Am Wochenende habe ich betrunken ‘Watch Dogs’ durchgespielt

Das letzte Wochenende war lang und hat früh begonnen. Bereits am Donnerstag Morgen habe ich inmitten eines schwer ausgeprägten Komarausches entschieden, das von uns allen heiß erwartete Techno-Sandkastenspiel Watch Dogs durchzuspielen. Der Plan war ein Speed Run durch die gesamten Chapter und zwar noch während die Melonen-Wodka-Bowle in meinen Adern zirkuliert. Die war übrigens einige Stunden zuvor von einer Arbeitskollegin auf der Bürocouch kredenzt worden und hat später scheinbar sogar noch zu einem frohen Busen-Flash für die anderen Redakteure geführt.

Wie auch immer, ich war zuhause, hatte ein AAA-Game in der Xbox One—die drei As stehen für Spiele mit den höchsten Entwickler-Budgets und haben nichts mit der American Automobile Association oder Anonymen Alkoholikern zu tun—und konnte gerade noch aufrecht sitzen. So kommen wir also zu meinem Live-Bericht, der Videospielgeschichte schreiben und sie in Folge sofort wieder vergessen wird.

Videos by VICE

Startschwierigkeiten

Meine hohen Ambitionen wurden leider schnell von meinem innen wie außen verpixelten Kopf zunichte gemacht. Mit den motorischen Skills eines Lobotomiepatienten bin ich nicht einmal über die allererste Instanz hinausgekommen. Man musste einfach aus einer Garage hinausschleichen, aber in der obligaten Manier des streitsüchtigen Betrunkenen wollte ich direkt alle umbringen. Der erste Versuch von “Gaming under the Influence” hatte ein erfolgloses Ende und ich bin geschlagen am Klo eingeschlafen. Deshalb kann ich die erste Lektion nur so formulieren: Nach Wodka-Bowle musst du kotzen, egal wie gut das Spiel ist.

Rauschresistente Handlung

Am nächsten Tag bin ich im Zuge des Katers und mit Hilfe meiner kleinen Hausbar zurück in das utopische Chicago von Watch Dogs versunken. Schnell waren meine signalgestörten Gehirnwellen auf das Spiel eingestellt und da ich wieder fähig war, Wörter zu lesen, erwies sich Watch Dogs nun nicht mehr als unbezwingbarer Rubiks-Würfel. Eher im Gegenteil.

Erst fielen mir die 1000 kleinen und unterfordernden Nebenmissionen auf und dann sofort die klassischen Ubisoft-Türme, die man mit ein bisschen Herumklettern und auf räumlicher Vorstellung basierendem Rätsellösen schnell bestiegen hat—um noch mehr Side-Quests auf der Map freizuschalten. Ein gepierctes Dragongirl mit Iro-Pferdeschwanz, das zufälligerweise dem sexuellen Ideal aller nordamerikanischen Programmierer nahe kommen dürfte, und eine Szene mit Pokerspiel sind fast eins zu eins aus Far Cry 3 übernommen, inklusive der Tracks von Skrillex am Steuer. Letzteres hätte nicht unbedingt sein müssen.

Foto: myproffs2012 | Flickr | CC BY-SA 4.0

Apropos Selbstreferenzen von Ubisoft-Entwicklern in den eigenen Spielen: Ihr habt vermutlich schon gemerkt, dass Watch Dogs einfach ein Assassin’s Creed mit futuristischer Kulisse ist—so wie es sich Fans eigentlich seit Ewigkeiten wünschen. Erste Mutmaßungen, dass beide Spieluniversen zusammengehören, haben schon um Weihnachten die Online-Foren regiert. Man versteht die Vermutung, sobald man das komische Flackern sieht, das wie im Animus knistert, oder die Darstellung einer “Cyber-Welt”—verzeiht das C-Wort—bestehend aus cool-konstruierten Kristallen. Die französisch-kanadischen Macher beider Titel brauchen offensichtlich neues Crack.

Man stelle sich Watch Dogs so vor: ein Assassin’s Creed mit Autos, Baseball-Kappe statt Florentinerroben und mehr Hacking als zeitgeschichtlichen Abenteuern. Dieser auf Smartphones basierende „Cyber-Terrorismus”—sorry, schon wieder!—besteht aus einer höchst unspektakulären Mechanik. Man drückt immer den einen Knopf, um Ampeln, Straßenabsperrungen, Handys und alle möglichen, erstaunlich leicht explosiven Elektrokästen zu kontrollieren. Auf den gewissen GTA V-Geschmack, der sich im Look und Gameplay bemerkbar macht, brauche ich wohl nicht auch noch süffisant hinzuweisen.

Trotz eines niedrigen Originalitätsfaktors und dem generischen, arroganten Protagonisten Aiden Pierce ist das Schusswaffen-Combat ziemlich lustig. Prost! Deine Tech-Fähigkeiten kommen auch witzig zum Einsatz, wenn man sich von Sicherheitskamera zu Sicherheitskamera hackt, um ganze Gebäudekomplexe zu erschließen. Das fordert das dreidimensionale Vorstellungsvermögen ganz schön und Stealth-Kills machen gleich doppelt Spaß. Das Gameplay hat also eine schöne Balance, nur eines ist definitiv: Nach dem dritten Glas Ramazotti sollte die Handlung nicht dermaßen schwächeln.

Bild vom Autor

Don’t drink and virtually drive!

Die Gefahren der Vernetzung im Überwachungsstaat des nicht allzu fernen Informationszeitalters—ich muss jetzt schon gähnen—sind wohl der größte Themenblock in Watch Dogs. Damit sind sie aber entweder viel zu spät dran oder sie hinken einer genialen Thematik hinterher, weil keiner so genau weiß, worauf man hinaus will. Vor allem fehlt aber der Mindfuck, der Twist, der Leatherface, die kindliche Kaiserin.

So funktioniert das latente NSA-kritische Augenzwinkern nicht wirklich, da Aidens unverantwortliche Spionage und die desaströsen Angriffe aus sicherer Entfernung als völlig okay verkauft werden. Solange unser Held ein cooler Einzelgänger mit brummiger Stimme ist, erhebt unser mäßiges Verständnis von Technologie und Menschenrechten die Hacker-Selbstjustiz zum Ideal—auch wenn ich gerade durch ein Busstationshäuschen gefahren bin und dabei vier unschuldige Zivilisten auf dem Asphalt zerrieben habe.

Kiffen hilft auch nicht

Technologie ist in diesem Spiel kein tatsächlich komplexes großbrüderliches Bollwerk der Moderne—sie ist einfach nur grafisch überstilisierte Effekthascherei ohne jede Liebe zum Detail. Man versteht, warum etwas blinkt und dass es vermutlich wichtig für den Spielverlauf ist. Und tatsächlich finden sich alle zurecht, wie bei Sonics Jagd nach goldenen Ringerln. Da finde ich es technisch und allgemein aufregender, wenn in der Wiener Straßenbahn die Infoscreens ausfallen und ein Linux-Eingabefeld erscheint.

Als ich beim Whiskey angekommen bin, beruhigte sich mein Grant. Nur die Langeweile blieb. Die Spaßkurve verläuft bei Watch Dogs interessanterweise konträr zum Alkoholkonsum. Der Plot rund um unrealistisch gezeichnete und schlecht gesprochene Figuren sowie dieser peinliche Trenchcoat mit Klettverschluss am Kinn, wird zur Zumutung für Menschen mit Aufmerksamkeitsdefizit wie mich. Eine tote Nichte, eine entführte Schwester und einen vergrämten Ex-Hackerkollege mit peinlicher Bam-Margera-Haube später komme ich zum Schluss, dass so sehr ich die Augen auch zusammenkneife, die Handlung doch um keine Spur klarer wird.

Dabei hilft auch nicht unbedingt, dass das Head-Up Display von Watch Dogs d meinen verschwommenen Blick mit einer regelrechten Bukkake-Orgie an Bildschirminformationen überladen hat—The Devision, auch von Ubisoft, wird noch mehr HUD-Überfüllung haben, aber dafür auch das bessere Spiel werden.

Kleine Pop-Up-Kästchen überinformieren dich in Watch Dogs ständig mit SMS-Konversationen, Kontoständen, Namen, Vorlieben, Abtreibungen, Religionstendenzen und Privatsphärenübertritte. Aiden weiß Bescheid über die unwissenden Schafe, die du alle bankrott hacken kannst. Die Bewohner des Prism-Chicagos erinnern an das Look UpVideo von Gary Turk und plötzlich staune ich über mich selbst.

Ich halte Videospiele tatsächlich für ein Medium, das auf Fantasie und Abenteuer basierend ganze Scheißuniversen kreieren kann. Und dann steuere ich über Stunden hinweg einen Typen, der nur auf seinen kleinen Touchscreen starrt. Wenn ich mir wenigstens beim Twittern in der Bim cooler vorkommen würde wegen dem Spiel!

Der Whiskey hat mich nicht nur zynisch gemacht. Als ich erst nach der Hälfte des Spiels gecheckt habe, dass es eine Slo-Mo Funktion gibt—wie seit Max Payne in jedem zweiten Titel, der lieber Matrix als ein Videospiel wäre—, die ich echt oft hätte brauchen können, bestärkte sich meine Vermutung, dass Whiskey nicht beim Fokussieren auf wichtige Spielinhalte hilft.

Was schafft Klarheit? Natürlich “The Stickiest of the Icky”. Mein Nachbar ist direkt mit einer Portion Ganja-Gamechanger vor der Tür gestanden, was wiederum eine weingeschwängerte Session bis um vier Uhr Früh zur Folge hatte und eine schwere Munchies-Attacke, die mit selbstgemachten Burgern besänftigt werden musste. In unserem Zustand sind die Plotholes und der spielerische Herzstillstand gar nicht mehr aufgefallen. Schlechte Elektronik und Pop-Punk in den Autos nervten plötzlich viel mehr als alles andere.

Konzeptionell-philosophische Fragen wurden gestellt: Warum kommt in Watch Dogs kein einziger Hund vor? Warum hat Aiden das Logo vom eigenen Spiel auf der Kappe? Warum kommt einem das Konzept der durch ein einziges Betriebssystems elektronisch gesteuerten Stadt so billig vor? Warum sieht Jordi—die beste Figur im Spiel und schwerst psychotisch—aus wie Old Boy?

Warum konnte der nicht Hauptfigur sein und welches Spiel zockt Strache wohl gerade? Auf diese Fragen mussten wir passenderweise eine Pause mit Wolfenstein: The New Order machen, da unsere Nerven offensichtlich zu wenig aufgerieben waren. Kiffen ist gar keine Einstiegsdroge, da wir weder mit Gras noch im Weißweinrausch auf die ganze Verschwörungsgeschichte “eingestiegen” sind.

Fazit

Am nächsten Tag hatte ich keine Gnade mehr mit diesem Möchtegern-Snowden. Kaffee und Bier mussten für den Endspurt reichen, auch wenn der Spannungsbogen des Spiels schon am Boden war—genau wie mein Kreislauf. Das Hauptproblem dieses prinzipiell soliden und unterhaltsamen Open-World-Games mit dem spaßigen Logo—das aus einem W ein rudimentäres Hundestrichgesicht kritzelt—ist die immanente Arroganz. Es fühlt sich an wie ein prätentiöser Boku-Student, der mich davon überzeugen will, dass er jede Strahlung fühlt und ich bitte mein Handy abschalten solle, wenn ich mit ihm rede (True Story).

Watch Dogs ist schlussendlich nicht so schlau wie es tut, was in Ordnung ist, da das ja jeder so macht. Das Bier hat mich am Ende milde gestimmt und ich verzeihe dem Spiel, da mir die Haftbomben in Verbindung mit Wu Tangs C.R.E.A.M. ein Lächeln abgerungen haben. Irgendwie kann man in dieser Gameplay-Monotonie ja auch aufblühen. Gerade wenn große Teile des Gehirns nicht nutzbar sind. Wer braucht schon detaillierte Erklärungen zu utopischen Gesellschaften oder tiefgehende Gedanken zum gläsernen Menschen?

Im Bierzelt geht es auch nicht um Euthanasie, Mikrochips oder Biochemie. So gesehen ist es letztlich vielleicht ganz gut gewesen, dass ich Watch Dogs betrunken gespielt habe. Ich würde sagen, Watch Dogs ist was für Burschenschaftler, Teilzeitzocker oder Curling-Fans; für Leute, die bodenlange Trenchcoats immer noch cool finden und trotzdem zwischen 18 bis 20 sind—aber weniger für angehende Alkoholiker wie mich.

Josef auf Twitter:  @theZeffo