Zwei Männer posieren mit einer USA-Flagge, sie sind Teil einer ROllenspieler-Community in Polen, die sich als ganz normale Amerikaner verkleidet
Foto: Maciej Margielski
Menschen

Warum sich diese Polen als arme US-Amerikaner verkleiden

Auch für Rollenspieler ist es ungewöhnlich, Einwohner Ohios zu spielen, die den 4. Juli feiern.

Sein Geld verdient Bartosz Bruski als IT-Forensiker, aber seine Freizeit verbringt er auf einem typisch amerikanischen Trailerpark – mitten in Polen. Mit rund 60 anderen Menschen tut er dort so, als wäre er ein ganz normaler Amerikaner aus Ohio.

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Bruski, 29, ist Teil der polnischen LARP-Community. LARP steht für Live Action Role Play, also Rollenspiele. Wahrscheinlich hast du dabei Leute vor Augen, die in selbstgebastelten Rüstungen Schlachten aus dem Mittelalter nachspielen oder gegen imaginäre Drachen und Zauberer kämpfen. Bruski und seine LARP-Gruppe spielen lieber stinknormale Amerikaner rund um den 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag. Weniger aufwendig ist das allerdings nicht, ganz im Gegenteil.


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Für ihr Setting verwandeln die Rollenspieler ein polnisches Ferienresort in einen amerikanischen Trailerpark, in dem Dutzende Teilnehmerinnen und Teilnehmer 28 Stunden lang in ihren ausgedachten Familien in einem Trailer ihre Rollen spielen.

Als Bruskis LARPing-Crew Ende Mai viral ging, waren vor allem Amerikaner erstaunt, wie liebevoll und detailversessen die Rollenspieler etwas so vermeintlich Banales dargestellt haben. "Als jemand, der selbst in Ohio aufgewachsen ist? Nicht schlecht", schrieb einer. "Extrapunkte für das Browns-Trikot."

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VICE hat Bruski in einem Warschauer Bistro getroffen und mit ihm über das ungewöhnliche Projekt gesprochen.

VICE: Wie würdest du LARP jemandem erklären, der noch nie davon gehört hat?
Bartosz Bruski:
Es ist ein Rollenspiel, in dem die Teilnehmer die Rolle einer Figur in einer geschlossenen Fantasiewelt übernehmen. Im Laufe des Spiels erzählen sie anhand vorher festgelegter Regeln gemeinsam eine Geschichte. 

Wie seid ihr darauf gekommen, eure Geschichte in Ohio spielen zu lassen?
Das begann vor etwa fünf Jahren mit ein paar Freunden. Wir wollten ein LARP in der Richtung von Stranger Things und Akte X machen – also eine amerikanische Kleinstadt erschaffen, in der sonderbare Dinge vorgehen und in der deswegen Männer in schwarzen Anzügen auftauchen. Wir haben uns dann auf der Suche nach der perfekten Kleinstadt am Rand eines unheimlichen Waldes mehrere Ferienresorts in Polen angeschaut.

Im Verwaltungsbezirk Lodz, in der Nähe von Tomaszów Mazowiecki, sind wir fündig geworden. Einer von uns sagte dann, es sei zwar nicht wirklich der Ort, nach dem wir gesucht haben, aber wenn wir es ein bisschen umbauen würden, könnte es wie ein amerikanischer Trailerpark aussehen. Beim nächsten Projektmeeting haben wir dann nicht mehr über Stranger Things und Akte X gesprochen, sondern über amerikanische Trailerparks. So fing alles an.

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Menschen stehen mit Bierflaschen in einem Garten, in dem Amerikaflaggen an der Wäscheleine hängen

Foto: Maciej Margielski

Wie habt ihr euch über den amerikanischen Alltag informiert?
Was die Produktion angeht, also das Aussehen, die Kostüme und die Kulissen, haben wir vor allem im Internet recherchiert und unsere Kreativität spielen lassen. Dazu haben wir Begriffe wie "4th of July" bei Google eingegeben. Aber abgesehen von schönem Feuerwerk und Kostümen gab es auch eine 700 Seiten umfassende Handlung für die Figuren und das ganze Szenario. Da haben wir öfter mit Filmen als Quellen gearbeitet wie Hillbilly-Elegie, Nomadland und Three Billboards Outside Ebbing, Missouri. Außerdem mit Büchern. Ich habe zum Beispiel Diese Wahrheiten: Eine Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika gelesen, ein tolles Buch, das einem das Land aus einer anderen Perspektive zeigt.

Wir sind mit diesem Bild von den USA als einem Land aufgewachsen, in dem Milch und Honig fließen. Wenn du älter wirst und mehr mitbekommst, merkst du bald, dass es in den Staaten nicht so schön ist. Der kaputte amerikanische Traum ist das Leitthema unseres Projekts geworden.

Ein Mann mit Bart und eine Frau mit einer Shotgun sitzen auf dem Rücksitz eines Autos, Szene eines LARPings

Foto: Maciej Margielski

Wer gehört alles zur Crew?
Sechs von uns stecken die meiste Arbeit in dieses Spiel. Das sind ich, Pawel und Ewa, die vor allem für das Design verantwortlich waren, Kuba und Ania, die sich um die Produktion gekümmert haben, und Meg, die dafür gesorgt hat, dass der Ort zum gastronomischen und sozialen Zentrum des Lebens wird. Wir haben außerdem ein ganzes Team von Autorinnen und Autoren und ein paar Leute, die für uns verschiedene Figuren geschrieben haben.

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Vor dem Spiel fahren wir zum Resort und verwandeln es in einen Trailerpark. Während des Spiels sind etwa ein Dutzend Menschen verantwortlich für die Technik, die Vorbereitung der Kulissen, Requisiten, Feuerwerk und so weiter –  sie spielen auch verschiedene Nebenrollen. Es sind wirklich viele Leute daran beteiligt. Über alle LARPing-Events hinweg haben bestimmt um die 200 Menschen mitgemacht. Ein paar Dutzend sind seit fünf Jahren dabei.

Menschen in einem Wald, einer zielt mit einer Pistole

Foto: Piotr Muller

Hast du die Reaktionen von echten US-Amerikanern im Internet gesehen?
Das ging einen Tag vor den Vorbereitungen der dritten Runde viral. Wir waren bereits sehr mit der Produktion des nächsten Spiels beschäftigt und bauten die Kulissen auf und hatten nicht viel Zeit, den Leuten zurückzuschreiben oder irgendwie darauf zu reagieren. Aber es hat uns Energie für die Produktion des nächsten Projekts gegeben. 

Welche Kommentare sind besonders bei dir hängengeblieben?
Amerikaner achten häufig auf dieselben Dinge. Sie sagen immer, dass wir nicht genug alte Autos haben, nicht genug Müll, dass die BBQs zu klein sind und die Leute zu sauber, zu dünn und zu hübsch – ihre Worte, nicht meine. Sie sprechen auch die fehlende ethnische Diversität an. Ein paar Leute wollten uns sogar Pakete aus den USA schicken, zum Beispiel die berühmten roten Becher, damit es noch originalgetreuer ist.

Zwei Männer im Dunkeln in einer Wohnwagenküche mit verschiedenen Messbechern und einem Topf, LARPing-Szene

Foto: Piotr Muller

Ihr behandelt auch andere problematische Aspekte der USA wie die Meth-Herstellung.
Ja, wir haben die beiden universellen Themen Armut und Arbeitslosigkeit und sehr US-spezifische Themen wie die absurden Kosten für Krankenversicherungen oder die Probleme, die durch den leichten Zugang zu Waffen entstehen. Unser Spiel beschäftigt sich auch mit Verbrechen und wir haben ein Drogen-Leitmotiv wie in Breaking Bad.

Wie reagieren die Menschen in Polen auf LARPing?
Sie verbinden das häufig mit Fantasywelten, mit Menschen, die sich wie Fantasyfiguren verkleiden und irgendwo auf einem Feld miteinander spielen. Das ist ein Zweig unseres Hobbys, der sich leicht ins Lächerliche ziehen lässt. So nach dem Motto: Das sind ein paar verkleidete Spinner, die durch den Wald rennen.

Ich würde LARPing mit dem Kino vergleichen. Es ist ein sehr universelles Medium. Es gibt vielleicht nicht den einen Film für alle, aber es gibt für jeden einen Film. Das lässt sich meiner Meinung nach auch über LARPs sagen: Es gibt nicht das eine für alle, aber für jeden ein LARP – egal, aus welcher Szene wir kommen, welches Alter wir haben oder was auch immer. Als Kinder LARPen wir alle. Wir spielen Räuber und Gendarm. Mit dem Älterwerden bedienen wir dieses Bedürfnis nach Rollenspielen nur weniger.

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