Menschen

Ich wurde von fast jeder Dating-App gesperrt

Wahrscheinlich hat mich jemand, den ich nicht treffen wollte, aus Rache gemeldet. Es ist fast unmöglich, die Sperre wieder aufzuheben.
Jemand
Foto: Steffi Lopez

Baileys Erfahrungen mit Dating-Apps unterschieden sich nicht von denen der meisten User: Sie klickte sich durch Profile und Fotos, matchte mit manchen und ließ sich auf das ein oder andere Gespräch ein. Die meisten führten zu nichts, aber ein paar weckten ihr Interesse. 

Dabei musste die 23-jährige US-Amerikanerin wie viele junge Nutzerinnen der Apps einige aufdringliche Männer abwehren. Einer davon war ein Match auf Bumble, mit dem sie sich anfangs gut verstand. Sie setzten ihr Gespräch über die App eine Weile auf iMessage fort. "Irgendwann fragte er, ob er zu mir nach Hause kommen könne", sagt sie. "Ich habe Nein gesagt, und schließlich bat er mich um ein Date."

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Je mehr sie darüber nachdachte, desto unwohler wurde ihr bei seinem aufdringlichen Verhalten, weshalb sie schließlich höflich ablehnte. "Er schien das nicht gut aufzunehmen", sagt sie. Also antwortete sie ihm nicht mehr bei iMessage und löste das Match auf Bumble auf, damit er sie nicht mehr kontaktieren konnte.

Da bemerkte sie, dass sie sich nicht mehr einloggen konnte. Sie versuchte, ihr Passwort zurückzusetzen, die App zu schließen und neu zu öffnen, aber nichts funktionierte. "Mir wurde klar, dass ich gesperrt worden war", sagt Bailey. Sie versuchte, bei Hinge einen Account zu erstellen. Die App gehört einer anderen Firma, dem Dating-App-Konglomerat Match Group. Als das nicht funktionierte, lud sie sich Tinder herunter, das ebenfalls zur Match Group gehört. Aber auch dort konnte sie sich nicht anmelden.

"Ich habe dem Kundensupport von Tinder geschrieben. Mir wurde gesagt, ich hätte 'gegen die Richtlinien verstoßen', mehr nicht", sagt sie. "Nur eine generische E-Mail. Ich habe mehrmals gefragt, was ich falsch gemacht habe, aber keine Antwort bekommen. Also habe ich Bumble geschrieben, die haben sich nie zurückgemeldet." Auch auf unsere Bitte um Stellungnahme hat Bumble nicht reagiert.

Das Problem ist, dass Sperren, einmal verteilt, ziemlich unumkehrbar sind. Die Firmen, die die Dating-Apps beaufsichtigen, sperren nicht nur Usernamen und E-Mailadressen, sondern auch einzelne Geräte und IP-Adressen (von wo aus man sich ins Internet einloggt).

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Bailey glaubt, dass sie aus Rache gemeldet wurde. "Ich glaube, es wäre ein zu großer Zufall, dass ich, direkt nachdem ich diesen Typen abgewiesen habe und er das nicht gut aufzunehmen schien, gesperrt worden bin", sagt sie. "Meine Theorie ist, dass er mich wegen etwas wirklich Schlimmen gemeldet hat, das er sich ausgedacht hat." 

Auch auf Reddit empören sich viele Einträge bei Foren zu Dating-Apps, weil sie fälschlicherweise gemeldet worden seien – meist von verschmähten Matches. Der Reddit-User reelmeish wurde bei Tinder und damit von Match Group insgesamt gesperrt. Er besteht darauf, dass er nichts Falsches getan und keine Ahnung habe, warum er gesperrt wurde. "Ich war nie unhöflich, habe niemanden beleidigt und hatte mehrere tolle Dates über die Match-Group-Apps", erzählt er. "Ich bin nicht der Typ, von dem die Leute erwarten, dass er gesperrt wird. Die meisten würden sich irgendeinen Frauenfeind vorstellen; ich finde Andrew Tate und seine Anhänger ekelhaft."

Auf Plattformen wie YouTube und TikTok werden oft Accounts gemeldet, weil sie angeblich gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen. Dort schaden Urheberrechtsverletzungen und Falschmeldungen von Verstößen den Monetarisierungsmöglichkeiten des Profils. "In unserer Forschung zu Online-Dating-Apps sprachen Leute auch das böswillige Melden an", sagt Kath Albury, Professorin für Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Swinburne University of Technology in Australien. 

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"Ich habe bemerkt, dass Bumble, das nicht zur Match Group gehört, vor Kurzem seine Sicherheitsrichtlinien aktualisiert und ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass 'jemanden nicht zu mögen' kein Grund sei, die Person zu melden. Es solle gegen User vorgegangen werden, die mehrfach wegen böswilliger Meldungen aufgefallen seien", sagt Albury.

Böswilliges Melden scheint sich auch häufig gegen Menschen zu richten, die nicht in die traditionellen, binären Geschlechterkategorien passen. "In der E-Mail zu dem Update wurde extra betont, dass es nicht OK sei, Transmenschen zu melden, weil sie trans seien", sagt Albury.

Dass Content Creator wegen wütender Einzelpersonen auf YouTube und TikTok von ihrem Einkommen abgeschnitten werden, ist schlimm genug. Ein Ausschluss von Dating-Apps kann für junge Menschen auf der Suche nach einer dauerhaften Beziehung noch viel schlimmer sein.

Laut dem Tinder "Future of Dating"-Report aus diesem Jahr nutzt die Mehrheit der unter 30-Jährigen Dating-Apps. 55 Prozent hatten schon einmal eine ernsthafte Beziehung mit einer Person, die sie auf Tinder kennengelernt haben. Laut einer Studie von 2021 hat sich in Deutschland jedes dritte Paar (35%), das seit ein bis fünf Jahren zusammen ist, online gefunden – Tendenz steigend. 

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Wer sich nicht bei diesen Apps einloggen kann, verliert vielleicht die Chance, den Menschen fürs Leben – oder einfach ein Date – zu finden. Aufgrund des Marktanteils von Match Group von 40 Prozent im Segment Online-Dating kann eine Sperre in ihrer Datenbank fatal sein. Fünf der acht beliebtesten Dating-Apps gehören der Firma.

Bailey macht das schwer zu schaffen. "Bei allen Match-Group-Apps gesperrt zu sein, ruiniert definitiv meine Chancen beim Online-Dating", sagt sie. Auch auf das Liebesleben von reelmeish hat die Sperre erhebliche Auswirkungen: "Von Match Group ausgeschlossen zu sein ist wie von Dating generell ausgeschlossen zu sein", sagt er. "Es ist wirklich schlimm und unfair, ein echtes Problem. Es gibt keinen Weg, das anzufechten."

"Sie sagen dir nicht einmal, was du gemacht hast oder warum du gesperrt wurdest", schreibt reelmeish. "Es könnte ein Fehler sein, es könnte aus Rache sein, es könnte alles Mögliche sein. Aber man bekommt nicht mal eine Chance. Ich verstehe ja, dass es ihre Seite ist und sie das Recht haben – aber aus persönlicher Sicht ist das scheiße."

Sowohl reelmeish als auch Bailey wissen immer noch nicht, warum sie gesperrt wurden. Sie wurden über Standard-Benachrichtigungen darüber informiert und ihre Nachfragen bei den Plattformen wurden ignoriert. Die Professorin Kath Albury betont, dass die Apps ihre User davor warnen sollten, den Melde-Button zu missbrauchen, wie Bumble das getan hat. Auch sollten sie für die Sicherheit und gerechte Behandlung aller Mitglieder offenlegen, wie Sperren genau zustandekommen.

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Eine Sprecherin von Match Group, Kayla Whaling, hat sich dementsprechend geäußert. Jede der Marken unter dem Schirm von Match Group habe Support-Teams, die einzelne Meldungen von Usern prüften und Maßnahmen gegen Konten ergreifen, wozu auch ihre Entfernung zählen könne.

Bei Verdacht auf einen Verstoß gegen die Richtlinien werde der Account bei allen Plattformen der Match Group gesperrt, sagt Whaling. "Wenn eine Person glaubt, dass sie fälschlicherweise gesperrt wurde, ermutigen wir sie, sich an den Support zu wenden, damit wir das näher untersuchen können." 

Bailey hat einen Weg gefunden, die Auswirkungen der Sperre auf ihr Dating-Leben zu umgehen: Sie trifft auf die altmodische Art neue Leute. "Ich benutze einfach keine Dating-Apps mehr, und das ist auch besser so", sagt sie. "Die Menschen dort sind nicht aufrichtig."

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