Aphex Twin hat in den 22 Jahren seiner Karriere eine mythische Position in der Welt der Popkultur eingenommen. Grund dafür sind teilweise seine eigenen wilden Geschichten (er träumt Tracks oft, bevor er sie macht), Experimente (indem er Sets mithilfe von Sandpapier und Küchenmaschinen macht) und die Interviews, die ihn umgeben—und die sich normalerweise zwischen surrealer Übertreibung und totaler Erfindung bewegen. Er steht für wilde Punk-Innovation innerhalb der elektronischen Musik und als Drukqs 2001 erschien, haben der NME und der Rolling Stone sehr unterschiedlich darauf reagiert—ersterer hat dem Album 9 von 10 Punkten gegeben, letzterer es mit einem einzigen Stern abgestraft.
Letzten Monat hat sich das Innovationsungeheuer der elektronischen Musik wieder aus seinem Schlaf erhoben, um ein neues Album zu veröffentlichen, Syro, und ist damit in die Top-Ten der britischen Charts vorgestoßen. Im Gegensatz zu früheren Tagen waren die Reaktionen ziemlich einhellig: überall Bestnoten. „DAS wichtigste Release dieses Jahr bis jetzt“, sagt ein Reviewer. „Er ist immer noch auf eigentümliche Weise allen anderen Künstlern, die 2014 aktiv sind, weit voraus“, sagt ein anderer und straft damit alle anderen Produzenten ab, die dieses Jahr gearbeitet haben.
Videos by VICE
Trotz der allgemeinen Höchstnoten enthalten die Reviews aber auch Spuren von Konfusion und Verweigerung. „In der Betrachtung ein ungewöhnliches Album, da seine allgemeine Herangehensweise nicht unbedingt ungewöhnlich ist“, schrieb Pitchfork. „Definitiv Aphex, aber eindeutig bereits so gemacht worden“, sagte Clash. Das suggeriert im Allgemeinen, dass Syro trotz positivem Fazit nicht unbedingt das bewusstseinserweiternde transzendentale Zukunfstfest ist, das sich einige von uns idealerweise in ihren Köpfen zurechtgelegt hatten.
Syro ist das berauschende Produkt eines brillanten musikalischen Geistes, von dem manche gedacht haben, dass er nie wieder etwas veröffentlichen würde. Es ist eine Sammlung von zwölf unveröffentlichten Tracks, eine Zeitreise durch einen Meteorregen an 80er-Funk, während es sich gleichzeitig der Schwärmerei von Rave, Jungle, Breakbeat, Atmosphäre und liebevollen, selbstreferenziellen Blicken auf die Karriere von Aphex Twin hingibt. Dies erschafft einen Sound, der anders ist als alles andere dieses Jahr—aber auch sehr wie alles aus den letzten dreißig Jahren.
Syro ist kein fortschrittliches Album oder eine definitive Platte des Jahres. Sie ist toll, aber trotzdem total nostalgisch. Um einen Gedankenexperiment aus Mark Fishers Buch Ghosts of My Life zu nutzen: Wenn Syro zurück in die 90er gebeamt würde, würde es nicht fehl am Platz klingen. Tatsächlich drückt Fisher es so aus: „Was unsere Zuhörerschaft von 1995 wahrscheinlich schocken würde, wäre die Wiedererkennbarkeit der Klänge: Würde sich die Musik wirklich so wenig verändert haben?“
Ich liebe Aphex Twin und ich denke nicht, dass ein Künstler seines Formats dafür kritisiert werden kann, dass er ein wenig in Sentimentalität badet. Eine Karriere wie seine hat sich Zeit für Reflexion verdient und er selbst hat in Interviews zugegeben, dass Syro sich auf ein altes Kapitel stützt, anstatt ein neues zu öffnen. Also wird es auf seiner nächsten Platte hoffentlich wirklich fortschrittlich. Aber dadurch, dass jemand, der seiner Zeit so weit voraus war, so sehr an etwas festhält, ist ein dringend benötigter Schub an Innovation wieder einmal ausgeblieben.
Wir sind in der Popkultur schmerzhaft an etwas gewöhnt, das Simon Reynolds „Retromania“ nennen würde. In seinem Buch von 2011 mit demselben Namen hat er diesen immer stärker werdenden kulturellen Mangel analysiert, bei dem die Popkultur sich immer wieder auf die Vergangenheit bezieht, um die Gegenwart zu füllen. Innovative Momente in der modernen Musikgeschichte wie die Geburt von Rock ‘n’ Roll, das Aufkommen von Punk, die frühen Warehouse-Partys des Chicago House, Kool Herc, der auf Blockpartys in der Bronx auflegt, italienische Produzenten, die Roland 303er für einen neuen Zweck nutzen und den Acid House-Sound kreieren oder das Aufkommen von Dubstep und Grime sind mittlerweile fast alle entfernte Vorstellungen, die beinahe fiktional klingen.
Diese Theorie wurde ungefähr seit 2006 bereits von vielen Autoren breitgetreten. Trotzdem sticht 2014 immer noch als besonders rückwärtsgewandt heraus. Die Konzerte von Kate Bush haben für Wirbel in der Welt der Livemusik gesorgt, die neue Platte von Leonard Cohen hat zu Bewunderung geführt, Pink Floyd haben sich wieder zusammengetan und Duffy ist als Sam Smith verkleidet wieder aufgetaucht. Nicki Minaj hat Songs von Sir Mix-a-lot, die eigentlich nur noch unter Hochzeits-Djs verbreitet waren, wieder einem neuen Zweck zugeführt und The War On Drugs haben sich die Dire Straits angeeignet, um eines der am besten bewerteten Alternative-Alben des Jahres zu machen. Ariana Grande und Zedd haben sich zusammengetan, um den Sound des BCM in Magaluf von circa 2003 wiederzubeleben und Barbara Streisand stürmt die Charts, indem sie die Gedanken von, ähm, Barbara Streisand kanalisiert.
Ein Album von jemandem wie Aphex Twin hätte einmal die rebellische Front gegen das Gefühl bilden können, dass wir uns wiederholen. Leider macht Syro dies nicht. Tatsächlich würde es mich überraschen, wenn du auf den von den Kritikern am meisten gefeierten Alben von 2014 etwas findest, das wirklich vorausdenkende künstlerische Innovationen kreiert. Der 20-jährige Nostalgie-Kreislauf wurde vom Internet aufgebrochen, aber durch ein All-You-Can-Eat-Büffet ersetzt, mit einer sich über verschiedene Algorithmen wiederholenden Geschichte. Die elektronischen Clubszenen sind größtenteils in einem Zustand des Wiederkäuens fester Kerngenres eingefroren, 90er-R’n’B scheint die Herzen und Köpfe jedes neuen jungen Popkünstlers infiltriert zu haben, Roots Reggae hat neue Relevanz für sich selbst gefunden, Kendrick Lamar sampelt The Isley Brothers (genau wie J Dilla, Ice Cube, Beastie Boys und The Notorious B.I.G.) und das Grime-Revival, so aufregend es auch sein mag, ist wieder einmal: ein Revival.
Dinge wie die Konzerte von Kate Bush und nostalgische Aphex Twin-Alben werden in dieser Gleichung nur dann echte Probleme, wenn sie zu den größten musikalischen Events von 2014 gemacht werden. Bekannt gemacht, veröffentlicht, vermarktet und ausgestattet, um den Massengeschmack darüber zu bilden, was als nächstes kommt. Diese Sachen beschwören die 2010er und halten die Musik hauptsächlich in einer Trance, abgelenkt von dem Konzept, etwas wirklich Neues zu machen.
Adam Harpers brillantes Feature über den Online Underground zeigt, wie einige musikalische Subkulturen sich neu erfinden, um sich außerhalb des großen Label-Netzwerks selbst besser zu bedienen, aber die meisten Innovationen davon beziehen sich auf Industrie und Vertrieb. Nichts von der Musik, mit der sie sich auseinandersetzen, kann als ansatzweise progressiv angesehen werden. Angeblich neue Genres wie Cute Pop—und eine weitere Mini-Welle von Vaporwave—sind Flickwerk-Klänge: offen und unverhohlen bezüglich ihrer Einflüsse, Absichten und manchmal satirischen Ziele. Es geht nicht darum, wer was als nächstes macht, sondern wer als nächstes was wiederverwendet.
Andere Beispiele für Fortschritt in der Musik sind im Prinzip nur entsetzliche Erinnerungen daran, dass wir nicht so progressiv sind, wie wir denken. Ich denke es ist nicht unbegründet, anzudeuten, dass Leute nicht aufgrund der Musik denken, dass das neue FKA Twigs-Album fortschrittlich ist, sondern aufgrund des unterbewussten Grunds, dass wir uns noch immer daran gewöhnen müssen, neue und starke schwarze Frauen in der Popmusik zu sehen, die die eigene künstlerische Kontrolle über ihre Projekte und ihre Sexualität haben.
Die repetitive Natur der derzeitigen Popkultur zu erkennen, fühlt sich an wie ein kurzzeitiger Bewusstseinsverlust—und es wird schwerer, wachzubleiben. Gerade wenn du das Gefühl hast, die Realität zu erkennen und dir klar wird, wie derivativ Musik gerade sein kann, findest du dich selbst dabei wieder, auf Facebook über diesen jungen Bedroom Producer aus Ealing zu posten, von dem du sagst, dass er der „neueste Shit“ ist, der aber eigentlich nur langweilige alte Rave-Stücke mit Logic abliefert. Ich bin genauso anfällig dafür wie jeder andere.
Vielleicht helfen diese vorher genannten Innovationen bezüglich Vertrieb und Industrie, die gerade in der Underground-Musik stattfinden, dass sich von diesem schneeballartigen Effekt wegbewegt wird. Befreit von der sterbenden aber dominanten Maschinerie der Musikindustrie—und frei von den Flüchen, die alles am Leben halten und verteidigen, das jede goldene Ära eines Genres lenkt—würde es die Tür für eine komplett neue Herangehensweise öffnen. Ein optimistischer Gedanke.
Allerdings ist 2014 wohl eher Pessimismus angebracht. Vielleicht haben wir eine Art musikalischen Ereignishorizont erreicht, an dem unsere Neigung, uns auf die Vergangenheit zu beziehen, unser Bewusstsein soweit geflutet hat, dass eine Flucht bereits unmöglich ist. Oder vielleicht haben wir im austrocknenden Flussbett des Pop-Mainstream vielleicht schon alles gemacht. Wie Richard D. James in seinem Interview mit Pitchfork gesagt hat: „Jeder weiß über alles Bescheid. Der heilige Gral für einen Musikfan ist, denke ich, Musik von einem anderen Planeten zu hören, die von uns noch überhaupt nicht beeinflusst wurde.“
Zugegeben, die Vergangenheit ist verführerisch, aber wir können die Vergangenheit nicht benutzen, um das zu füllen, was in der Gegenwart fehlt. Die Ära des Wiederkäuens ist in vollem Gange und eins ist sicher: Wenn sich die Dinge nicht ändern, wird es ziemlich schnell ziemlich langweilig.
Folgt Joe bei Twitter—@Cide_Benengeli
**