Techno kommt nicht aus Berlin, auch wenn das manch hiesiger Zeitgenosse denken mag. Während in Chicago die House-Musik mit ihren positiven Vibes geboren wurde, entstand in Detroit die Urform des Techno—geprägt von einer eher ernsten Stimmung. Statt wie in Chicago die alltägliche Realität schlicht zu verdrängen, ging es laut Derrick May in der Motor City um viel mehr: „Die Philosophie, die seit Beginn hinter dem Begriff Techno aus Detroit steht, meint Individualität, Innovation, to be first and on top, und befindet sich in erklärtem Gegensatz zu dem, was wir schon immer unter bürgerlichem Konformismus verstanden haben, unter Industriedienlichkeit und Kommerzialisierung. Techno sollte den Menschen eine Alternative sein.” May muss es wissen, ist er neben Juan Atkins, Eddie Fowlkes, Jeff Mills, Kevin Saunderson, Blake Baxter und Mike Banks einer der Pioniere des Detroit Techno.
Techno wurde in der Stadt politisch verstanden. May & Co traten an, um mit Techno den Alltag transzendieren zu lassen und eine neue Erfahrung ermöglichen. Es sollte keine positive Musik werden, weil die Umgebung, in der sie entstand, gar nicht den Anlass dazu geboten hat—und wahrscheinlich bis heute auch nicht bietet. Detroit war Ende 1980er bereits in einem Zerfallsprozess mit steigenden Mordraten und einer immer größer werdenden Arbeitslosigkeit durch den Niedergang der Automobilproduktion. Viele leerstehende Fabriken wurden dadurch zu neuen Locations für Raves, ähnlich wie in Chicago.
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Kraftwerk können mit ihrer Autobahn-LP durchaus als stilistische Orientierungspunkte gesehen werden. Zwar benutzten sie deutsche Lyrics, die technologische Themen aufgriffen, jedoch waren diese nicht zentral für die Wirkung der Musik, die es 1975 in die britischen und den amerikanischen Charts schaffte. Ein Achtungserfolg, der in Detroit Folgen haben sollte.
Neu am Detroit Techno war jedoch die physikalische Unmittelbarkeit und sein Minimalismus. Kein Glamour wie bei Disco, keine direkte Botschaft und kein wirklicher Urheber. Die Musik stellt die Maschine in den Vordergrund, der menschliche Anteil in ihr wurde verfremdet, auf Vocals verzichtet. Und hier lag dann doch eine Botschaft: Die Maschinenhaftigkeit, die Jeff Mills, Robert Hood und Blake Blaxter alias Underground Resistance, propagierten, war eine bewusste Entscheidung, um sich den Subtexten der Sprache zu entledigen. Über Sprache sagte so Mike Banks, einer der Protagonisten der zweiten Generation des Detroit Techno, einmal: „Wer sichtbar wird, macht sich angreifbar.”
Die Musik ließ das Subjekt ebenso verschwinden, wie es der einzelne Mensch bereits in der Gesellschaft tat. Nur so ließe sich jegliche Form von Unterdrückung aufheben. Oder, wie es der verstorbene Musik-Journalist Martin Büsser in seiner Geschichte der Pop-Musik beschrieb: „Detroit-Techno (..) schuf eine Traumwelt, in der es keine Identität mehr geben sollte, sondern nur noch den sich ekstatisch bewegenden, aus der Geschichte entlassenen und von jedem Kontext befreiten, tanzenden Körper.”
Dieses Konzept wurde auch unter dem Schlagwort „Afrofuturism” bekannt. DJs und Produzenten sollte dabei auch in den Hintergrund geraten, weshalb viele Platten auch unter wechselnden Pseudonymen erschienen. Allerdings wurden viele der Protagonisten des Detroit Techno dann doch zu Ikonen. „Die Hände Gottes” lautet etwa eine Schlagzeile aus dem Magazin Spex dereinst. Das dafür verwendete Foto zeigte die Hände von Jeff Mills.
Konkret ist die Musik der Marke Detroit durch einen 4/4-Takt und die üblichen Maschinen mit den Namenszusätzen 303, 808 und 909 geprägt. Vocal-Samples hört man selten. Und im Gegensatz zu den anderen Spielarten des Techno gibt es relativ viele Harmonien, zum Beispiel in „Strings of Life” von Rhythm is Rhythm, wohinter Derrick May steht. Vom Chicago House unterscheidet sich die Musik durch den deutlichen Fokus auf den Bass und die anderen Instrumente. Der Groove baut sich langsamer auf und kann beim Tanzen einen tranceartigen Zustand bewirken. Hört euch unten ein paar Beispiele an: