Politik

Ich habe Alma Zadić getroffen, um meinen Hass auf Österreich zu überwinden

Alma Zadić ist die erste Ministerin mit Migrationshintergrund.
Österreichs Justizministerin Alma Zadić im Interview
Foto: Ina Aydogan

13:57 Uhr, ich bin zu spät. Ich habe den Security-Check und die Ausweiskontrolle nicht bedacht, die es nun braucht, um Alma Zadić zu treffen. Als wir uns das letzte Mal sahen, war das anders, da saßen wir noch gemütlich in einem Café, ungestört. Um 14:03 Uhr klingelt mein Telefon, die Pressesprecherin der österreichischen Justizministerin, mit "Schon im Lift!" hebe ich ab, und dabei habe ich eh nur 45 Minuten Zeit für das Interview. "Aber", beruhige ich mich selbst. "Sie ist in Bosnien geboren. Sie wird mir das sicher nicht übelnehmen."

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Wir umarmen uns herzlich. Schön, sie zu sehen. Ich kenne ihr Büro von Pressefotos, ich bin trotzdem beeindruckt. Der Diamanten-Luster, die hohen Holzwände, die goldenen, dicken Vorhänge, alles so offiziell.


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Bosnisch-Deutsch, Deutsch-Bosnisch: Wir wechseln Sprachen schneller als FPÖ-Politiker Ibiza sagen können. Das passiert ganz natürlich, so wie mit Freundinnen, alle Ex-Jugos. Als ein Mitarbeiter Wasser bringt, bedankt Zadić sich auf Bosnisch. Er antwortet auf Burgenlandkroatisch. Zadić ist locker, aber professionell. Sie gestikuliert viel, anders als andere österreichische Politiker sind weder ihre Antworten noch ihre Körperhaltung versteift. Ihr edles Büro schafft Distanz, ihre Herzlichkeit Nähe.

Im vergangenen Juli schrieb Zadić mir eine Nachricht auf Twitter. Sie wollte mit mir reden, wegen einer Kolumne, die ich geschrieben hatte: "Warum ich Österreich hasse". Von rechts hatte ich dafür einen ordentlichen Shitstorm abbekommen. Alma Zadić aber hat der provokante Titel nicht abgeschreckt, sie wollte sich mit mir austauschen. Wir verabredeten uns in einem Café im 15. Bezirk, in dem die ex-jugoslawische Diaspora zu Hause ist. Damals war sie gerade frisch von der Jetzt – Liste Pilz zu den Grünen gewechselt.

Ein paar Monate später sitze ich ihr hier im Justizministerium gegenüber.

Justizministerin Alma Zadić in ihrem Büro

Alma Zadić ist die erste Ministerin, die nicht in Österreich geboren ist. Alle Fotos von Ina Aydogan

"Hoffnungsschimmer", sagen meine bosnischen Freundinnen aus Wien. "Vom Flüchtlingskind zur Justizministerin", schreibt der Standard. Alma Zadić ist die erste Ministerin, die nicht in Österreich geboren wurde. Medien betiteln sie als erste Ministerin mit Fluchtgeschichte; überhaupt geht es sehr viel um ihre Kriegserfahrung. Sie erlebt zwei Jahre Bosnienkrieg, dann flüchten ihre Familie und sie nach Österreich. Sie wächst mit dem Aufstieg des rechtspopulistischen Politikers Jörg Haider auf; und somit auch mit der Angst, dass ihre Familie und sie abgeschoben werden könnten. Sie erlebt Rassismus, unter anderem in der Straßenbahn. Mit 13 fragte sie den Straßenbahnfahrer nach dem Weg, der antwortete: "Ihr Tschuschen geht nirgendwo."

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"Tschusch" – das ist eine Beleidigung, die sich vor allem gegen Menschen aus Ex-Jugoslawien richtet. Auch mich hat man früher so genannt.

Zunächst besucht Zadić eine Schule in Wien, in der sie das einzige Ausländerkind war, das nicht Deutsch gesprochen hat, wie sie in einem Interview sagt. Dann zieht sie in den 15. Bezirk, wechselt in eine Schule mit deutlich höherem Ausländeranteil und bekommt dort die Deutschförderung, die sie braucht. Sie ist schon als Kind ehrgeizig: Ihre ehemalige Deutschlehrerin sagt in einem ORF-Beitrag, dass sie Herausforderungen immer angenommen hat.

Zum ersten Mal fühle ich mich von einer Politikerin in der Regierung wirklich repräsentiert. Alma Zadić ist für mich ein Lichtblick in Österreichs Politik. Ich höre mir Interviews mit ihr gerne an, weil wir uns ähnlich anhören, wenn wir Deutsch sprechen. Wie sehr darf ich mich als Journalistin mit einer Ministerin gemein machen? Das ist die eine Frage. Die andere lautet: Was macht es mit mir als Wählerin, wenn ich tatsächlich jemanden wählen kann, von dem ich mich repräsentiert fühle? Und wenn diese Person dann tatsächlich an die Macht kommt, ausgerechnet hier in Österreich, dem Land der Ibiza-Affäre und Ultrakonservativen?

Für dieses Interview habe ich mich entschieden, die zweite Frage schwerer zu gewichten als die erste. Heute bin ich vor allem eines: eine der österreichischen Wählerinnen, die die rechten Parteien gern vergessen – eine Wählerin mit Migrationshintergrund.

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Ich wechsle von Du auf Sie. Ich versuche, Distanz zu wahren, wo keine ist.

Sind Sie eher Österreicherin oder Bosnierin?

"Das werde ich oft gefragt. Ich bin sowohl Österreicherin als auch Bosnierin und Europäerin."

Was an Ihnen ist Bosnisch?

"Gute Frage. Ich rede viel mit meinen Händen und werde durchaus emotional."

Kennen Sie die Identitätskrise, die viele Kinder mit Migrationshintergrund durchmachen?

"Ja! Wenn ich früher nach Tuzla gefahren bin, hat es immer geheißen: 'Du bist keine richtige Bosnierin.' Weil ich ja in Österreich lebe. Aber auch in Österreich bin ich bestimmten Menschen begegnet, die meinten, 'Tschuschen' hätten hier nichts verloren."

Alexandra Stanić und Alma Zadić im Gespräch

Zum ersten Mal fühle ich mich von einer österreichischen Ministerin repräsentiert

Dabei hat Alma Zadić alles "richtig" gemacht. Sie legte eine Überfliegerin-Karriere hin. Nach ihrem Studium der Rechtswissenschaften in Wien absolviert Zadić unter anderem ein Praktikum beim Internationalen Tribunal für Kriegsverbrechen aus Ex-Jugoslawien in Den Haag und arbeitet vor ihrem Einstieg in die Politik für eine internationale Wirtschaftskanzlei.

Migrantinnen und Migranten werden oft nach Leistung bewertet. Zadić weiß das.

Während ihrer Zeit als Anwältin ist ihr bosnischer Migrationshintergrund kein Thema gewesen. Mit ihrem Einstieg in die Politik liegt der Fokus plötzlich auf ihrem bosnischen Background.

"Ich erinnere mich noch gut, wie eine österreichische Tageszeitung getitelt hat: 'Pilz präsentiert Flüchtling statt Operettensängerin'", sagt Zadić.

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Flüchtling statt Operettensängerin, so reißerisch kennt man das eigentlich nur von Boulevard-Medien. Ich bin Teil dieses Medienrummels. Der Unterschied ist nur, dass sich während unseres Interviews zwei junge Frauen mit bosnischen Wurzeln gegenübersitzen. Kein alteingesessener Politiker, kein Journalist der alten Schule.

"Du sprichst aber besonders gut Deutsch."

"Sie sind ja toll integriert!"

"Sie sehen aber gar nicht österreichisch aus."

Alma Zadić kennt all diese Kommentare. Sie spricht von "Migrationsvordergrund" nicht Migrationshintergrund – weil sie oft auf ihre Herkunft reduziert wird.

2018 sprach sie in einer Rede im Nationalrat über die Sicherheitslage in Österreich und wurde unterbrochen. "Sind nicht in Bosnien", rief der ÖVP-Abgeordnete Johann Rädler dazwischen. "Zwischenrufe dieser Art gab es immer wieder und an diesem Tag hat es mir echt gereicht", erinnert sich Zadić. "Ich war wütend und habe klargestellt, dass meine Herkunft nichts mit der Debatte zu tun hat." Einer ihrer Kollegen, er ist in den Staaten geboren, müsse sich solche Kommentare nicht anhören, sagt sie. Warum dann sie? "Niemand kann mir das Recht absprechen, mich politisch zu äußern. Ich bin Politikerin."

"Woher kommen Sie?" – diese Frage wird ihr oft gestellt. Lange hat sie sich daran gestört. Ich kann die Irritation verstehen. "Ich hatte deswegen das Gefühl, dass ich nicht dazugehöre, so als würde man mir absprechen, dass ich Teil der österreichischen Gesellschaft bin", sagt sie.

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Während eines Aufenthalts in New York lernt sie, dass es in Ordnung ist, mehrere Identitäten zu haben. "Ich kann verstehen, wenn sich jemand für meine Geschichte interessiert." Die Herangehensweise und der Kontext seien ausschlaggebend. "Wenn jemand fragt, woher ich wirklich komme, geht das Gespräch wieder in eine andere Richtung."

Rassismus im Nationalrat, Rassismus im Internet: Ihre Nominierung als Justizministerin bringt Beleidigungen, Drohungen, Anfeindungen mit sich. Eine Kugel sei für sie reserviert, schreibt ein Facebook-User. "Sie gehört ans Kreuz", ein anderer. Die Jugendorganisation der FPÖ empfiehlt Zadić die "Heimreise", sollten ihr Österreichs Werte und Traditionen nicht passen.

Sie wird deswegen 24 Stunden am Tag von Beamten der Cobra-Spezialeinheit bewacht. In der Regel haben nur der Bundeskanzler und der Bundespräsident Personenschutz. Schnell mal alleine einkaufen? Das ist nicht drin. "Daran muss man sich erstmal gewöhnen. Aber ich fühle mich sehr sicher", sagt Zadić. Trotzdem hofft sie, dass die nächste Gefährdungseinschätzung anders ausfällt und der Personenschutz nicht mehr notwendig ist.

Während Alma Zadić für mich ein politischer Lichtblick ist, ist sie für andere ein Hassobjekt.

Sebastian Kurz sagt, als Politikerin müsse man Hass im Netz aushalten. Wie sieht Zadić das?

"Politikerinnen stehen in der Öffentlichkeit, inhaltliche Kritik muss man aushalten. Was niemand aushalten muss, sind rassistische Beschimpfungen. Davon bin nicht nur ich betroffen, es gibt viele Frauen, vor allem junge Frauen, aber auch Menschen mit anderer Hautfarbe oder Religion, die tagtäglich in den sozialen Medien genau aus diesen Gründen beleidigt werden. Dagegen wollen wir vorgehen. Wir planen für 2020 ein Paket gegen Hass im Netz."

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Ob sie mit dem Hass im Netz gerechnet hat?

"Ich habe mit Anfeindungen gerechnet, aber nicht mit Morddrohungen. Der Hass, den ich etwa aufgrund meines Namens erhalten habe, war auch antimuslimisch. Das muss man auch so benennen. Ich will mir nicht ausmalen, was für Hasskampagnen es gegeben hätte, wäre eine gläubige Muslima Justizministerin geworden."

Aber gab es auch Unterstützung, Fanpost?

"Ja, ich war überrascht von der Welle an Solidarität. Ich habe extrem viele positive Meldungen erhalten. Menschen haben im Ministerium angerufen, um zu sagen: Österreich ist nicht so, Österreich steht hinter Ihnen. Das ist wirklich schön."

Alma Zadić im Gespräch

"Hoffnungsschimmer" nennen sie meine bosnischen Freundinnen. "Flüchtlingskind" schreiben Medien

Zadić möchte das Gespräch suchen, um der von Medien kreierten "Wir"-und-"Sie"-Stimmung entgegenzuhalten. Das kann man auch idealistisch nennen. Aber Alma Zadić ist mehr als das. Sie ist ein Vorbild von jungen Menschen mit Migrationshintergrund, diese Funktion wird ihr oft zugeschrieben – und sie geht gut damit um. Ein Besuch in ihrer alten Schule hat sie besonders bewegt. "Es war wirklich besonders zu sehen, wie viel es den Kindern, die meisten von ihnen mit Migrationshintergrund, bedeutet hat zu sehen, dass man in Österreich, auch ohne hier geboren zu sein, Ministerin werden und so mitgestalten kann", sagt sie.

Sie holt Jugendliche da ab, wo sie auch mich abholt. Eine Justizministerin, die ein bisschen so ist wie ich, und damit wie ein großer, politisch oft übersehener oder nur kritisierter Teil der Gesellschaft: Menschen mit Migrationshintergrund. Auch ich wurde als "Tschusch" bezeichnet. Auch ich bin bestens integriert, trotzdem wünschen mir manche Österreicher, dass ich "nach Bosnien abgeschoben" werden solle. Ich wünschte, ich hätte als Teenagerin eine Alma Zadić gehabt, das hätte die vielen Identitätskrisen – die auch sie kennt – leichter gemacht.

Vor ein paar Jahren wäre das noch nicht möglich gewesen. "Wir entwickeln uns als Gesellschaft weiter", sagt Zadić. "In ein paar Jahren ist es dann hoffentlich Normalität, dass auch Menschen, die nicht in Österreich geboren sind, Minister werden können, ohne Drohbriefe zu bekommen."

Und, frage ich, wie erklärt man einem 50-jährigen "Wolfgang" aus Oberösterreich, dass Migration keine Bedrohung ist, so wie es Bundeskanzler Sebastian Kurz suggeriert?

"Ich würde vorschlagen, du und ich fahren nach Oberösterreich und suchen den Kontakt zu einem 'Wolfgang' oder 'Christian', der noch nie jemanden getroffen hat, der nicht in Österreich geboren ist", sagt Alma Zadić. "Es geht darum, mit Menschen zu sprechen und Vorurteile abzubauen."

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