Staffel Sechs von Game of Thrones ist der Anfang vom Ende. Auch wenn der Pay-TV-Sender HBO und Sky, wo die Serie hierzulande läuft, sich sicherlich freuen würden, wenn die Serie ihnen bis in alle Ewigkeit Abonnenten bescheren würde, haben die Schöpfer David Benioff und D. B. Weiss deutlich verlauten lassen, dass die Serie auch ein Ende haben wird. Die 10 Folgen der aktuellen Staffel (die diese Woche ihre Premiere hatte) mitgerechnet gibt es noch insgesamt 23 Stunden (OK, das ist auch Material für drei Jahre, aber trotzdem). George R. R. Martin hat uns bereits vor langer Zeit versprochen, dass es im besten Fall “bittersüß” wird, was nach seiner Formulierung für “brutal” klingt—nicht dass diese Beschreibung nicht auch auf die ersten fünf Staffeln zutreffen würde, in denen sich niemand sicher sein konnte, ob er nicht gehäutet, zerschmettert oder auf dem Klo von einem Armbrustpfeil getroffen wird.
Die neue Staffel bewegt sich in spannende neue Gefilde—anstelle von Kriegen zwischen Königen drohen nun Konflikte unter Königinnen (Cersei, Daenerys Sansa, Margaery Tyrell und Ellaria Sand)—und wir machen uns auf den Tod so ziemlich jeder sympathischen Figur gefasst, doch es gibt auch Grund, optimistisch in die Zukunft zu blicken, was Geschichten aus Westeros und Essos angeht. Es hat bisher keine richtigen Gespräche über Spin-off-Serien gegeben, doch in einem kürzlich erschienenen Interview kam George R. R. Martin wohl auf die Idee: “Der logischste Nachfolger wäre eine Adaption meiner Heckenritter-Geschichten.”
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Das ist ein großartiger Plan. Die Novellen sind Ritterromane, die nette kleine Geschichten vor dem Hintergrund der Geschichte Westeros’ bieten. Dabei setzt Martin bewährte Storytelling-Techniken ein, beschert uns ausgezeichnete Actionszenen und zwei unterhaltsame Hauptfiguren. Tatsächlich enthielt der Humor der sechsten Staffelpremiere auch bereits Anklänge dieses leichteren, weniger selbstherrlichen Materials. Das Geplänkel zwischen dem Zwiebelritter Ser Davos und Alliser Thorne, dem Mörder von Jon Snow—Davos bestellt mitten in einer angespannten Verhandlung mehr Hammelfleisch—hat mich an all die Eigenschaften erinnert, die ich an der Figur so mochte. Auch die Debatte der Dothraki über die besten Dinge im Leben war viel zu kurz. Die Serie braucht Humor, um die unheilvollen Bedrohungen und Prophezeiungen auszugleichen. In Martins Heckenritter-Reihe, im Original Tales of Dunk and Egg, gäbe es solch unterhaltsamen Dialoge vor einer Landschaft der Turnierkämpfe, Duelle, Romanzen, Feste und natürlich der tödlichsten aller Westerosi-Traditionen: Hochzeiten.
Die Geschichten erzählen von den Abenteuern und der Ausbildung Ser Duncans des Großen—”Dunk”—und Prinz Aegon Targaryens—”Ei”, im Original “Egg”. Fans der Serie haben zum ersten Mal von Ei gehört, als Maester Aemon am Ende der ersten Staffel Jon Snow gegenüber seine Identität als ein Targaryen enthüllte. (Aemon ist Aegons älterer Bruder. Aemon lehnte den Thron ab und schloss sich der Nachtwache an, um potentiellen Konflikten um den Thron aus dem Weg zu gehen.) In den Büchern werden sowohl Dunk als auch Ei immer mal wieder erwähnt, wenn jemand etwas von den vielen Rebellionen und Kämpfen um den Eisernen Thron erzählt. Die erste Novelle, Der Heckenritter, folgt Duncan, einem Waisen aus dem Armenviertel Flohloch in Königsmund, der als Knappe eines umherreisenden Ritters von geringem Ansehen gedient hat. Zu Beginn sehen wir, wie er seinen ehemaligen Meister begräbt, dessen Rüstung nimmt und sich zu einem Turnier begibt, um sein Glück zu schmieden. Unterwegs begegnet er einem Stallburschen, den er als Knappen anheuert, und zusammen ziehen der stattliche Jugendliche und der magere Junge über den Festplatz, wo sie Prinzen und Lords, Prostituierte und Waffenschmiede sowie eine besonders schöne Marionettenspielerin sehen. Es gibt Kämpfe und Politik, einen fiesen Targaryen, der seinen inneren Joffrey loslässt, und einen Gerichtsprozess, der in Form eines Kampfes entschieden wird. Am Ende lehnen Dunk und Ei das Angebot ab, ein bequemes Leben in einer Feste zu führen, und brechen stattdessen zu ihrem nächsten Abenteuer auf. Dunk möchte im Laufe dieser nomadischen Lebensweise Ei alias Prinz Aegon beibringen, ein guter Adliger zu sein, der sich den Menschen gegenüber ehrenhaft verhält.
Im zweiten Buch, Das verschworene Schwert, hat das Duo bei einem verarmten Ritter angeheuert, der es sich mit seiner reichen Nachbarin, der Roten Witwe, verscherzt. Hier wird daraus eine Erzählung über Geschichte und Loyalität. Was bedeutet es, seinem Lehnsherrn wahrhaft treu ergeben zu sein? Im dritten Band, Der geheimnisvolle Ritter, lockt unsere Helden ein weiteres Turnier, diesmal mit geheimen Identitäten, Glücksspiel und einem Drachenei. Martin hat mitgeteilt, er habe bereits das Grundgerüst für sechs bis zwölf weitere Geschichten über die Abenteuer der beiden. Ei wird zu König Aegon V und Dunk wird Lord Kommandant der Königsgarde werden. Nicht übel für einen Waisenjungen aus Flohloch.
Die Novellen sind nicht besonders originell, aber wie ich bereits letzten Winter über Star Wars geschrieben habe, ist Originalität extrem überbewertet. Die Geschichten gehen mit unseren Erwartungen konform, wo Das Lied von Eis und Feuer mit ihnen bricht. Martin fing die Arbeit an der Reihe bekanntlich mit dem Wunsch an, Klischees von Tellerwäschern und Millionären zu vermeiden, und stürzte stattdessen mächtige, elitäre Familien in Machtkämpfe und Intrigen. Martin gab uns einen klassischen Helden, Ned Stark—und brachte ihn um. Martin gab uns einen erstgeborenen Sohn, der seinen Vater rächen wollte, Rob Stark, und ließ ihn dann ebenfalls ins Gras beißen. Dunk hingegen steigt aus der Armut in schwindelerregende Höhen auf, weil er stark und gut ist—eine Geschichte, wie du sie schon unzählige Male gehört hast. Vor allem die erste Novelle spielt mit dem reichhaltigen kulturellen Erbe der höfischen Epik, genau wie es auch schon Heath Ledgers Film Ritter aus Leidenschaft tat.
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Die Entwicklung, die Ei durchläuft, erinnerte mich immer wieder an Wart aus Das Schwert im Stein, T. H. Whites klassischer Nacherzählung der Artus-Sage, in der Merlin den zukünftigen König lehrt, ein guter und gerechter Herrscher zu sein. Ähnlich verhält es sich mit Aegon, der aufgrund seiner Erfahrungen als Ei alles in seiner Macht Stehende tut, um sein Königreich gerechter zu machen, vor allem für das Bauerntum. Er erlaubt seinen Kindern sogar, aus Liebe zu heiraten, anstatt sie für politische Zwecke einzuspannen.
Doch wie auf Camelot ist auch hier alles dem Untergang geweiht. Sowohl Martin als auch White sind sehr daran interessiert, wie Macht den Charakter verdirbt (diese Eigenschaft teilen sie mit den Verfassern vieler mittelalterlicher Ritterromane). Wenn Macht sich aus militärischer Überlegenheit oder angeborenem Status herleitet, nährt das zwangsläufig die Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Deswegen beginnt jede der Geschichten mit Leichen, genau wie auch die sechste Staffelpremiere von Game of Thrones. Wer die Geschichte von Westeros kennt, wird wissen, dass Aegon ein guter König war. Im Gegenzug rebellierten seine Lords, um ihre Machtstellung über das einfache Volk zu wahren, seine Kinder kehrten ihren Pflichten den Rücken zu, weil sie verliebt waren, und Aegon blieb nur noch “der Irre König” Aerys als Nachfolger. In Westeros gewinnt immer der Tod, ganz ungeachtet irgendwelcher guten Absichten.
Wie heißt es so schön in dem Meme: “What part of Valar Morghulis don’t you understand?”