In unserer Reihe “Zmittag uf Skype” diskutieren Rapper Tommy Vercetti und unser Redaktor Uğur Gültekin via Skype über Themen, die aktuell in der Schweiz debattiert werden. Sie haben es sich dabei zum Ziel gesetzt, nicht nur die Debatte und das gewählte Thema an sich, sondern auch sich selbst kritisch zu reflektieren.
Diesen Samstag wird Zürich wie jedes Jahr dank der Street Parade zur Pilgerstätte für Technofans aus der ganzen Welt und verwandelt sich für kurze Zeit zu einer Art Traumwelt, die im Gegensatz zum Alltag, zur Arbeitswelt und dem realen Leben der Menschen steht, die sie besuchen. Vielleicht macht genau dies die Faszination aus, die solche Events auf die Teilnehmer, aber auch die Beobachter, ausüben. Denn auch wenn du weder auf Techno, noch auf nackte Haut und Grossevents stehst, hat die Street Parade eine einzigartige Ausstrahlung und Anziehung auf verschiedenste Menschen.
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Tommy Vercetti und ich haben uns die Steet Parade zum Anlass genommen, um über Drogenkonsum, Spasskultur und die Rolle von Unterhaltung in unserer Gesellschaft zu sprechen.
Noisey: Warst du schon mal an der Street Parade?
Tommy Vercetti: Ich hab die Street Parade bis jetzt tatsächlich nur von aussen gesehen, wenn ich in Zürich im Ausgang war. Das hat aber keine schwerwiegenden Gründe. Mich haben einfach die Musik und der Anlass nie gross angesprochen. Wie siehts bei dir aus?
Da ich in Zürich lebe, hab ich das natürlich schon miterlebt. Ich mag die Hässlichkeit der Street Parade. Es ist aber auch schon vorgekommen, dass ich wegen ihr für ein paar Tage verreist bin. Trotzdem: Ich finde, man sollte sich das schon mal geben. Ist ja inzwischen sogar offizielles Kulturgut der Schweiz.
Ach, ich habe noch tonnenweise offizielles Kulturgut zu bewältigen, da muss die Street Parade leider hinten anstehen. Ausserdem finde ich das ein komisches Verdikt, auch wenn ich nicht auf Anhieb sagen kann weshalb. Vielleicht auch ein bezeichnendes.
Warum ist das ein komisches Verdikt?
Naja, einiges wird ja in eurem Artikel schon angesprochen: Es hat irgendwie etwas Musealisierendes. Und auch die Begründung durch Masse und Hedonismus. Ich will überhaupt nicht moralisieren, aber deshalb sage ich auch: bezeichnend. Man zeichnet einen Event aus, der in vielerlei Hinsicht für die heutige Zeit typisch ist.
Wie hast du es allgemein mit Party, Ausgang, Alkohol und Drogen?
Party und Ausgang haben mich meist dann interessiert, wenn ich Single war. Aber nicht, dass wir uns falsch verstehen: Wenn, dann bin ich ein sehr leidenschaftlicher und euphorischer Tänzer und Feiernder. Es mag ein Klischee sein, aber mit der Zeit wird man tatsächlich ruhiger. Alkohol habe ich verhältnismässig selten und wenig getrunken. Und Drogen habe ich gar nie genommen.
Warum nicht? Ist dir das alles zu hedonistisch?
Nein, ich würde mich zwar als einigermassen disziplinierten Menschen bezeichnen, aber ich bin auch ein sehr gesunder Hedonist. Ich weiss eigentlich gar nicht genau, weshalb. Ich habe nie mit Drogen und Tabak angefangen, mit Trinken sehr spät. Mein Umfeld war da selbst nicht sehr aktiv, entsprechend war auch kein Ansporn da. Später hatte ich einfach kein Bedürfnis danach, und vielleicht war auch der Gedanke im Hinterkopf: Wenn du schon die Schokolade nicht im Griff hast, dann wird’s mit Kokain auch nicht besser.
Dieser Hedonismus wird an der Street Parade selbstverständlich auch zelebriert. Inwiefern ist er typisch für unsere Zeit?
Hedonismus bezeichnet ursprünglich eine Philosophie oder Haltung, die den Sinn des Lebens im Genuss und entsprechend im Vermeiden von Leid sieht. Das ist eine sehr menschliche und im positiven Sinne materialistische Denkweise, die nach dem richtigen Leben fragt. Auch Marx argumentiert gewissermassen hedonistisch. Klar kann man argumentieren, unsere Gesellschaft sei hedonistisch, man könnte aber genauso das Gegenteil behaupten. Die Frage wäre wahrscheinlich mehr, welche Qualität und welche Funktion dieser Genusszwang hat. Aber ich denke, den Vorwurf der Spassgesellschaft muss man mit Vorsicht anbringen.
Warum?
Der Vorwurf der reinen Spassgesellschaft ist selbst ideologisch: Die ganze Menschheit als verloren dekadent hinzustellen ist pseudo-scharfsinnig und rechtfertigt nur die eigene bequeme Tatenlosigkeit. Kritik muss sich immer um Herrschaft drehen, nicht um Menschenverachtung. Spassgesellschaft kann ja unmöglich bedeuten, dass die ganze Gesellschaft ihr Leben mit oberflächlichem Spasshaben verbringt. Das widerspricht jeglicher Erfahrung. Die wichtigen Fragen wären: Welche Qualität hat dieser Spass, also Spass in Abgrenzung zu was? Wann, wo und in welchen Schichten findet welcher Spass statt? Und vor allem: Welche Funktionen erfüllt dieser Spass?
Welche Funktionen erfüllt denn zum Beispiel eine Street Parade im Jahre 2017 in der Schweiz ganz konkret?
Die Street Parade ist vielleicht das Musterbeispiel der Eventkultur. Alles wird zum Event gemacht – ein unsägliches Modewort. Das bedeutet letzten Endes: Ein an sich offenes, soziales Geschehen – Tanzen und Feiern – wird für Profitzwecke umgestaltet. Das ist keine Eigenheit der Street Parade, das ist der Grundvorgang des Kapitalismus. Dann ist jede Unterhaltung ambivalent mit Ablenkung verbunden. Während man Spass hat, kümmert man sich nicht um Wichtigeres. Das mag zuerst kleinlich klingen, aber: Die Leute arbeiten unter der Woche und der ganze Sommer ist mit Festivals übersät – wann kümmern sie sich um Politisches? Schliesslich ganz wichtig: Die Street Parade ist ein Utopie-Ersatz.
Was meinst Du damit?
An solchen Events wird ein Wir-Gefühl zelebriert. Es wird miteinander getanzt, gefeiert, man geht in Rausch und Gemeinschaft auf. Das ist an sich grossartig, aber dieses Anklingen des richtigen Lebens bleibt oberflächlich, führt ins Nichts. Diese Menschen werden nicht durchs Verbundensein berauscht, sondern nur durch den Rausch verbunden. Am Montag sind sie wieder Konkurrenten in Büros und Fabriken. Und die Sehnsucht, die Forderung nach dem richtigen Leben schwebt als Rauch über den verlassenen Strassen. Noch schlimmer: Das richtige Leben wurde ihnen zur Profitmehrung vorgegaukelt, um sie noch weiter davon zu entfernen. Das ist die Funktion und die Tragik der Spassgesellschaft.
Dass Drogen dabei eine zentrale Rolle spielen, ist wohl kein Zufall.
Es geht ja nicht darum, das zu verurteilen, im Gegenteil! Auch wenn man sich noch so sehr nach dem Paradies sehnt, lässt es sich nicht herbeizaubern. Man kann nicht einfach ein paar dekorierte Wagen und schrille Outfits über das Widerliche stülpen, das man im Alltag erlebt. Insofern ist Drogen nehmen ein Zeichen von fortwährender Sensibilität, Empathie und Intelligenz, so à la: Ah, die sind high, dann gibt es den Menschen noch.
Sind wir, ich meine ganz konkret dich und mich, nicht auch einfach ein Teil dieser Spasskultur?
Gerade die Kunst, aber natürlich auch der Journalismus, unterliegen sehr stark dem Risiko, innerhalb dieser Mechanismen als Unterhaltung verharmlost und instrumentalisiert zu werden. Aber wie gesagt: Wir reden nicht über etwas Fatalistisches, Totales. Es geht ja nicht darum, dass Spass und Genuss etwas Schlechtes wären, sondern dass sie Profit- und Herrschaftszwecken dienen, indem sie uns verführen, ablenken, vertrösten. Uns bleibt erstens die Möglichkeit, das zu kritisieren, und zweitens, die Aufforderung zu Spass und Genuss radikal als Forderung zurückzugeben: Ihr versprecht uns das gute Leben? Dann holen wir es uns auch, und zwar für alle.
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