Die Krieger- und die Kaiserinnen des Organisierten Verbrechens

Illustrationen von Jacob Everett

Wenn die Leute von meiner Arbeit hören, nehmen sie oft an, dass ich ausschließlich Geschichten über Männer schreibe. Aber die Rolle der Frauen in den kriminellen Organisationen Italiens ist durchaus zentral und komplex, und der Begriff Mafiaehefrauen beschreibt sie nur unzureichend.

Weibliche Gangster unterliegen archaischen Gesetzen, rigorosen Ritualen und vertrackten Regeln. Gefangen zwischen Tradition und Moderne, können sie Morde in Auftrag geben, dürfen sich aber keine Liebhaber nehmen oder ihre Männer verlassen. Sie können eigenverantwortlich in komplette Marktsektoren investieren, aber sich nicht schminken, wenn ihre Männer im Gefängnis sind. Das Tragen von Make-up wäre wie ein öffentliches Eingeständnis, dass sie es darauf anlegen, mit jemanden ins Bett zu gehen. Von ein paar wenigen Ausnahmen abgesehen, existiert eine Mafiosa nur in der Beziehung zu ihrem Mann. Ist sie geschminkt und aufgetakelt, ist ihr Mann frei und in der Nähe. Der Mann hat die Macht, und seiner Frau kommt die Aufgabe zu, diese Macht durch ihr Erscheinungsbild zur Schau zu tragen. Das trifft auf die neapolitanische Camorra ebenso zu, wie auf die kalabrische ‘Ndrangheta und einige Familien der Cosa Nostra.

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Und so ist es auch in den mexikanischen Kartellen. Für den mexikanischen Drogenboss ist eine Frau eine Trophäe, ein Spiegel seiner Macht und Männlichkeit. Je beeindruckender die Frau an seiner Seite, desto mehr Stärke strahlt er aus.

Dass Schönheitswettbewerbe in einigen Staaten Mexikos und Lateinamerikas so beliebt sind, ist kein Zufall. Es gibt für Frauen keine bessere Gelegenheit, einen Drogenhändler auf sich aufmerksam zu machen—was in einzelnen Fällen einen Sprung aus einem Leben in Armut in eine Welt des Luxus bedeuten kann. In manchen Staaten, wie Sinaloa, ist das für Mädchen beinahe der einzige Weg, an etwas Wohlstand und Macht zu gelangen. Sie lassen sich auf einen klaren Handel ein: die Narcos verschaffen den Mädchen Geld und ein angenehmes Leben, und die Mädchen setzen ihre Schönheit zugunsten des Prestiges ihres Mannes ein. Manche Narcos sogar die Schönheitswettbewerbe manipulieren, an denen ihre Frauen teilnehmen. Mit der Hilfe des Kartells ergattert sie den Titel und der Narco gewinnt an Bedeutung. Darum investieren viele Frauen in Sinaloa von einem sehr jungen Alter an in die Optimierung ihrer Körper: In der Hoffnung auf ein anderes Leben lassen sich die Brüste oder den Arsch vergrößern, um attraktiver für die Kartellmitglieder zu wirken.

Obwohl sie eine ähnliche Mentalität haben, sind die Frauen der italienischen Mafia weniger modern und ungeniert. Aber die Erwartung an die italienischen Frauen, sich unauffällig anzuziehen und im Hintergrund zu bleiben, heißt nicht, dass sie keinerlei Freiheiten hätten—in der Realität sind sie sogar oft diejenigen, die das Kommando übernehmen, wenn ihre Ehemänner im Gefängnis sind.

Die Lebensgeschichten dieser Frauen gleichen sich in der Regel. Männer und Frauen kennen einander oft schon, seit sie Teenager sind. Mit 20 bis 25 Jahren werden sie verheiratet. Es ist üblich, „das Mädchen von nebenan” zu heiraten, das der Mann schon seit seiner Kindheit kennt und von der er sicher sein kann, dass sie Jungfrau ist. Dem Mann ist es hingegen im Allgemeinen gestattet, sich—vor und nach der Hochzeit—Geliebte zu nehmen. In letzter Zeit hat sich aber die Regel durchgesetzt, dass diese Ausländerinnen sein müssen—Russinnen, Polinnen, Rumäninnen oder Moldawierinnen—Frauen, die als sozial niedriger stehend und für unfähig gelten, eine Familie zu gründen und Kinder großzuziehen. Eine Geliebte aus Italien, oder schlimmer noch, aus derselben Stadt kann die Balance der Familie gefährden—und zwar nicht nur die der Kernfamilie, sondern auch des Clans. Ein Mann kann es nicht riskieren, sich die Frau eines anderen Bosses zur Geliebten zu nehmen, oder die Schwester eines anderen Clanmitglieds zu entehren. Damit würde er nicht nur seine Frau dem Gespött der Stadt preisgeben. Ein solches Verhalten würde zu Zwietracht und Fehden führen und die Macht des Clans gefährden. Es verletzt den Ehrenkodex, auf dem der Clan basiert, und kann mit dem Tode geahndet werden kann.

Das Gespenst des Todes hängt stetig über den Ehen der Mafia. In einigen Gegenden tragen die Frauen ausschließlich Schwarz, die Farbe der Trauer. Trauer um einen ermordeten Ehemann oder Sohn. Trauer, weil ein Bruder, Neffe oder Nachbar getötet worden ist. Trauer, weil der Ehemann einer Kollegin eliminiert wurde, oder der Sohn einer entfernten Verwandten hingerichtet wurde. Es gibt immer einen Grund Schwarz zu tragen. Und unter dem Schwarz tragen sie rot. In der Vergangenheit trugen die Frauen ein rotes Unterhemd als Mahnung an das Blut, das gerächt werden muss; heute tragen vor allem die jungen Frauen rote Dessous. Der Kontrast mit dem Schwarz unterstreicht die schrecklich Intimität der Farbe der Rache.

Wer in den kriminellen Territorien Witwe wird, verliert seine Identität als Frau fast vollständig, und darf nur noch Mutter zu sein. Als Witwe kann man nur dann ein zweites Mal heiraten, wenn mehrere Bedingungen zutreffen: Die eigenen Söhne müssen der Ehe zustimmen, der Mann muss denselben Rang haben, wie der verstorbene Ehemann, und, vor allem muss man die vom Clan vorgeschriebene Trauerperiode eingehalten haben und dabei enthaltsam geblieben sein.

Ich erinnere mich gut an den Aufstieg der Geschäftsfrau und Camorra-Patin Immacolata Capone in der Region Neapel, aus der auch ich stamme. Als Mitglied des Moccia-Clans spielte Capone eine zentrale Rolle beim Management öffentlicher Aufträge für den Zagaria-Clan aus Casal di Principe—eine der mächtigsten Familien der Gegend. Sie hatte die wichtige und knifflige Aufgabe, den Unternehmen des Clans „Anti-Mafia-Zertifikate” (die bescheinigen, dass ein Geschäft sauber ist und keinerlei kriminelle Geschäftsbeziehungen unterhält) zu besorgen. Ohne diese Zertifikate wäre es den Camorristi nicht möglich, sich an öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen.

Eines Tages in den frühen 2000ern traf sie sich mit dem Camorrista Michele Fontana, genannt „der Sheriff”, der ihr sagte, dass er eine Überraschung für sie habe. Er ließ sie auf dem Beifahrersitz Platz nehmen und sie hörte sofort, dass Geräusche aus dem Kofferraum kamen. Als Capone eine Erklärung verlangte, sagte der Sheriff, dass sie sich keine Sorgen machen solle. Sie fuhren eine Weile, bis sie bei einer palastartigen Villa auf dem Land außerhalb von Caserta, 30 km nördlich von Neapel ankamen. Hier stieg dann Michele Zagaria aus dem Kofferraum—einer der mächtigsten Bosse des Casalese-Clans, der zu lebenslanger Haft verurteilt worden war und während dieser Zeit auf der Flucht lebte, bis er im Dezember 2011 nach 16 Jahren schließlich verhaftet wurde. Von der Anwesenheit des Bosses, mit dem sie seit Jahren erfolgreich gemeinsam Geschäfte betrieben hatte, schockiert, brachte Capone kein Wort heraus. Laut verschiedener Quellen bezog der Boss dann Position in der Mitte des marmorverkleideten Salons der Villa—einer der zahlreichen ihm gehörenden Häuser—wo er einen festgeketteten Tiger streichelte, und begann, über Verträge, Beton, Bauvorhaben und Land zu sprechen. Es war eine filmreife, fast mystische Szene, einer Bilderwelt entsprungen, wie sie die Mafiafamilien nutzen, um ihre Macht zu zementieren.

Die im Umfeld der Camorra aufgewachsene Capone war eine winzige Frau mit einem starken Charakter, die bei geschäftlichen Verhandlungen extrem einschüchternd auftreten konnte. Sie war ein Zögling der Moccia-Witwe Anna Mazza, der ersten Frau, die in Italien aufgrund ihrer Rolle als Kopf einer der mächtigsten kriminellen und geschäftlichen Vereinigungen Süditaliens für mit der Mafia verbundene Straftaten verurteilt wurde. Mazza—die sich anfänglich den Ruf ihres Ehemannes Gennaro Moccia zunutze machte, der in den 70ern ermordet worden war—übernahm bald eine führende Position im Clan. Bekannt als die Witwe der Camorra fungierte sie über 20 Jahre lang als das Hirn der Moccia-Familie. Mazza führte in der Camorra eine Art Matriarchat ein. Sie wollte ausschließliche Frauen in prestigeträchtigen Positionen, weil sie der Meinung war, dass Frauen weniger Interesse an militärischer Macht hätten und bessere Mediatoren wären. Das war ihre Art, die Organisation zu managen.

Capone hatte von Mazza gelernt und war in der Lage, ein bedeutendes geschäftliches und politisches Netzwerk aufzubauen. Viele Camorristi umwarben sie, um zu Konsorten eines hochrangigen Bosses aufzusteigen und ihr Bett und ihre Geschäfte mit ihr zu teilen. Aber Capones Talente führten letztendlich auch zu ihrem Niedergang. Im November 2004, ein paar Monate, nachdem die Mafia ihren Ehemann umgebracht hatte, wurde sie in einer Fleischerei in Sant’Antimo in der Provinz Neapel ermordet. Sie war erst 37 Jahre alt. Die Polizei fand das Motiv für diesen Mord nie heraus. Dem Clan mochte ihr Aufstieg durch die Ränge nicht behagt haben. Vielleicht hatte ihr ungezügelter Ehrgeiz ihnen Angst gemacht, und angesichts ihrer großen Geschäftstüchtigkeit mochte sie sogar versucht haben, im Alleingang einen großen Deal abzuschließen. Das einzige, das wir sicher wissen, ist, dass Capone länger als den meisten gelungen war, dem auf Frauen lastenden Druck, den Einschränkungen und den Erwartungen standzuhalten, die die Geschichte der Mafia durchziehen.