Teil der Future Deutschen Welle, Golf? Oder dauert es bis zum ersten Album noch so lange, dass ihr schon die nächste future FDW seid? Wir erwarten was von euch, ja?
Hören: „Geheimnis“ (gibt ja nur das)
Album: —
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